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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)


dauernden Werth haben. Das Ganze ist ein schätzenswerthes Material für den künftigen Geschichtsschreiber, der freilich mit einer gewissen Kritik dabei verfahren muß; noch wichtiger aber erscheinen diese Auszeichnungen für den Dichter und Denker, dem sie die Stimmungen der Zeit getreulich widerspiegeln, für den sie das todte Gerippe der Begebenheiten mit lebendigem Fleisch bekleiden. Vermöge seiner ganzen Stellung und durch seine vielfachen Verbindungen war Varnhagen in den Stand gesetzt, Personen und Zustände in einem andern Lichte zu sehen, als die große Menge. Seine intimsten Bekanntschaften reichten bis in die höchsten Regionen, und so kam es, daß er manchen Blick hinter die Coulissen der großen Welt thun durfte, daß er die Motive und Gesinnungen der Regierenden genauer kannte und besser beurtheilte, als Viele.

Max Ring.




Erinnerungen.
Memoiren-Bruchstücke von Franz Wallner.
Nr. 2. Berühmte Menschen.

„Wer ist da?“ rief mein Reisegefährte Honeck (Cohen) verdrießlich in die raucherfüllte Stube hinaus, die in der Faubourg Poissonnière inmitten unserer beiden Schlafzimmer lag. „Wer ist da?“ wiederholte er, als nicht gleich Antwort kam.

Heinrich Heine,“ tönte es zurück.

Was ein berühmter Name für Wirkung hervor bringt! Mit einem Sprunge waren wir Beide aus dem Bette auf die kalten Steinfließen gesprungen, im Nu in die Morgenkleider geschlüpft, um den verehrten Gast, an den wir Tags vorher unsere Empfehlungsbriefe abgegeben hatten, nicht warten zu lassen. Damals hatte Heine noch keine Ahnung von den namenlosen Leiden, von welchen er später heimgesucht wurde, nur ein heftiger nervöser Augenschmerz, von dem die entzündeten Deckel und Ränder Zeugniß ablegten, wollte, wie er sagte, nicht wanken und nicht weichen. Ein eben von ihm erschienenes größeres Portrait von Pucht, welches er mir zum Andenken mitgab, gab seine ausdrucksvollen Züge zum Sprechen ähnlich wieder und ziert noch jetzt mein Arbeitszimmer, nachdem es mich auf allen Kreuz- und Querzügen meines wechselvollen Wanderlebens begleitet hatte. Wir gaben uns ein Rendezvous in der Gallerie Orleans im Palais Royal, wo wir ihn, da wir gestern das Malheur hatten, ihn nicht in seiner Wohnung zu treffen, nach Hause begleiten sollten. Dort wolle er uns „seine Mathilde“ (Heine’s nachmalige Frau) vorstellen, wir sollten dann Alle zusammen in Rocher de Cancale diniren und Abends die damals neue Oper „die Hugenotten“ hören. Die Billets würde uns Heine schaffen, da die Erwerbung von solchen, ohne ganz besondere und außerordentliche Protection, bei dem Fanatismus und dem massenhaften Andrang, den die geniale Schöpfung Meyerbeer’s hervorrief, zu den Unmöglichkeiten gehörte.

Von den zahllosen kleinen Scherzen und trotzigen Impromptus Heine’s ist mir Weniges im Gedächtniß geblieben, weil ich in fieberhafter Unruhe und Spannung den Theaterabend kaum erwarten konnte. Ich äußerte dies gegen ihn. „Ja,“ entgegnete er, „wir werden heute von 7 Abends bis 1 Uhr Morgens viel Vergnügen auszustehen haben.“ – „Wie!“ rief ich erstaunt, „das sagen Sie, der Sie jüngst die prächtige Kritik über die Hugenotten in die Augsburger allgemeine Zeitung geschrieben haben?“ – „Ja, lieber W., ich hatte leicht eine gute Kritik schreiben, ich werde die Oper heute zum ersten Male hören.“

Und so war es auch, Heine hatte sich aus den vorhandenen Urtheilen über das Meyerbeer’sche Werk sein eigenes geschaffen, und dieses mit allem Aufwand der nur ihm zu Gebote stehenden geistreichen Schilderungskraft veröffentlicht. Auf dem Wege nach dem Theater erzählte der Schalk, daß er Spontini heute recht ärgern wolle, weil er mit Meyerbeer viel zu sprechen gedenke.

Im Jahre 1846 traf ich ihn wieder, aber schon leidend, verstimmt und ängstlich, obgleich noch lange keine Aussicht zu ernstlicher Befürchtung da war. Ich hatte ihm und einer Baronin von Santenwel Briefe von Freiligrath mitgebracht, und an letzterer eine eben so liebenswürdige, als geistreiche Dame kennen gelernt, die sich ungemein warm für den verbannten, damals in Brüssel lebenden Freiligrath interessirte. Ihren Wunsch, einen Abend in der Gesellschaft, in welcher sie jeden Mittwoch die bedeutendsten Menschen bei sich versammelte, zuzubringen, lehnte ich dankend ab, da ich Paris als Fachstudium besucht hatte und keinen Abend versäumen wollte, ohne in irgend ein, manchmal auch in zwei oder drei Theater zu gehen. „Da die Theater hier monatelang dieselben Stücke geben,“ meinte meine gefällige Gönnerin, „so wird sich schon während Ihres Hierseins noch ein Abend finden, wo Ihnen sämmtliche Bühnen nichts besonders Interessantes bieten, dann lassen Sie es mich 24 Stunden vorher wissen, und Sie sollen Abends bei mir etwas finden, was Sie in ganz Paris vergebens suchen würden.“ Die Neugierde, was dies wohl sein könne, bestimmte mich, von der freundlichen Einladung Gebrauch zu machen und der Dame einen Abend zu nennen, an welchem ich bei ihr erscheinen würde. Bei meinem Eintritt in den eleganten Salon, in dem bereits eine zahlreiche Gesellschaft versammelt war, trat sie mir, der ich mich selbst immer über meine Gespanntheit mit Meidinger lustig machte, mit den scherzhaften Worten entgegen: „Heute können Sie sich einmal ungenirt gehen lassen; reden Sie, wie Ihnen der Schnabel wuchs; Sie finden heute in meinem Hause nur Deutsche, keinen einzigen Franzosen.“ Welch’ eine Menge damals im Exil lebender Landsleute: Heine, Ruge, Herwegh, Börnstein etc.! Letzterer gab damals ein, später unterdrücktes, Journal „Vorwärts“ heraus, in welchem unter dem Namen H. Heine eben ein kleines Gedicht erschienen war, von dem er die Vaterschaft aber entschieden ableugnete; und in der That scheinen die beiden Verse „Pein“ und „Bein“ sich schlecht mit der eleganten Schreibweise des berühmten Verfassers des „Buchs der Lieder“ vereinigen zu wollen. Das Gedichtchen machte damals viel Glück, ich weiß nicht, ob es später bekannt und nachgedruckt wurde. Es hieß Selbst-Ironie:

Den Gärtner ernährt sein Spaten,
Den Bettler sein lahmes Bein,
Den Wechsler seine Ducaten,
Mich meine Liebespein! –

Drum bin ich Dir verbunden,
Du Mädchen, für Dein treulos Herz,
Viel Geld hab’ ich gefunden
In meinem Liebesschmerz.

Ich schrieb bei nächtlicher Lampe
Den Jammer, der mich traf,
Er ist bei Hoffmann und Campe
Erschienen in klein Octav.

„Vorwärts“ wurde von der Pariser Polizei verboten, die Hauptmitarbeiter von derselben ausgemaßregelt und zerstreuten sich in alle Winde. Börnstein ging nach Amerika, wo er eine ganz seltsame Carrière durchmachte. In Paris konnte man sich keinen besseren Führer als ihn denken, er kannte Alles, wußte Alles, correspondirte mit allen deutschen Zeitungen, übersetzte alle französische Stücke, die in Paris irgend Glück machten, besorgte Hunderte von Commissionen und fand bei seiner rastlosen Thätigkeit doch noch immer Zeit, dem Fremden in seinem gastfreundlichen Hause, im Kreise seiner liebenswürdigen Familie einige heitere Stunden zu widmen. Was hat der Mann in Amerika Alles unternommen und mit Glück durchgeführt! Redacteur des großen in St. Louis erscheinenden Journals „Der Anzeiger des Westens“, Buchdruckerei- und Theater-Besitzer, Bierbrauer, Theaterdirector und Schauspieler war er zu gleicher Zeit, beim Ausbruche des Krieges trat er als Stabsofficier und Adjutant in die Armee ein, und jetzt bekleidet er den lohnenden und ehrenvollen Vertrauensposten eines amerikanischen Consuls in Bremen. Während der Zeit leitet der ältere tüchtige Sohn Börnstein’s die vielfachen Geschäfte seines Vaters jenseits des Oceans, während der zweite ihm als Viceconsul nach Europa gefolgt ist. –

Freiligrath fühlte sich damals in Brüssel nichts weniger als behaglich. Trotzdem, daß ihm seine liebenswürdige, prächtige Frau mit den Kindern in die Verbannung gefolgt war, lag ihm


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