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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

sie höfisch zu einer in der Nähe stehenden Gartenbank führte. Dann begann er, vor ihr stehend, einen ernsthaften Vortrag über die Drainirung einer kaltgründigen Gutswiese, über die Art, wie dies am zweckmäßigsten in’s Werk zu richten sei, und über die Kosten, die dadurch veranlaßt werden könnten. Er hatte schon eine Zeit lang gesprochen. Sie lehnte sich zurück und gähnte heimlich hinter der vorgehaltenen Hand. Endlich sprang sie auf. „Aber Rudolph,“ rief sie, „ich verstehe von alle dem nichts; Du hast es mir ja selbst erklärt!“

Er runzelte die Stirn. „Gnädige Frau!“ sagte er bittend.

Sie lachte. „So sprich nur; ich habe schon Geduld!“

Dann brachte er’s zu Ende. – Sie reichte ihm die Hand und sagte herzlich: „Du bist ein gewissenhafter Verwalter, Rudolph; aber ich werde mich nach einem andern umsehen müssen, ich kann dies Opfer nicht länger von Dir fordern.“

Ein leidenschaftlicher Blick traf sie aus seinen Augen.

„Es ist kein Opfer,“ sagte er, „Du weißt es wohl.“

„Nun, nun! Ich weiß es,“ erwiderte sie ruhig, „Du bist ja sogar als zehnjähriger Knabe mein getreuer Ritter gewesen. – Bestelle mir nur den Rappen; wir können gleich miteinander zur Wiese hinabreiten.“

Er ging; und sie sah ihm nachdenklich und leise mit dem Kopfe schüttelnd nach.

Bald waren Beide zu Pferde. Der junge Reiter suchte an ihrer Seite zu bleiben; aber sie war ihm immer um einige Kopfeslängen voraus. Sie ließ den Rappen ausgreifen, der Schaum flog von den Ketten des Gebisses, während der Hund in großen Sätzen nebenher sprang. Ihre Augen schweiften in die Ferne, über die braune Haide, auf der sich schon die Schatten des Abends zu lagern begannen. – – – –

Einige Stunden später saß sie wieder allein in ihrem Zimmer am Schreibtisch, die am Nachmittage weggeschlossenen Blätter vor sich. Neben ihr auf seinem Teppich ruhte Türk. – Von der Lampe beleuchtet erschien ihre nicht gar hohe Stirn gegen die Schwärze des schlicht zurückgestrichnen Haars von fast durchsichtiger Weiße. Sie schrieb nur langsam; mitunter ließ sie die Feder gänzlich ruhen und blickte vor sich hin, als suchte sie die Gestalten ferner Dinge zu erkennen. Sie gedachte einer Novembernacht, da sie zum letzten Mal vor ihrem gegenwärtigen Aufenthalt das Schloß betreten hatte. – Der Brief des Oheims, der ihr die Nachricht von der tödtlichen Erkrankung ihres Vaters in die Residenz brachte, trug auf dem Couverte einen mehrere Tage alten Poststempel. Eilig war sie abgereist; nun dämmerte schon der zweite Abend, und die Wälder und Fluren an der Seite des Weges wurden allmählich ihr bekannter. Schon machte aus der Dunkelheit die Nähe des letzten Dorfes sich bemerklich; sie hörte die Hunde bellen und spürte den Geruch des Haidebrennens. An einem kleinen Hause in der Dorfstraße hielt der Wagen. Ihre Jungfer stieg ab, der sie erlaubt hatte, bei ihren dort wohnenden Eltern bis zum andern Morgen zu bleiben. Dann ging es weiter; sie hatte sich in die Wagenecke gedrückt und zog fröstelnd den Mantel um ihre Schultern. Vor ihrem innern Auge war die Gestalt ihres Vaters, sie sah ihn, wie er in der letzten Zeit ihres Zusammenlebens zu thun pflegte, im Zwielicht in dem öden Rittersaale mit seinem Rohrstock auf und ab wandern; den weißen Kopf gesenkt, nur zuweilen vor einem der alten Bilder stehen bleibend oder aus den schwarzen Augen von unten auf einen Blick zu ihr hinüberwerfend. – Es war ganz finster geworden, die Pferde gingen langsam; aber sie wagte nicht den Postillon zum Schnellerfahren zu ermuntern. Eine unbewußte Scheu schloß ihr den Mund, es war ihr fast lieb, daß der Augenblick der Ankunft sich verzögerte. Immer aber, wenn sie die Augen schloß, sah sie die kleine hagere Gestalt an sich vorüberwandern, und unter dem Wehen des Windes war es ihr, als höre sie den bekannten abgemessenen Schritt und das Aufstoßen des Rohrstocks auf den Fußboden. – – Als die Ulmenallee erreicht war, welche über die Brücke nach dem Schloßhof führte, vernahm sie das Schlagen der Thurmuhr, deren Regulirung die alte Excellenz immer selbst überwacht hatte. Sie athmete auf und lehnte sich aus dem Wagen. Eine ungewohnte Helligkeit blendete ihre Augen, als sie in den Hof einfuhren. Die ganze obere Front des Gebäudes schien erleuchtet. Der Wagen rasselte über das Steinpflaster und hielt vor der Eingangsthür neben dem Thurm; der Postillon klatschte mit der Peitsche, daß es an den Mauern des alten Rittersaals wiederklang; aber es kam Niemand. Nach einer Weile vergeblichen Wartens ließ die zitternde Frau sich den Schlag öffnen und bezeichnete ihrem Fuhrmann einen Raum, worin er seine Pferde zur Nacht unterbringen könne. Dann stieg sie aus und trat, nachdem sie die schwere Thür zurückgedrängt, in den großen Corridor des Erdgeschosses. Einige Augenblicke blieb sie stehen und blickte unentschlossen um sich her. Auf den Geländersäulen der breiten Treppe, die in das obere Stockwerk führte, brannten Wachskerzen in schweren silbernen Leuchtern. – Sie beugte sich vor und lauschte; aber es war Alles still. Leise, kaum aufzutreten wagend, begann sie die Stufen hinanzusteigen. Da war ihr, als höre sie droben auf dem Flur die Thür zum Rittersaale knarren; und gleich darauf kam es ihr entgegen, die Treppe herab. Sie sah es nun auch, es war der Hund ihres Vaters; sie rief ihn bei Namen; aber das Thier hörte nicht darauf, er jagte an ihr vorbei auf den Corridor hinab und entfloh durch die offene Thür in’s Freie. – – Erst jetzt fiel ihr ein dumpfer Geruch von Rauchwerk auf. Sie stieg langsam die letzten Stufen in dem hellen Treppenhause hinauf, bis sie den oberen Flur erreicht hatte. Die Thür des Rittersaals stand offen; in der Mitte des weiten Raums sah sie zwei Reihen brennender Kerzen auf hohen Gueridons; dazwischen wie ein Schatten lag ein schwarzer Teppich. Aber es war Niemand drinnen; nur die Bilder verschollener Menschen standen wie immer schweigend an den Wänden. Die gegenüberliegende Thür zu des Oheims Zimmer war weit geöffnet, und auch dort schienen Kerzen zu brennen. Zögernd trat sie über die Schwelle in den Saal; aber von Scheu befangen blieb sie zunächst der Thür in einer Fensternische stehen. Als sie durch die Scheiben einen Blick in das Dunkel hinauswarf, sah sie drüben jenseits der Tannen, von dort, wo der Kirchhof lag, einen rothen Schein am Himmel lodern. – – Sie wußte es nun, sie war zu spät gekommen; unwillkürlich mußte sie die Augen in den leeren Saal zurückwenden Die Kerzen brannten leise knisternd weiter; nur mitunter, wo der Sarg mochte gestanden haben, lief ein Krachen über die Dielen, als drängte es sie, sich von der unheimlichen Last zu erholen, die sie hatten tragen müssen. – Es war nicht Trauer, es war nur Grauen, das sie empfand. – – – – – – – –

Aber ihre Gedanken waren ihrer Feder weit voraus.


3. Die beschriebenen Blätter.

Ich will es niederschreiben, mir zur Gesellschaft; denn es ist einsam hier, einsamer noch, als es schon damals war. Sie sind alle fort; es ist nur Täuschung, wenn ich draußen im Corridor mitunter das Husten der Tante Ursula oder die Krücke des kleinen Kuno zu vernehmen glaube. Es war ein goldner Herbsttag, als wir das Kind begruben; die Leute aus dem Dorfe standen alle umher mit jener schauerigen Neugier, die wenigstens den letzten Zipfel vom Leilaken des Todes noch in die Grube schlüpfen sehen will. – Dann, als ich fern war, starb die Tante, und dann mein Vater. Wie oft habe ich heimlich in seinen Augen geforscht, was wohl im Grund der Seele ruhen möge, aber ich habe es nicht erfahren; mir war, als hielten jene ausgeprägten Muskeln seines feinen Antlitzes gewaltsam das Wort der Liebe nieder, das zu mir drängte und niemals zu mir kam. – Droben im Rittersaal hängen noch die Bilder; die stumme Gesellschaft verschollener Männer und Frauen schaut noch wie sonst mit dem fremdartigen Gesichtsausdruck aus ihren Rahmen in den leeren Saal hinein; aber aus dem dahinter liegenden Zimmer läßt sich jetzt weder das Pfeifen des Dompfaffen, noch das Gekrächze Don Pedro’s, des lahmen Staarmatzes, vernehmen; der gute Oheim mit seinen harten Worten und seinem weichen Herzen, mit seinem todten und lebendigen Gethier hat es seit lange verlassen. Aber er lebt noch; er wird vielleicht zurückkehren, wenn es Frühling wird; und ich werde wieder, wie damals, meine Zuflucht in dem abgelegenen Zimmer suchen.

Damals! – – Ich bin immer ein einsames Kind gewesen; seit der Geburt des kleinen Kuno steigerte sich die Kränklichkeit meiner Mutter, so daß ihre Kinder nur selten um sie sein durften. Nach ihrem Tode siedelten wir hier hinüber. In der Stadt hatten wir, wie hergebracht, nur die Etage eines großen Hauses bewohnt; jetzt hatte ich ein ganzes Schloß, einen großen, seltsamen Garten und unmittelbar dahinter einen Tannenwald. Auch Freiheit hatte ich genug; der Vater sah mich meistens nur bei Tisch, wo wir Kinder schweigend unser Mahl verzehren mußten; die

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