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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)


Union in dichtgedrängter Masse um ihre Officiere, welche mit den Beamten des Zugs berathschlagten, auf welche Art am besten die Schlucht zu überschreiten sei; kaum aber waren die ersten Worte zu Bill’s Ohren gedrungen, als er lebhaft rief: „Ich führe Sie einen sichern Weg; es mag ein Umweg von einer Stunde sein, aber wir kommen dann auch von einer Richtung, woher es Niemand vermuthet!“ Und nun theilte Fred Minner den Hergang der Dinge mit, der bald zu dem allgemeinen Entschlusse führte, vor dem Marsche nach Pleasant-Grove Anderson’s Farm heimzusuchen.

Eine Stunde darauf kroch Bill aus einem Maisfelde, wenige Schritte von Anderson’s Hause, hervor, sandte einen scharfen Blick durch die Dunkelheit rings umher und näherte sich dann vorsichtig den beleuchteten Fenstern des Gebäudes, hinter denen wirrer Lärm zu seinen Ohren drang. Er war als Späher der angekommenen Truppenmacht vorausgegangen, denn es ließ sich fast vermuthen, daß, wenn der alte Anderson unversehrt nach Hause gekommen war, irgend welche Maßregeln Seitens der Secessionisten, sich gegen die geretteten Freiwilligen sicher zu stellen, getroffen worden sein mußten. Das Bild aber, welches sich dem Knaben bei einem Blick durch die Fenster bot, sprach nur von der völligsten Sicherheit der Feinde. Zwei geräumige Zimmer waren mit Matratzen und Strohbündeln gefüllt, auf welchen sich die wilden Gestalten, welche Bill nur zu gut kannte, soeben ihr Nachtlager bereiteten; ihre Gewehre lehnten im wirren Durcheinander in den Ecken, und die auf einzelnen Tischen befindlichen Flaschen unter theilweise umgestürzten Gläsern ließen errathen, auf welche Weise der Abend verbracht worden war. In einem dritten Zimmer saß der Colonel mit seinen Gefährten beim Kartenspiel, während ein Schwarzer zu ihrer Bedienung bereit stand – Alles athmete die völligste Unwissenheit über den Stand der Dinge, und Bill hatte sich soeben wieder leise zurückgezogen, als eine schwere Hand in schmerzhaftem Griffe seine Schulter faßte. „Ist das nicht der kleine Spottvogel, der uns entwischt? Sieh, sieh! und das Kindchen gedenkt jetzt zu spioniren!“ klang es in seine Ohren, „werden aber diesmal weniger Umstände gemacht werden!“

Der Knabe hatte beim ersten Tone den Menschen erkannt, welcher ihn auf seinem beabsichtigten Gange nach Jefferson-City zuerst angehalten, und ein tödtlicher Schrecken durchfuhr ihn. Er wußte seine Landsleute in der Nähe, aber sie erwarteten seine Rückkunft, und ehe sie durch sein Ausbleiben herangezogen wurden, konnte er längst dem Fanatismus der rohen Bande zum Opfer gefallen sein. „Lassen Sie mich los, Sir!“ rief er mit unterdrückter Stimme, sich unter dem Griffe seines Gegners windend, „ich gehöre hier in’s Haus, und wenn Sie mir nicht glauben wollen, so rufen Sie Miß Alice!“

„Gehörst hierher, und wolltest doch geheime Botschaft nach Jefferson-City bringen?“ höhnte der Andere. „Warte, kleine Kröte,“ rief er, den Burschen mit einem Drucke seiner rauhen Hand nach dem Hause drehend, „werden sorgen, daß Dir derartige Geschäfte für immer vertrieben werden!“

Da sauste es durch die Luft, und ein Schlag schmetterte auf das Haupt des Secessionisten nieder, daß dieser lautlos, wie ein gefällter Stamm, zu Boden schlug. „Fred!“ rief der überraschte Knabe, als sein Blick in dem aus den Fenstern fallenden Lichte auf die Gestalt des Freundes fiel, der, das Gewehr in der Hand, sich eben zu einem zweiten Schlage, sobald dieser nothwendig werden sollte, fertig machte; aber dieser winkte ihm hastig Stillschweigen, und erst als er sich überzeugt zu haben schien, daß der Daliegende kein Glied mehr rührte, faßte er hastig Bill’s Hand und führte ihn eine Strecke in das Dunkel hinein. „Ich dachte mir doch, daß die Menschen nicht ohne aufgestellte Wache rasten würden, und daß Dir etwas passiren könnte,“ sagte er hier; „wie steht es?“

„Sie haben von nichts eine Ahnung, und auch der alte Anderson ist nirgends zu entdecken!“

„Bist Du Deiner Sache gewiß?“

„Sieh selbst durch die Fenster, sie sind Alle bei einander und machen sich zum Schlafen fertig, der Cornel aber spielt im Hinterzimmer mit drei Anderen „Jeucre“!“

Fred ließ einen leisen Pfiff ertönen, und ringsum in der schweigenden Finsterniß fing es an lebendig zu werden; vorsichtig auftretend begannen die herankommenden Freiwilligen das Haus zu umzingeln; eine kleine Abtheilung derselben aber nahte sich den erleuchteten Fenstern, während Fred mit dem Commandirenden sich dem Portico der Eingangsthür zuwendete, und eben als die Letzteren das Haus betraten, brachen von den hineingestoßenen Gewehrläufen klirrend die Fenster in Stücke.

Die Gefangennahme dieser Secessionistenbande war der erste Schlag der Missourier Unionstruppen außerhalb St. Louis, der den Beginn eines mörderischen, heute noch nicht beendigten Krieges im Staate einleitete; doch fanden es die Südmänner für gut, sich nicht mehr in diese Nähe der deutschen freiwilligen Hauptmacht zu wagen.

Anderson war weder bei dem gelungenen Ueberfalle seines Hauses noch während der Nacht sichtbar geworden, und als Alice durch den Knaben von dessen Begegnung mit ihrem Vater und den sie begleitenden Umständen erfahren, ließ sie am Morgen ahnungsvoll Nachsuchungen nach dem Vermißten anstellen – der Mann ward weit unterhalb der zerstörten Brücke, wohin ihn der Strom gerissen haben mußte, mit zerschmettertem Kopfe an einem Strauche hängend gefunden. – Fred Minner beaufsichtigt heute die ihres Herrn beraubte Farm; Alice indessen hat sich zu Verwandten nach St. Louis begeben, und es scheint, als werde es noch geraume Zeit währen, ehe der Eindruck, welchen der gewaltsame Tod ihres Vaters auf sie gemacht, ein Tod, den sie durch die Verkettung der Umstände selbst mit herbeigeführt zu haben meint, sich so weit verwischt, daß sie mit klarem Auge die Ereignisse betrachten und Fred’s Hoffnungen auf eine Vereinigung mit ihr verwirklichen wird; ihre Stelle auf der Farm nimmt vorläufig Bill’s Mutter, die hier eine dauernde Heimath gefunden, ein; Bill selbst aber ist Tambour in demselben Freiwilligen-Regimente, von welchem er einen Theil dem Untergang entriß. Der Oberst hat ihn unter seine besondere Obhut genommen, und wohl mag er einst noch als junger Mann mit Ehren und wohlerworbenem Range geschmückt heimkehren.

Bill Hammer aber ist nur der Typus eines großen Theils der in Amerika geborenen deutschen Jugend, in welcher dem nordamerikanischen Volke immer neues Blut und neue Lebenskräfte zugeführt wird.



Blätter und Blüthen.


Stoff für einen modernen Künstler-Roman. Als vor Kurzem die „kleine Patti“ als Stern ersten Ranges am Berliner Opernhimmel auftauchte und Triumphe über Triumphe feierte, da stand die musikalische Welt nicht weniger verblüfft, als die Astronomen beim Erscheinen des letzten Kometen, der so ganz ohne alle Legitimation der gesammten Himmelspolizei Hohn sprach. Sie kam aus Amerika! Was kann aus Nazareth Gutes kommen? Früher, und das sind noch kaum vier bis fünf Jahre her, war jede ausgesungene europäische Gesangs-Größe gut genug, um für den amerikanischen Markt verwandt zu werden – und jetzt kann ein Kind, das nur in diesem Amerika gebildet worden, der Berliner Intendanz eine Forderung von 40,000 Francs vierteljährlicher Gage stellen?

Ja, und doch ist die Patti noch nicht die größte derjenigen Sängerinnen, welche nicht in Europa ihren Ruhm erwarben, sondern ihn ebenso wie ihre wunderbare Künstlerschaft fix und fertig aus Amerika mit herüber bringen. Die nächste, welche wir wohl erwarten dürfen, ist die Fabbri, die, obgleich sie verschiedene Jahre mehr als die kleine Patti zählt, doch diese vor dem Glanze ihres echten „Gottesgnadenthums“ zu einem Gestirne zweiten Ranges erbleichen ließ.

Eines Tags, es mag jetzt etwas über ein Jahr her sein, durchlief New-York die Sage von etwas Wunderbarem, noch nicht Dagewesenem im Reiche der amerikanischen Gesangeswelt; und nicht von Europa war die neue Erscheinung gekommen, nicht unter dem Schutze eines Impresario und dem Vorspann der Reclame – in Central-Amerika, völlig gegen alle Lehren der musikalischen Naturgeschichte, war sie zuerst aufgetaucht, hatte sich dann in New-York


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_141.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2020)