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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

er nur einmal das Verlangen ausgesprochen, seine Ehe getrennt zu sehen, und er, aus dessen Herzen Veronika’s starke und ausdauernde Liebe die Marquise nicht hatte verdrängen können, überließ sich der Zuversicht, daß Ulrich’s Liebe Veronika’s Herz gewinnen und daß sie dahin kommen werde, in einer Ehe mit Ulrich das Glück zu finden, das er selbst ihr nicht hatte bereiten können.

Regte sich dann jenes Gefühl der Eifersucht in ihm, mit dem er die Frau, welche er zu lieben geglaubt und die er als sein Weib besessen hatte, sich nicht als die Gattin eines Andern denken konnte, so kämpfte er es nieder, oder bezeichnete sich seine Eifersucht als die Strafe und Buße, welche er zur Sühne für den Irrthum seines Herzens und zur Herstellung und Aufbauung eines allseitigen Friedens und Glückes freiwillig über sich nehmen müsse. Er hatte den vollen Leichtsinn eines durch sein günstiges Loos verwöhnten und darum zu beständigem Selbstbetrug geneigten Menschen.

Sein Schreiben, das bei der damaligen Lage der Dinge nur durch die Vermittelung vertrauter Personen über die Grenze zu bringen war, erreichte die Freifrau erst, als der Sommer sich schon zu seinem Ende neigte, und hätte Veronika daran gedacht, sich der Anordnung ihres Gatten zu fügen, so hätte sie sich bereits auf dem Rottenbuel befinden müssen, ehe des Grafen Brief seiner Schwester zu Händen kam. Indeß wie sehr der Graf auch in Veronika drang, Paris für den Augenblick zu verlassen, in dem einen Pnnkte fand er sie unnachgiebig, da er aus Scheu vor den Erörterungen und Erschütterungen, welche einer solchen Erklärung nothwendig folgen mußten, ihr nicht von seinem Verlangen nach einer Trennung seiner Ehe zu sprechen wagte.

Veronika’s Leben wurde von diesem Zeitpunkte ab also nur noch trauriger. Ulrich, dessen treue Liebe ihr stets ein Trost gewesen, ließ sich nicht mehr sehen, und ihm zu schreiben mußte sie sich versagen. Die Freunde und Gesinnungsgenossen des Grafen, von denen Veronika einst mit so auszeichnender Zuvorkommenheit empfangen worden war, hatten die Theilnahme für sie verloren, weil der Graf selbst sie vernachlässigte und weil man ihr, Dank den Andeutungen der Marquise, zu mißtrauen angefangen hatte. Man wußte, daß der Freiherr von Thuris, ihr Freund und Jugendgenosse, unter den Mitgliedern der National-Versammlung Bekannte und Freunde zählte, und blind wie der Parteihaß es in Zeiten gewisser Krisen immer ist, kostete es Franziska wenig Mühe, das plötzliche Ausbleiben des Freiherrn aus dem gräflichen Hause mit der politischen Unzuverlässigkeit Veronika’s in Verbindung zu bringen, gegen welche ihr Gatte es endlich nöthig gefunden habe, sich zu schützen.

Niemand sprach davon mit dem Grafen. Eine Treulosigkeit seines Weibes wäre in den Augen der Gesellschaft, zu welcher er gehörte, für ihn keine solche Schmach gewesen, als ihre mangelnde Hingebung an die gute Sache und an das königliche Haus, und da man, sonst an Huldigungen und Ehrenauszeichnungen aller Art gewöhnt, jetzt der Beleidigungen und Demüthigungen genug zu tragen hatte, machte man sich ein Vergnügen daraus, diejenige, bei welcher man eine abweichende Gesinnung voraussetzte, die Kränkungen entgelten zu lassen, die man von dem Volke hinnehmen mußte.

So kam es, daß die Gräfin, von den Freunden ihres Mannes nicht gesucht und sie ebenfalls nicht suchend, weil sie mehr oder weniger Freunde und Anhänger der Marquise waren, sich mitten in Paris in einer Einsamkeit befand, die herabdrückend war, weil ihr die Ruhe und der Friede freiwilligen Alleinseins fehlten. Und als endlich die wachsende Gefahr für die Sicherheit der königlichen Familie dem Grafen die Pflicht auferlegte, seine Dienstwohnung in der Kaserne seines Regimentes zu beziehen, um in jedem Augenblicke auf seinem Posten zu sein, herrschte in dem schönen Hotel, in welchem Veronika traurig und verlassen weilte, eine Stille, als befände sie sich in einem Kloster.

Was von außen durch die Zeitungen und durch die Berichte ihrer Leute zu ihr drang, trug dazu bei, ihr die Verlassenheit noch schwerer zu machen, und die Besuche, welche der Graf ihr abstattete, ließen sie nur zu deutlich empfinden, daß er keine Gemeinschaft mehr mit ihr habe, daß ihr kein anderer Antheil mehr an ihm geblieben, als die Angst und die Sorge, mit welcher sie ihn im Geiste begleitete, wenn er von ihr entfernt war. Selbst die Hoffnung auf irgend einen Zufall, welcher eine Aenderung in dem Sinne ihres Gatten erzeugen oder ihr die Gelegenheit geben würde, seine Neigung wieder zu gewinnen, fing an ihr zu entschwinden.

Tag auf Tag, Monat auf Monat waren so dahingeschlichen, der Herbst, der Winter waren vergangen, der Frühling zurückgekehrt und von dem Sommer verdrängt worden, und Veronika hatte die lange Zeit nach Stunden abgezählt und in Gram durchmessen. Aber auch der Frau von Thuris war es in ihrem Schlosse nicht besser ergangen. Sie war stets die Vertraute ihres Sohnes gewesen, seit er selbst sein Herz erkannt hatte, und sie wußte Alles, was in Paris zwischen ihrem Bruder und ihrem Sohne vorgefallen war. Ulrich’s Briefe, der Herzenskummer, welchen sie aus jedem derselben herauslas, auch wenn er sich nicht beklagte und nicht von sich sprach, die Schilderungen, die er ihr von Veronika’s leidendem Zustande machte, und ihres Bruders wiederholtes Verlangen, daß sie die Gräfin bestimmen möge, nach der Schweiz zurückzukehren, ließen der Freifrau endlich keine Ruhe mehr in ihrem Schlosse. Abwarten, Zusehen, Geschehenlassen war nicht in ihrer Art, und sie hatte sich schon seit Jahren den Zwang der schweigenden Zurückhaltung auferlegt. Das war ihr um so schwerer gefallen, als ihre ehrliche und strenge Gewissenhaftigkeit es ihr beständig vorgehalten, daß sie es gewesen sei, welche die Heirath ihres Bruders mit Veronika geplant, daß sie es gewesen, welche die Beiden für einander einzunehmen und zu gewinnen gestrebt, und daß ihr Verlangen, den Stamm der Grafen von Rottenbuel nicht erlöschen zu sehen, mitbestimmend auf den Entschluß ihres Bruders eingewirkt, der, als er von Frankreich gekommen war, im Gefühl seiner Abhängigkeit von Franziska, nur wenig an eine Heirath gedacht hatte.

Wo sie gefehlt, Unheil gestiftet zu haben glaubte, wollte sie auch, so viel an ihr war, herstellen und tragen helfen; vor allen Dingen aber wollte sie bei den Ihren sein, wollte mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören, den Sohn, die Pflegetochter, den Bruder womöglich aus einem Banne erlösen, dessen unselige Folgen vielleicht durch ein zu rechter Zeit gesprochenes Wort noch zu beschwören waren, und wenn Gefahr ihnen drohte, wollte sie sie theilen, statt sie aus quälender Ferne mit verdoppelter Herzensangst für Alles, was sie Geliebtes auf Erden besaß, an jedem Tage zu befürchten.




Die Freifrau hatte sich in der letzten Hälfte des Juli auf den Weg gemacht, aber es war damals nicht leicht, vom Auslande her die französische Grenze zu passiren, und schwerer noch, nach Paris zu gelangen, wenn man einen aristokratischen Namen trug. Conradine hatte sich also entschlossen, in ihrem Passe auf denselben zu verzichten. Ihr Kammerdiener, der artig in Holz zu schneiden verstand, hatte den Paß für sich und eine kranke Schwester ausstellen lassen, welche in Paris einen Arzt berathen sollte, während er die Holzwaaren, die man aufgekauft hatte, an den Mann zu bringen suchte.

Auf weiten Umwegen, nach beschwerlicher Reise langte die Freifrau auf diese Weise in ihrem bescheidenen, mit Kisten bepackten Wagen, den stolzen Kopf in der weißen Dormense der Bürgerfrau verhüllt, vor den Thoren von Paris an, das sie seit einer langen Reihe von Jahren nicht mehr gesehen hatte.

Es war der achte August des Jahres siebzehnhundert zweiundneunzig. Die Sonne war schon untergegangen, aber es war noch nicht Nacht. Der Tag war heiß gewesen, es regte sich kein Windhauch; ein schwerer Dunst erfüllte die ganze Luft und hüllte die Stadt in ein dumpfes, fahles Grau ein.

Auf dem Wachtposten am Thore ging es unruhig her. Männer in Trachten, die einen militärischen Anstrich halten und doch nicht irgend einer Uniform des französischen Heeres angehörten, saßen zwischen den Soldaten, welche den Posten besetzt hielten. Es war ein Trupp von den siebenhundert Föderirten, die einige Tage vorher von Marseille nach der Hauptstadt gekommen waren, und das Erste, was die Freifrau in Paris vernahm, war ein freches Spottlied auf die Königin.

Je weiter sie in die Stadt hineinfuhr, um so mehr fiel ihr die Veränderung auf, welche sich in derselben vollzogen hatte. Sie kannte die Straßen, es waren die alten Wege und die alten Häuser, aber ihre Bevölkerung schien nicht mehr dieselbe zu sein. Nationalgarden mit der blau und rothen Kokarde von Paris, pikenbewaffnete Männer und dazwischen die kleinen, braunen, stets lärmenden südfranzösischen Föderirten, Weiber und Männer aus dem Volke, welche sonst am Wochentage ihre Werkstätte in den entlegenen Vorstädten nichr zu verlassen pflegten, trieben sich in müßiger Unruhe auf den Boulevards umher und waren, als die Freifrau

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