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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

gelangen, als Zuseher aber fast gar nicht verweilen konnte. Rings umher standen Bedienten in Livree, die jeden Ankommenden mit prüfenden Blicken maßen; mir mußten sie gleich angesehen haben, daß ich keine Goldfüchse mitbrachte, denn sie nahmen gar keine Notiz von mir, während sie sich beeilten, anderen Herren, die mit mir eingetreten waren, Hut und Stock abzunehmen. Eine Menge Damen, deren Aeußeres weit mehr auffallend als schön war, gingen hin und her; ich hatte manche derselben in Paris auf öffentlichen Bällen und in Gärten gesehen, wo sie eine weit untergeordnetere Rolle spielten, als nunmehr, wo sie alle sehr elegant gekleidet waren und sich theilweise in Begleitung von sehr eleganten jungen Leuten befanden, die natürlich alle hoch spielten. Einer dieser Letzteren war mir von Paris bekannt, wir begrüßten uns, ich bat ihn, mir Hrn. Garcia zu zeigen. „Der große Mann ist noch nicht da,“ antwortete mir Jener, „aber in einer halben Stunde wird er ankommen, und Sie können ihn leicht erkennen, er sitzt immer gegenüber dem Tailleur[1] und spielt immer den höchsten Satz von 12,000 Francs (über 3000 Thaler), Einstweilen lenke ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen andern interessanten Spieler, der eben mit seiner Escorte ankommt.“ Ich wandte meine Blicke nach der bezeichneten Richtung und sah eine in ihrer Art einzige Gruppe. Voran ging ein junger Mann von etwa achtundzwanzig Jahren mit einem ganz jungen, fast unschuldig aussehenden schönen Mädchen; die Beiden hielten sich an den Händen und wiegten sie in idyllischer Weise hin und her, wie etwa ein junges Ehepaar, das allein im eigenen Garten lustwandelt; unmittelbar hinter ihnen kamen zwei Männer, deren Gesichter eine unverkennbare Familienähnlichkeit mit dem des jungen Mädchens zeigten; den Schluß der Escorte bildete ein kleiner Mann mit einer ausgeprägten orientalischen Physiognomie, und endlich ein hochgewachsener blonder, den man für einen Engländer halten mochte. Der Führer der Dame war ein Vicomte de L–y, der im Vereine mit dem zuletzt Bezeichneten, einem Baron *– der Name ist mir nicht mehr gegenwärtig – ein Spielsystem erproben wollte. Beide waren Belgier, gehörten zu den besten und reichsten Familien des Landes, waren aber Beide um ihres wüsten Lebenswandels willen mit einer Art von Interdict belegt, vermöge dessen sie nur über einen Theil ihrer Einkünfte schalten konnten. Das Mädchen war die Tochter eines Coiffeurs aus einer kleinen Provinzialstadt, die beiden Männer, die dicht hinter ihr folgten, waren – – – ihr Vater und Bruder, der kleine Orientale fungirte als Secretair der Cavaliere.

Von der ganzen Gesellschaft zeigte nur der Blonde ein einigermaßen anständig zu nennendes Aeußere. Der Vicomte sah nicht blos erschreckend abgelebt aus, sein Blick war fast unheimlich, sondern auch die ganze äußere Erscheinung ließ auf alles Andere eher schließen, als daß er den bessern Ständen angehörte. Sein Anzug befand sich in einem derartig verwahrlosten Zustande, daß ein ordentlicher Handwerker sich schämen würde, so mit seinem Mädchen an einem öffentlichen Orte zu erscheinen, und daß auch ein ordentliches Mädchen seine Begleitung nicht annehmen würde. Das Hemd war schmutzig, die Manschetten zerfasert und fast schwarz; Hände und Nägel des edlen Vicomte schienen von der Seife und der Bürste seit mehreren Tagen nicht berührt worden zu sein. Was seine Begleiterin betraf, so konnte man nicht einen Augenblick zweifeln, daß sie zu ihm paßte; wohl nie gab es eine lebendigere Illustration des Sprüchwortes: Gleich und gleich gesellt sich gern, als dieses Liebespaar; hier hatte sich nickt Herz zu Herz, sondern Schmutz zu Schmutz gefunden; die Hände der jungen Dame schienen noch seifebedürftiger, als die des Vicomte, ihr Haar war kaum gekämmt zu nennen, und in dem einen Aermel ihrer noch neuen Seidenmantille erblickte ich ein ziemlich großes Loch, das augenscheinlich eingebrannt war, und auf welches ich des Lesers Aufmerksamkeit lenke, weil dasselbe noch später eine Rolle spielen wird. Der Vater dieses unglücklichen jungen Geschöpfes, dessen Jugend und Schönheit ein besseres Loos verdient hätte, besaß eine der ausgeprägtesten Gaunerphysiognomien, die mir je vorgekommen, und so sehr ich mir Mühe gab, mich zu überreden, daß meine Meinung eine vorgefaßte sei und daß der Mann an einem anderen Orte auch als ein ganz Anderer erscheinen würde, so konnte ich mich doch des widerlichsten Eindruckes, den sein Gesicht, so wie sein ebenfalls unsauberes Aeußeres, das rauhe gemeine Organ und sein lauerndes Wesen in mir hervorbrachten, nie erwehren. Sein Sohn verhielt sich ganz passiv; es schien, als ob er der Einzige wäre, der noch ein dunkles Gefühl für die Erniedrigung befaß, in der seine Schwester und die Familie lebte, denn er ließ sich möglichst wenig sehen. Der kleine Secretair hatte einen Anflug von Reinlichkeit in seinem Erscheinen; der blonde Baron konnte sogar Anspruch erheben, daß er wie ein anständiger Mensch aussah; er war der Einzige, der Handschuhe trug.

Die beiden Cavaliere traten mit der Dame an den Spieltisch und begannen gleich mit dem Einsätze einer Summe, von der eine anständige Bürgerfamilie ein Jahr hindurch bequem leben konnte. Sie waren in auffallender Weise vom Glücke begünstigt, und hatten in kurzer Zeit einen Gewinnst von etwa zehntausend Thalern erzielt. Man erzählte mir, daß sie schon seit mehreren Tagen mit dem gleichen Erfolge spielten, und ich bitte den Leser, diesen Umstand im Gedächtnisse zu behalten, da ich ihm die eben beschriebene Gesellschaft später noch einmal vorführen werde.

Da der Löwe des Tages, Herr Garcia, noch immer nicht angelangt war, trat ich an einen der Roulette-Tische, wo die kleineren Spieler saßen, die über geringere Summen disponiren. Fast ein Jeder von ihnen hatte irgend ein bemaltes oder bezeichnetes Papier vor sich liegen, ein unfehlbares System, nach welchem er spielte. Einer derselben hatte eine kleine Maschine, die wie eine Miniatur-Drehorgel aussah, vor sich stehen, bewegte sie hin und her, stach mit einer Nadel wiederholt in die darin angebrachten Tabellen und flüsterte seinem Nachbar und Compagnon die Weisung zu, wohin er setzen sollte. Während der fünf Tage, die ich in Homburg verbrachte, sah ich mehrere dieser Unfehlbaren ihr Geld bis auf den letzten Heller verspielen. Andere setzten nur auf Nummern, und bei der Masse von Spielern, die oft auf dieselben Nummern spielten, kam es sehr häufig vor, daß der Eine den Andern den Gewinn streitig machte und behauptete, er allein habe auf die Nummer gesetzt; der Streit wurde selbstverständlich immer in leidenschaftlicher Hitze und daher nicht in den gewähltesten Worten geführt; mitunter kam es aber auch vor, daß zwei Streitende sich in einer Weise apostrophirten, daß man sie in keiner Kneipe geduldet und unfehlbar hinausgeworfen hätte. In dem eleganten Homburg aber, das in allen Zeitungen seine Pracht und seinen Comfort ankündigt, werden derartige Vorgänge fast ignorirt, vorausgesetzt, daß die Streitenden noch Geld haben; die Croupiers sehen eine Weile zu – sie sind an solche Zwischenspiele eben schon gewöhnt – dann rufen sie: „Messieurs, faites votre jeu“ und dieses Commandowort lenkt wieder die allgemeine Aufmerksamkeit nach den rollenden Kügelchen.

Auch viele Frauen spielen an der Roulette; unter ihnen erblickte ich die Gräfin H–ff, die Gemahlin eines Mannes, der in einem großen Reiche einen hohen Posten bekleidet; sie lebt schon seit Jahren getrennt von ihm, meistens in Homburg und in andern Bädern. Einst besaß sie ein sehr großes Vermögen und so viele Häuser in Homburg, daß eine Straße nach ihr benannt war, sie spielte nur mit Gold; jetzt sind die Häuser Eigenthum der Bank, und die Dame spielt mit einzelnen Silbergulden. Man erzählte mir, daß sie Alles aufgewandt hätte, um sich von der unglückseligen Leidenschaft zu retten, daß sie sogar nach Rom zum heiligen Vater gewandert war, um von seinem Segensspruche Heilung zu erbitten, doch vergebens! Es wird der Armen zuletzt wohl ergehen, wie es einem ihrer Landsleute erging. Dieser Mann, der allgemein als einer der tüchtigsten Diplomaten, ja, in mancher Hinsicht als ein Genie anerkannt, zu den wichtigsten Missionen verwandt worden war, die er immer mit dem größten Erfolge durchführte, dem eine der glänzendsten Carrièren bevorstand, und der nur noch wenige Sprossen der Leiter zu erklimmen hatte, um auf einen sehr hohen Platz zu gelangen, war zu seinem Unglücke nach Süddeutschland in die Nähe der Spielbäder gesendet worden; er, der früher immer in geregelter Weise gelebt hatte, verfiel der Leidenschaft des Spieles, verlor sein ganzes Vermögen und gerieth in die unangenehmste Lage; seine Regierung, eingedenk seiner Dienste und eminenten Fähigkeiten, befreite ihn mehrere Male aus der Verlegenheit; doch immer auf’s Neue führte ihn die unbezwingbare Leidenschaft an den Spieltisch, und jetzt – lebt er, des Dienstes entlassen, wie ein Flüchtling, versteckt in einer Stadt an der italienischen Grenze.

Ich war eben daran, mein Glück zu versuchen, um nicht immer als ein müßiger Zuschauer da zu stehen, als plötzlich eine Bewegung im Saale entstand und viele Leute nach einem Trente-

und Quarante-Tisch drängten; ich hörte von allen Seiten die

  1. So heißt im Trente und Quarante der Croupier, der die Karten handhabt und die Points ankündigt
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_218.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)