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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

so häufig das vorher mühsam Erhaltene wieder in Frage stellen. Als vollkommen gesichert davor kann man den Körper erst dann betrachten, wenn es gelungen ist, ihm seine volle Kraft und Lebensfrische zurückzugeben. Dies erreicht man einzig durch zweckmäßige Lebensweise und zwar um so schneller, wenn man Gymnastik hinzufügt.

Die geringe Streckung, deren die Verkrümmung fähig ist, so wie eine Verbesserung der meist sehr verdorbenen Haltung ist ebenfalls durch Gymnastik anzubahnen. Das Hauptgewicht aber muß auf alle Hang-Uebungen gelegt werden, bei welchen der Körper durch seine eigene Schwere eine ganz ansehnliche Dehnung erfährt.

Diese Verlängerung ist zwar zunächst keine bleibende, kann aber durch häufige Wiederholung und längere Dauer des Hanges teilweise zur bleibenden werden. Um nun den Hang auf längere Zeit möglich zu machen, als es die eigene Kraft des Kranken vermag, wendet man besondere mechanische Vorrichtungen an, deren einfachere Form, die Glisson’sche Schwebe, sich auch zum Gebrauch in Privatwohnungen eignet, während die in orthopädischen Anstalten gebräuchliche Kunde’sche Gehmaschine für den Privatgebrauch zu umfänglich und kostspielig ist.

Hat die Verkrümmung bereits eine gewisse Grenze überschritten, so ist außerdem, während der Kranke in aufrechter Haltung verweilt, ein Stützapparat von ihm zu tragen, durch welchen der Wirbelsäule ein Theil der Last, welcher auf ihr ruht, abgenommen wird; andernfalls ist ein immer weiteres Zusammensinken des Körpers unausbleiblich. Auch mit Stützapparat darf der Kranke nicht anhaltend gehen, stehen und sitzen, sondern muß täglich mehrmals die Wirbelsäule durch Einnehmen der Horizontallage entlasten.

Sind Schmerzen in der Seite oder den Beinen, Athmungs- und Verdauungsbeschwerden vorhanden, die regelmäßigen Begleiter höherer Grade dieser Verkrümmung, so gelingt es auf diesem Wege meist, sie zu beseitigen. Der Kranke selbst weiß am besten, was das zu bedeuten hat, und wird diesen Gewinn sicher nicht gering achten, obgleich er den Formfehler behält.

Alles in Allem betrachtet aber sind es doch ziemlich bescheidene Erfolge, auf welche die Orthopädie bei Behandlung dieser Form der Rückgratsverkrümmung rechnen kann. Nur in seinen ersten Anfängen kann dem Leiden wirksam begegnet werden; und es ist, wie bereits bemerkt, der Zweck vorstehender Zeilen, diesen Anfangserscheinungen eine größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, als sie bis jetzt gefunden zu haben scheinen. Gelingt mir dies, so wird der Orthopäd künftig doch nicht mehr gar so oft in den Fall kommen, mit schwerem Herzen sagen zu müssen: „Es ist zu spät; die Verkrümmung ist nicht mehr zu beseitigen.“





Aus den deutschen Spielhöllen.

Von E. v. S–g.
Nr. 1. Homburg.
Der Spanier Garcia und sein Ruf – Die Stadt Homburg – Im Spielsaale – Eine Spielerfamilie – Die Spielsysteme – Gräfin H. und ein
ruinirter Diplomat – Garcia’s Persönlichkeit – Die Gebrüder Blanc, Gründer des Spielhauses – Der Aufschwung Homburgs.

Ich war, von Paris kommend, in Frankfurt a. M. im Hotel de Ruffie abgestiegen und speiste an der table d’hôte um 5 Uhr. In meiner Nähe saßen mehrere Mitglieder der fremden, in der freien Reichsstadt residirenden Gesandtschaften. Sie sprachen zuerst von einer Bundestagssitzung, worin die holsteinsche Frage verhandelt worden war, moquirten sich ganz laut über die langen Protokolle, über die immer wiederkehrenden Phrasen, über die großen Anläufe und kleinen Sprünge des Bundestags, und ein französischer Diplomat, der den Ton am Tische anzugeben schien und sich in Reden und Anspielungen gefiel, die ich zum ersten Male an einem Tische, wo Damen saßen, aus dem Munde eines der „höhern Gesellschaft“ angehörigen Mannes vernahm, meinte ganz laut: Die Verhandlungen des Bundestags glichen der Cur des Bandwurms, wo man immer Glieder des Leibes, aber keinen Kopf zu sehen bekommt. Plötzlich veränderte sich die Conversation und wurde ernst: man sprach vom Spiele und von dem glücklichen Spanier Garcia, der seit einigen Tagen wieder in Homburg angekommen war. Er hatte in der verflossenen Saison fast anderthalb Millionen Franken gewonnen, und es schien als ob ihn das Glück neuerdings begünstigen wollte. Die verschiedensten Erläuterungen über die Art seines Spieles wurden vorgebracht. Jeder der am Gespräch Betheiligten wollte die genauesten Beobachtungen über das „System“, welches jener große Mann befolgte, angestellt haben. Eine wichtige politische Angelegenheit, die römische Frage, ein neuer Krieg in Italien, die Stellung des Kaisers Napoleon zu Oesterreich konnte nicht mit größerem Ernste besprochen und nach allen Richtungen hin erörtert werden, als das Spiel des Herrn Garcia, die Summen, die er bisher gewonnen hatte, und die Frage, ob er seine großen Gewinnste der Verfolgung eines voraus entworfenen Planes, eines „Systems“, oder blos dem glücklichen, ihn immer begünstigenden Zufalle verdanke. Die Herren gingen zuletzt zu mathematischen Berechnungen über, nahmen Papier und Bleistift zur Hand und entwarfen die Figuren, nach denen man am sichersten gewinnen könnte. Das Diner war zu Ende, der Kaffee wurde herumgereicht, die meisten Gäste verließen den Saal, auch ich entfernte mich, nur die Herrn Diplomaten blieben zurück, im ernstesten Gespräche über die obenerwähnte Angelegenheit vertieft.

Ich ging ins Theater, man gab ein Lustspiel; als ich eintrat, fiel gerade der Vorhang; der erste Act war zu Ende. Ich begab mich ins Büffet: dort wurde von Homburg, Wiesbaden und von Monsieur Garcia gesprochen; ich flüchtete auf die Straße, gegenüber dem Theatergebäude befindet sich ein Kaffeehaus, ich ließ mir eine Tasse Eis reichen und nahm das „Intelligenz-Blatt der freien Stadt Frankfurt“ zur Hand: die erste Localnotiz, auf die mein Auge fiel, handelte von Homburg und Garcia; das nächst vor mir liegende Blatt war der französische Figaro: der Leitartikel war ein Brief des M. de Villemessaut über die deutschen Bäder, über Garcia und andere Spieler. Alle Frankfurter Blätter waren überdies noch gefüllt mit Ankündigungen von Bällen, Concerten, Festivals in den Spielbänken und den Vortheilen, welche diese oder jene Bank den Spielern gewährt; das System der Anlockung war so vollständig organisirt, daß ich mich entschloß, es in der unmittelbaren Nähe, so zu sagen an der Quelle, zu prüfen. Ich war zwar nicht das erste Mal an jenen Orten, hatte aber immer nur einige Tage in dem einen oder dem anderen verbracht. Ohne Zweck und Ziel für die nächsten Wochen nahm ich mir vor, endlich den Wünschen des Herausgebers der Gartenlaube nachzugeben, diese Spielorte behufs einer ausführlichen Schilderung nach einander zu besuchen, und den Kelch ihrer Genüsse bis auf die Neige zu leeren.

Ich fuhr zuerst nach Homburg. Der Ort bietet an und für sich, d. h. als Landaufenthalt, nicht den mindesten Reiz. Er besteht aus einer langen Gasse; jedes Haus ist entweder ein Gasthof oder ein Hotel garni; kein einziges – factisch– wird von seinem Eigenthümer allein bewohnt. Hinter dem „Curhause“ sind jetzt einige neue Häuser gebaut worden, die den Anfang einer schönen Straße bilden. Gegen das Ende der Hauptstraße tauchen einige von Handwerkern und Kleinbürgern bewohnte Nebengäßchen auf; sie führen nach dem landgräflichen Schlosse, dessen langweiliger und von den Fremden fast nie besuchter Garten der einzige nahe Spaziergang ist; jeder andere liegt schon in solcher Entfernung, daß er einen längern Ausflug fordert. Das ganze gesellschaftliche Leben Homburgs ist also in dem Curhause concentrirt, und dieses ist auch mit einer Pracht gebaut und ausgestattet, daß zehn Landgrafen von Homburg, wenn sie es auf ihre Kosten herstellen wollten, sich daran arm gebaut hätten.

Sie werden mir wohl die Beschreibung der großen und kleinen Säle, der Lesezimmer, der Buffets und des Kaffeehauses erlassen und mir erlauben, gleich auf die Beobachtungen, die ich am wichtigsten Orte angestellt habe, überzugehen. Es waren zwei Trente- und Quarante-Tische und zwei Rouletten im Gange, und alle derartig besetzt, daß man nur mit großer Mühe als Spieler daran

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_217.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)