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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und selbst die tugendhafte Augsburger Allgemeine Zeitung, verschmäht es nicht, die beträchtlichen Insertionsgebühren anzunehmen, die ihr von der Homburger Bank gezahlt werden.

Seit einigen Jahren – da Wiesbaden als Concurrent aufgetreten ist – läßt Herr Blanc eine französische Theatergesellschaft den Winter hindurch spielen. Die weiblichen Mitglieder derselben üben eine besondere Anziehungskraft auf manche junge Frankfurter Banquiers aus, und es gab eine Zeit, wo die Damen selbst nach der freien Reichsstadt kamen, um daselbst an den von mehreren der erwähnten Herren veranstalteten „soirées parisiennes“ Theil zu nehmen. Wahrscheinlich mußte der Director des Theaters gefunden haben, daß die Gastrollen der Damen von den „Soiréen“ ihre Leistungen am Theater beeinträchtigten, denn sie wurden angewiesen, ihre Thätigkeit auf Homburg zu beschränken.


(Fortsetzung folgt.)



Der Präsident einer deutschen Kammer.

Der Kampf des kurhessischen Volkes um seine Verfassung von 1831 erregt nun schon in’s zwölfte Jahr die Aufmerksamkeit und Theilnahme der ganzen civilisirten Welt. Die Wichtigkeit der Frage hat längst die ursprüngliche Bedeutung der Verfassung überflügelt, denn jetzt liegt ihr Schwerpunkt in der Entscheidung, ob überhaupt ein zwischen Fürst und Volk vereinbartes, vertragsmäßig feststehendes Verfassungsrecht wirklich ein solches, oder ob dasselbe willkürlich, einseitig, durch einen Machtspruch wieder beseitigt werden kann, sobald dasselbe nicht mehr genehm ist. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, ist die Theilnahme von ganz Deutschland an diesem Kampfe durch die Presse wie durch die Kammerverhandlungen eine ganz besonders berechtigte.

Um einen solchen Kampf zum Austrag zu bringen, dazu konnte die Vorsehung keinen besseren Volksstamm des ganzen deutschen Vaterlandes auserwählen, als den hessischen. Die lange Leidensgeschichte, die vieljährigen Kämpfe desselben mit seiner Regierung, während welcher diese bestrebt war, das gute Recht des Volkes zu verkümmern, haben sein Rechtsbewußtsein gestählt und Männer auf dem parlamentarischen Schlachtfelde herangebildet, die in Zeiten der Gefahr das Panier, welches die Inschrift führt: „Die Verfassung von 1831 muß eine Wahrheit werden!“ in feste, sichere Hand nahmen. Der Kern des kurhessischen Volkes, der eigentliche Bürgerstand, ist dabei im höchsten Grade vorsichtig, ja, man könnte sagen, mißtrauisch. Er wirft sich so leicht keinem Agitator in die Arme, er hat auch nach dieser Richtung hin zu reiche Erfahrungen gemacht. Von Schritt zu Schritt werden die Männer, die nach Volksgunst buhlen, verfolgt, mit Argusaugen bewacht und einer unbarmherzigen Kritik unterzogen, die weder Rücksicht noch Gnade kennt, wenn die entfernteste Spur einer falschen Fährte sich zeigen sollte. Das haben Viele von denen zu erfahren Gelegenheit gehabt, die seit 1830 auf der politischen oder socialen Bühne in Kurhessen aufgetreten sind.

Wir mußten dieses vorausschicken, wenn wir unseren Lesern die Situation klar und den von unsern Gegnern behaupteten Einwand, als sei die Aufregung in Kurhessen für das Verfassungsrecht von 1831 nur durch einige wenige ehrgeizige oder sonstigen Zweck verfolgende Agitatoren hervorgerufen worden und würde von denselben genährt und erhalten, zu Nichte machen wollen.

Aus dieser Schule ist auch Friedrich Nebelthau hervorgegangen, der unerschütterliche Rechtsheld, welcher von den drei hinter einander aufgelösten sogenannten zweiten Kammern stets wieder zum Präsidenten, gewählt worden ist. Nebelthau wurde, nachdem er das landstandsfähige Alter von 30 Jahren erreicht hatte (er ist geboren am 22. Januar 1806), von der Stadt Hersfeld als Abgeordneter in die Ständeversammlung gewählt und hat bis zu dem verhängnißvollen Jahre 1850 abwechselnd die Städte Hersfeld, Melsungen, Kassel und zuletzt den Bezirk Eschwege vertreten. Als Abgeordneter der Stadt Kassel auf dem Landtage von 1845–46 ward er zum ersten Male Präsident der Ständeversammlung, während er auf den Landtagen von 1847 und 1849 als Vicepräsident, neben den Präsidenten von Trott und Schwarzenberg, fungirte. Obgleich die damalige demokratische Partei auf dem Landtage von 1850, der sogenannten steuerverweigernden Ständeversammlung, nach dem Auftreten Hassenpflug’s in der Mehrheit war und Professor Bayrhoffer zum Präsidenten und Obergerichtsanwalt Cöster zum Vicepräsidenten gewählt wurden, nahm dennoch Nebelthau eine hervorragende Stellung in dieser Versammlung dadurch ein, daß er als Mitglied und Referent der wichtigeren Ausschüsse für Verfassungs-, Rechts- und Budgets-Angelegenheiten die Mehrzahl der gediegenen Berichte verfaßte, welche die bekannten Beschlüsse zur Folge hatten. Die Ständeversammlung ward aufgelöst, die Bundesexecution erfolgte, und die in anerkannter Wirksamkeit zwanzig Jahre lang bestandene Verfassung ward von der siegestrunkenen Reaction umgestürzt. Die Verfassung vom 13. April 1852 ward publicirt, das Zweikammersystem eingeführt und gleichzeitig ein Wahlgesetz erlassen, durch welches eine solche Wahlbeschränkung eintrat, daß alle Intelligenz von den Verhandlungen der zweiten Kammer ausgeschlossen blieb. Die alte constitutionelle Partei, die in den verhängnißvollen Tagen im März 1848 den Thron gerettet und gestützt, sie ward zur Seite geschoben und war anscheinend todt. Aber sie feierte nicht, sie arbeitete fort und wartete nur den günstigen Zeitpunkt ab, um mit aller Entschiedenheit für die Rechte des Landes hervorzutreten.

Nebelthau wirkte von da an durch Schrift und Wort an der Herbeiführung eines neuen Umschwungs. Von der Stadt Kassel nach dem Erscheinen der Verfassung vom 30. Mai 1860, unter Rechtsverwahrung für die Verfassung von 1831, als zweiter Abgeordneter neben dem Oberbürgermeister Hartwig in die sogenannte zweite Kammer gewählt, nahm er freudig die Wahl an mit dem bestimmten Vorsatze, für das gute Recht einzustehen. Die Kammer wählte ihn unter derselben Rechtsverwahrung, am 16. November 1860 mit 45 gegen 2 Stimmen zum Präsidenten. In der ersten öffentlichen Sitzung, am 29. November 1860, sprach Nebelthau offen und unumwunden aus: „Nie habe ich mit meiner Ueberzeugung zurückgehalten, stets habe ich sie offen ausgesprochen, und so bekenne ich denn auch jetzt nicht nur, daß ich ein strenger Anhänger der Verfassung von 1831 bin, sondern auch, daß ich am fortdauernden Rechtsbestand aller der Grundgesetze festhalte, welche seit dem Herbste 1850 auf eine mit dem älteren Verfassungsrecht unvereinbare Weise außer Wirksamkeit gesetzt sind. Unsere Lage ist eine sehr eigenthümliche. Um unsern Zweck, die Herstellung des älteren Verfassungsrechts, zu erreichen, fügen wir uns äußerlich der neuen Ordnung der Dinge. Begreiflicherweise kann das nur unter den äußersten Vorsichtsmaßregeln geschehen, unter Rechtsverwahrungen, welche eine Verschiebung unseres Standpunktes verhüten sollen. Unter Protest werden wir zu Landtagsabgeordneten gewählt, unter Protest haben wir angenommen, eben so verfuhren wir bei der Wahl des Präsidiums und des Büreaus, und auch heute vor der Ableistung des Eides in die Hände des mit der Eröffnung des Landtags betrauten Herrn Commissars habe ich in gleicher Weise zu verfahren mich gedrungen gesehen. Meiner schriftlich bei kurf. Landtagscommission eingelegten Verwahrung gegen jede über den klaren Wortsinn der Eidesformel hinausgehende Deutung haben sich außer dem Herrn Vicepräsidenten Ziegler noch 37 von Ihnen angeschlossen. Ich wünsche von ganzem Herzen, daß wir uns – ohne dem Rechte des Landes etwas zu vergeben – recht bald von dem ängstlichen Boden der Rechtsverwahrungen und Cautelen losmachen können.“ Dieser aufrichtig gemeinte Wunsch ist bis heute noch nicht in Erfüllung gegangen!

Der 8. December 1860 war herangekommen, an welchem zum ersten Male die Entscheidung erfolgen sollte, ob die Kammer sich für incompetent zur Vornahme landständischer Geschäfte erklären würde, oder nicht. Die Spannung war groß. Zum ersten Male seit 1850 waren die Tribünen wieder überfüllt. Die Debatte begann, und ohne sich in dieselbe einzumischen, leitete sie der Präsident, nach rechts und links, nach oben und nach unten wahrend und einschreitend, mit musterhaftem Takte durch, indem er sogar, als dieselbe drohte, das richtige Gleise zu verlassen, rechtzeitig einschritt. Die Kammer erhob die Anträge des Verfassungsausschusses zum Beschlusse, die Auflösung derselben erfolgte sofort. Der Präsident erhob sich von seinem Sitze mit den Worten: „So gehen wir denn in Frieden nach Haus und setzen unser Hoffen auf eine andere Zeit.“ Diese wenigen Worte, die aber den Charakter und die Zähigkeit des Redners bekunden, gingen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_220.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)