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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Mit Hülfe dieser Zeichnung kann man augenblicklich finden, auf wie vielerlei und auf welche Arten ein Ball doublirt, triplirt etc. werden kann. Man darf nur von dem Punkte, auf welchem der Ball steht, nach allen Löchern der betreffenden Hülfsbillards (also den mit 2 bezeichneten, wenn die Doubles, nach den mit 3 bezeichneten, wenn die Triples gesucht werden sollen etc.) Linien ziehen. Diejenigen von diesen Linien, welche von innen in die Löcher der Hülfsbillards treffen, und dieselben nicht bloß von außen berühren, also die quer über die Fläche des Hülfsbillards hinweglaufen, geben allemal eine Richtung an, nach welcher der Ball gemacht werden kann. Das Loch, in welches der in dieser Richtung gespielte Ball endlich läuft, ist kein anderes als das durch denselben Buchstaben bezeichnete, nach welchem man auf dem Hülfsbillard visirte. Will man den weitern Lauf des Balles verfolgen, so sucht man für den Punkt, wo die Bande von ihm berührt wird, die Richtung, indem man nun die Hülfsbillards von nächst niederm Range zu Rathe zieht. Denn nachdem der Ball einmal schon von der Bande abgeschlagen ist, wird aus einem Quadruple ein Triple, aus einem Triple ein Double etc. Um die Richtung zu finden, nach welcher ein Ball in ein bestimmtes Loch auf dem Billard zu spielen ist, wird man unter diesen Hülfsbillards aber allemal nur ein einziges brauchbar finden. Denn es ist in diesem Falle die Regel zu berücksichtigen, daß die Richtungslinie des Balles nicht bloß quer über die Fläche des Hülfsbillards, sondern auch quer über die Fläche des Hauptbillards hinlaufen muß. Es bietet aber durchaus keine Schwierigkeit, mit Hülfe einer solchen Zeichnung die Bahn eines Balles anzugeben, der 5, 6, 7 oder mehr Mal die Banden berühren soll, ehe er in ein bestimmtes Loch geht. Und wenn es auch in der Praxis schwierig, wo nicht gar unmöglich ist, sich rasch mit den ja nur in Gedanken existirenden Hülfsbillards zurecht zu finden, so wird ein solches Billardspielen auf dem Papier das Auge doch auch für die Beurtheilung der Bälle in der Wirklichkeit im höchsten Grade üben.


Manchmal geht Studiren doch über Probiren!




Ein Blick in’s freie Italien.
Tagebuch-Blätter von Adolf Stahr.
Nr. 2.
Auf der Terrasse – Maestro Gaetano Braga – Girolamo Induno und seine Errettung – Garibaldi und seine Verheirathung – Der Mangel an Straßen und Schulen – Die italienischen Priester – Marchese d’Azeglio.
Varenna, 13. September 1861.

Ich schreibe Dir auf der Terrasse im Schatten des blühenden Oleanders und des Weinstocks, die sich über mir zur Laube wölben. Alles ringsumher ist sanfte sonnenbeglänzte Stille. Nur die Wellen des Sees, der gestern bei starkem Winde hohe weißschäumige Wogen schlug, heute aber wie ein blauer Stahlspiegel, den Himmel mit seinen leichten weißen Wölkchen widerstrahlend, im hellen Sonnenglanze vor uns liegt, murmeln und plätschern ihr eintöniges Liedchen tief unten an den Steinquadern der Terrasse, wie sie es vor fast zweitausend Jahren zur Zeit des alten Plinius Secundus gethan, der auch von hier aus, an diesem „göttergeliebten Ufer“ seines Lacus Larius, so manche seiner Episteln an die Freunde in dem fernen Rom geschrieben hat. An der andern Seite der Terrasse sitzt die junge Gattin unseres Wirthes, eine Freundin der Familie Venini, die Signora Giulia Marcionni, eine der schönsten Italienerinnen, die meine Augen je gesehen, eine wahre „Julia“ an Schönheit, plaudernd neben einem jungen schwarzköpfigen Milanesen, einem überaus feinen, mädchenhaft zierlichen jungen Manne, der in einem nahen Bade seine im Freiheitskampfe empfangenen Wunden ausheilt, und täglich hinabkommt, hier auf der Terrasse zu frühstücken. Er hat unter Garibaldi in Sicilien und Calabrien gefochten und eine furchtbare Narbe, die vom Schädel über die linke Schläfe sich hinabzieht – ein Andenken, das ihm eine gesprungene Kartätschenkugel, die seinen Kopf streifte, zurückgelassen hat, – giebt davon sichtbare Kunde. Er ist ein reicher Kaufmannssohn ans Mailand, und außer einem jungen neapolitanischen Maestro, der sich in diese Einsamkeit zurückgezogen hat, um seine neue Oper für die Scala fertig zu componiren, und der dicht neben uns in einem ziemlich spelunkenhaften Privathause sich und seinen Flügel einquartiert hat, ist er unser einziger Genosse auf der Terrasse der Casa Marcionni.

Der Maestro heißt Gaetano Braga, hat schon zwei Opern in Neapel und Wien und eine andere in Paris ausführen lassen, und gilt für das begabteste musikalische Genie des jungen Italiens. Er ist, wie wir, täglicher Gast in der Familie Venini, die ihn sehr hoch halten, und an sprudelndem Humor und ausgelassener Lebendigkeit des Wesens ein echtes Kind seiner vulcanischen Vaterstadt. Wenn er in seiner rothen Garibaldiblouse mit irgend einer Tisch und Stühle überschwingenden Capriole früh Morgens singend und trällernd auf der Seeterrasse erscheint, während wir noch auf unserm Zimmer sind, so ist es, als wenn mit ihm eine ganze Compagnie lustiger Gesellen eingerückt wäre, denn er macht Lärm für zehn. Bald singt und tremulirt er mit seiner überaus klangreichen, südlich biegsamen Stimme irgend welche heroische Opernarien, während er sich dazu mit wahrhaft orchestermäßigem Spectakel auf dem Pianoforte des an die Terrasse stoßenden Salons begleitet und dazwischen irgend welche Scherzreden mit der ab- und zugehenden Signora Giulia wechselt; bald ruft er, irgend ein Volkslied trällernd, die vorüberfahrenden Schifferbarken an, die mit ihrer Ladung zum Markte nach Menaggio ziehen, bald improvisirt er recitativisch irgend eine Scene mit dem aufwartenden Cameriere – kurz, wenn von irgend einem Menschen, kann man von ihm sagen: qu’il a le diable au corps (daß er den Teufel im Leib’ habe). Das bewies er gestern Abend bei Venini’s, wo sich ganz zufällig durch Besuche aus Mailand und Como eine Gesellschaft von zehn bis zwölf Personen zusammengefunden hatte, was aber die Hausfrau nicht im Mindesten genirte, da die Bewirthung in solchen Fällen hier zu Lande, wo man spät dinirt, die allereinfachste von der Welt ist, und das Hauptvergnügen in der Unterhaltung besteht. Die Sorge für die letztere übernahm diesmal der Maestro in einer Weise, welche den Abend zu einem der interessantesten Musikabende machte, die ich jemals erlebt. Man begriff nicht, woher er die Kraft und Ausdauer der Stimme und die Fülle des Humors hernahm, mit der er in ununterbrochener Folge, singend und spielend uns mit aller erdenklichen, heitern und ernsten Musik, Opernarien und Bravourarien, neapolitanischen Volksliedern, Lazzi’s und Buffonerien der wunderbarsten Art überschüttete, alle Spielweisen der neuesten Virtuosen, alle Gesangs- und Actionsmanieren der Hauptsänger und Sängerinnen der Scala komödirend nachahmte, bald in dieser, bald in jener Manier moderner Componisten carikirend improvisirte und, wenn wir glaubten, daß er mit Kraft der Stimme und Erfindung am Ende sei, uns mit immer neuen, noch unglaublicheren, gleichsam spielend hingeworfenen Leistungen überraschte und aus dem Scherz in den Ernst, aus dem Ernste in den Scherz zurückwarf. Als ich gegen meinen Nachbar, einen jungen einundzwanzigjährigen Officier, einen Verwandten der Familie Venini, der seine Decoration auf dem Schlachtfelde bei Capua erworben – meine Bewunderung darüber ausdrückte, wie solch’ eine fast vierstündige Ausdauer physisch möglich sei, antwortete er mir: „O, er hat heute Nachmittag schon bei uns drüben in Menaggio ganz Aehnliches, noch Wunderbareres geleistet, darum ist er auch heute Abend nicht ganz mehr bei Kräften!“ – Die Lebenskraft dieser Kinder des Südens ist eben stärker als die unsre.

Dabei aber ruht dieses musikalische Sprühteufelwesen auf einem Fundamente sehr solider musikalischer Bildung. Als er etwas müde wurde und ich mich mit ihm in ein Gespräch einließ, fand ich in ihm einen Kenner und begeisterten Verehrer der deutschen Musik und ihrer Heroen, unter denen er für Beethoven und Mozart gleiche Begeisterung zeigte und unter den neueren Mendelssohn als seinen Lieblingsmeister und Lehrer zu verehren bekannte. Auch die Leistungen der Zukunftsmusik, die er vorher auf die allerheiterste Weise praktisch komödirt hatte, beurtheilte er nicht ohne gerechte Anerkennung, die er mit dem geistreichen Epigramme

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_190.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)