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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

leicht gemacht. Was man nach der, wie ich bedauere, in Abwesenheit sämmtlicher Minister, durch die Herrn Landtagscommissare abgegebenen Erklärung von uns verlangt, ist nichts Geringeres, als daß wir den festen Boden des Rechts aufgeben, unsern Widersachern uns auf Gnade und Ungnade überliefern sollen. Dagegen gehen die Vorschläge des Verfassungsausschusses davon aus, daß Se. königl. Hoheit der Kurfürst ein souveräner Fürst ist; nach den Vorschlägen des Verfassungsausschusses sollen wir Allerhöchstdenselben in einer Adresse bitten, den allgemeinen Widerwillen im Lande gegen die Verfassung von 1860 als Thatsache aufzufassen und aus Liebe zum Frieden, aus Liebe zum Lande, aus landesherrlicher Machtvollkommenheit sich für Rückkehr zur Verfassung von 1831 zu entscheiden, damit ein allen gerechten Forderungen und allen billigen Rücksichten entsprechender Rechtszustand auf verfassungsmäßigem Wege hergestellt werde.“

Der Antrag des Verfassungsausschusses wurde einstimmig angenommen durch 45 Stimmen, indem 2 Abgeordnete, Jordan und Nuhn, vor der Abstimmung den Saal verlassen hatten.

Auf Ersuchen des Landtagscommissars wurde die Gegenprobe gemacht; es erhob sich Niemand!

Hierauf wurde die Kammer aufgelöst.

Zum dritten Male rief die Regierung die Wähler zur Wahl, aber auch zum dritten Male wiederholte sich der seither vom Volke eingeschlagene Weg. Von Stufe zu Stufe ward unser Protest vorgeschritten, und die Wahl traf abermals fast dieselben Männer. Zur selben Zeit, als der Landtag wieder eröffnet werden sollte, ward eine Monstreadresse vom Volke im Gegensatze zu der sogen. Loyalitäts-Adresse des neuen Treubundes, genannt „Hessenverein“, verbreitet und erhielt trotz aller dagegen aufgebotenen Polizeigewaltmaßregeln über 16,000 Unterschriften. Am 3. Januar 1862 schritt die Versammlung der Abgeordneten zur zweiten Kammer zur Wahl des Präsidiums und zwar ebenfalls unter Protest. Nebelthau ward wieder gewählt, nachdem die Landtagscommission mit der ganzen Regierungspartei, bestehend aus den Abgeordneten Nuhn und Stroh, den Saal verlassen hatte, da ihre drohende Erklärung, die Stände seien entweder Stände in Folge der Verfassung von 1860 oder gar nichts, die Männer nicht dazu vermocht hatte, die niedergelegte Rechtswahrung zurückzunehmen. Nebelthau hielt nach vollzogener Wahl eine Ansprache an die Versammlung, in welcher es heißt: „Das ganze Land weiß, daß ich Gut und Blut für die Herstellung der Verfassung von 1831 hinzugeben bereit sein würde. Ihre Wahl hat daher eine um so größere Bedeutung, als die Herren Minister neuerdings jede Meinungsäußerung, welche ihnen unangenehm ist, durch Polizeimaßregeln und Disciplinarklagen unterdrücken. Schon zweimal gaben fast dieselben Männer, welche heute hier versammelt sind, über die große Angelegenheit unserers Landes ihren Wahrspruch ab. Nur die Herren Minister wollten darin die Stimme des Landes nicht erkennen. Als aber eine in demselben Sinne an Seine Königl. Hoheit den Kurfüsten gerichtete Vorstellung binnen wenigen Tagen mit mehr als fünfzehntausend Unterschriften sich bedeckte, da ließ die bewaffnete Macht danach fahnden und überall, wo man ihrer habhaft werden konnte, die Adressen wegnehmen. Ich will nicht der Wahlhindernisse, nicht des heutigen Benehmens der Landtags-Commission für jetzt gedenken. Sie sehen schon, meine Herren, es handelt sich darum, die Stimmen der Wahrheit ein für allemal zu ersticken; das letzte Recht eines Volkes, das Petitionsrecht, wird mit Füßen getreten. Wenn Sie nun thun, was dem Lande sonst ganz unmöglich sein würde, wenn Sie den Herren Ministern zeigen, wie Sie über deren Treiben und Gebahren urtheilen, so würde ich mit Freuden mich an Ihre Spitze stellen.“

So standen die Dinge, als am 8. Januar, am Jahrestage der feierlichen Verkündigung und Beschwörung der Verfassung von 1831, die Versammlung der Abgeordneten zur zweiten Kammer, wie man sich regierungsseitig ausdrückte, nachdem dieselbe die Erklärung abgegeben hatte, den Protest nicht zurücknehmen zu wollen, aufgelöst ward, ohne noch als Kammer constituirt gewesen zu sein.

Unsere Aufgabe war es nicht, ein Bild unseres ganzen Verfassungskampfes zu geben, wie sich derselbe namentlich in dem Auftreten der Abgeordneten zur sogen. zweiten Kammer, manifestirt, sonst hätten wir all die Ehrenmänner mit schildern müssen, welche dreimal so glänzend das in sie gesetzte Vertrauen des Volkes gerechtgefertigt haben. Wir wollten dem deutschen Volke nur den Präsidenten der drei aufgelösten Versammlungen in dieser Eigenschaft zu schildern versuchen, und übergehen für heute die übrigen hervorragenden Mitglieder dieser Kammer, indem wir unserer Darstellung im Allgemeinen nur noch hinzufügen, daß Nebelthau nicht blos ein talentvoller kluger Mann ist, sondern auch stets ein Glanzpunkt in allen parlamentarischen Verhandlungen war, und das vermöge seiner Gewandtheit, seiner langjährigen parlamentarischen Erfahrung und seines tiefen Wissens, namentlich seiner Kenntniß des ganzen kurhessischen Staatshaushaltes. Der Leitung eines solchen Mannes, der keinen Einflüssen weder von rechts noch links zugänglich ist, bedarf aber auch das kurhessische Volk, um sein Ziel, die Wiederherstellung seines Verfassungsrechts von 1831, nicht nur endlich zu erringen, sondern aus dem langen und schweren Kampfe des Verfassungsrechts und der Eidtreue gegen die Machinationen der Verfassungsfeinde siegreich hervorzugehen.

S. H.




Ein schwäbisches Dichterleben.


Es war Abends fünf Uhr. Wir traten, wie gewohnt, in das so Vielen lieb gewordene Häuschen des Dichters ein, das am nordöstlichen Ende der Stadt Weinsberg, an der alten Heerstraße, die von Heilbronn über Oehringen nach Nürnberg führt, in reizender Umgebung liegt. Wir fanden Justinus Kerner auf dem Sopha neben dem Fenster sitzen, von Raritäten aller Art, langsam schreitenden Schildkröten, wichtigthuenden Laubfröschen, riesigen Gurken, buntscheckigem, großkörnigem Welschkorn in schuhlangen Kolben, glänzenden Granatäpfeln, Kuckuk rufenden Schwarzwälder Uhren, hellklingenden Spieluhren – umgeben, ein kleines Tischchen vor sich und mit köstlicher Behaglichkeit seinen weißen „Lindelberger“ schlürfend, sein weißes Brödchen essend. Das Zimmer ist mit Portraits reich behängt. Hier sind alte und neue Familienbilder, dort ist Herzog Max von Baiern, der Virtuos auf der Bergcither, neben ihm die Kaiserin mit dem tiefschwärmerischen, liebesuchenden Blick, gegenüber ihre Schwester, die Heldin von Gaeta, Edelsinn und Entschlossenheit in den schönen Zügen, neben ihr Lenau mit dem dunklen Auge, mit dem er so manches Herz dämonisirte, bis ihn selbst die Dämonen faßten. Die kleine Büste dort stellt Breslau vor, König Ludwig’s trefflichen Leibarzt, der mit Kerner in Tübingen studirte und als sein Jugendfreund es vermittelte, daß der König mit dem Sänger ging. Im Nebenzimmer sind die Bilder der württembergischen und baierischen Königsfamilie, darunter das des Prinzen Adalbert, der so oft und so gerne bei seinem „väterlichen Freunde“ in diesen Räumen weilte. An einem besonderen Plätzchen sehen wir die Seherin von Prevorst, stille, himmlische Züge im Antlitz. In einem niedlichen Kästchen sind Geschenke aller Art ausgestellt, Trinkgläser von verschiedenem Caliber, groß genug, um auch den berechtigsten Durst bis auf den Grund zu stillen. Im Hintergrund steht auf hohem Postament ein Marienbild in Stein gehauen, von dem kunstsinnigen Dichter aus einer alten Rumpelkammer hervorgezogen und dem Verderben entrissen.

In dieser Umgebung, unter Gewürm, das auf der Erde kriecht, unter vegetabilischen Ornamenten, unter Lebenden und Todten, unter Töchtern aus der Bauernhütte und aus der Königsburg trafen wir Justinus Kerner. Das ist immer noch eine imposante Gestalt, trotz der mehr als 70 Jahre, die auf seine Schultern drücken, groß und stark, zu einem kräftigen, gebietenden Wirken, scheint es, wie geschaffen, wenn nicht der Zug um den Mund das Weibliche in seinem Wesen verriethe, alle Gesichtszüge stark hervortretend, schöne, hohe Stirn, lange, weiße Locken, und diese ganze Figur in einem braunen, mönchartigen Gewand mit kurzem Kragen über die Schultern, eine Schnur um die Hüfte geschlungen. Es ist eine von den verschiedenen Eigenheiten Kerner’s, daß er in der Kleidung sich stets als einen Feind der Mode zeigte, und diese Eigenheit ist so tief eingewurzelt, daß wir sie bis zu seinem Confirmationstag verfolgen können. Als er im Jahre 1800 in seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_222.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)