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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

dessen Gattin äußerten, daß sie anderweit beschäftigt waren, daß außer der allgemeinen Gefahr ein noch näheres Unheil über ihnen schwebte, daß Veronika dieses erkannte, es zu vermeiden wünschte, und daß doch bereits jene rechte Gemeinsamkeit zwischen den Eheleuten gestört war, welche es ihnen leicht gemacht haben würde, sich dem drohenden Verhängniß zu entziehen.

Es geschieht oftmals, daß Personen von den verschiedensten Charakteren, von den abweichendsten Meinungen und Ansichten in so einfache Verhältnisse versetzt werden, daß sie trotz ihrer völligen Ungleichheit das Gleiche denken und empfinden müssen. Das macht es ihnen dann möglich, sich zusammenzufinden, sie fassen Neigung für einander, gewöhnen sich dasjenige, was ihnen an dem Andern fremd erscheint, als seine Eigenheit zu ehren, als eine schöne Besonderheit zu schützen, und sie gelangen also leicht zu einer gegenseitigen Liebe, in der sie ihr Eigenstes aufgeben möchten, um sich das Fremde völlig anzueignen. Indeß solche Verbindungen sind mit ihrer Dauer nur zu häufig auch an den Ort ihres Entstehens und an die Bedingnisse geknüpft, unter welchen sie geschlossen worden sind, und die Ehe des Grafen Joseph hatte in diese Reihe gehört.

Er war bestimmbar und selbstwillig, hingebend und herrschsüchtig, rasch empfänglich und ausdauernd, je nach der Seite seines Wesens, welche von den Verhältnissen berührt ward. Seine Seele hatte Adel, er bewunderte das Schöne und Gute, aber seine Empfindsamkeit wie seine Empfindlichkeit schreckten vor jeder strengen Anforderung zurück und gaben sich willig der Einwirkung hin, die ihnen schmeichelte. Er schützte daher die Wahrheit, wenn sie ihm wohlthat, und suchte sich über dieselbe zu täuschen, sofern sie ihn unangenehm berührte. Da er in sich selber die Gegensätze stets zu vermitteln bemüht war, so oft er in einen innern Widerspruch gerieth, so strebte er auch im Leben auszugleichen, was sich irgend dazu anließ, und Hinhalten, Abwarten und Hoffen waren ihm stets natürlicher gewesen, als rasches Vorwärtsbringen zu einer gewaltsamen Entscheidung.

In der Zurückgezogenheit, in welcher er die ersten Jahre seiner Ehe auf Schloß Rottenbuel zugebracht, hatte er nicht Gelegenheit gehabt, es zu bemerken, wie vollkommen der Charakter seiner Gattin dem seinigen entgegengesetzt war. Ihr ruhiges Walten hatte von ihrem täglichen Leben jede Störung entfernt, ihre Liebe für ihn jeder seiner Neigungen unbedenklich nachgegeben, und ihr Vertrauen hatte sich lange über die Quelle der Melancholie getäuscht, die sich seiner allmählich bemächtigt. Im Uebrigen wußte die Gesellschaft des Bündner Adels sich unter einander zu schonen und zu respectiren, und Graf Joseph, der, an und für sich reich, nach seiner Heirath mit der ebenfalls sehr begüterten Erbtochter von Gunta zu einem der reichsten Besitzer des Landes geworden war, hatte innerhalb der Bündner Oligarchie, deren natürliches Interesse die Aufrechterhaltung des Einzelnen forderte, bei seiner Heimkehr in die Schweiz eine Aufnahme und einen Einfluß gefunden, die seiner Lust an persönlicher Geltung wohl entsprochen haben würden, wäre er nicht mit seinen Erinnerungen an Paris gefesselt und an Aufregungen gewöhnt gewesen, welche er in dem Frieden seiner Heimath und seiner Ehe, ohne daß er sich davon Rechenschaft gab, sehr bald vermißt hatte.

Der Graf gehörte zu der großen Anzahl der Menschen, deren Aeußeres ihrem Charakter überlegen ist und die deshalb unwillkürlich täuschen. Daß ein Mann von solch stolzer und mächtiger Gestalt, von so gebietendem Ansehen jene Eitelkeit besitze, die sich durch fremde Anerkennung Genugthuung verschaffen muß, daß er es bedurfte, sich in der Gnade eines Mächtigen zu sonnen, sich in jedem Augenblicke in einen Kampf mit einem Nebenbuhler verwickelt zu wissen, um sich womöglich seiner Ueberlegenheit über denselben zu erfreuen, das würde man ihm ebenso wenig zugetraut haben, als er selbst sich dieses eingestand.

So lange er in Paris sich in dem Glanze und dem Getreibe des Hofes befunden, so lange die Spannung und Aufregung angehalten, in welcher seine Liebesleidenschaft für die Marquise ihn versetzt, hatte er sich bald glücklich, bald unglücklich, immer aber beschäftigt gefühlt. Später waren ihm der völlige Wechsel seiner Lebensverhältnisse, seine Neigung und Liebe für Veronika und das prächtige Herrenleben auf Schloß Rottenbuel, das ihm durch die Zärtlichkeit seines jungen Weibes noch verschönt worden, zu einem Anreiz geworden; aber wer nicht in sich selbst beruhen kann, ist für eine glückliche Ehe, für die Ehe, welche auf wechselloses Vertrauen und wandelloses Zusammengehören angelegt ist, nicht geschaffen. Die immer gleiche Ergebenheit Veronika’s, ihr täglich stilles Thun, ihr ernstes Gleichmaß, ja selbst die Fügsamkeit, mit welcher sie sich dem Grafen unterzuordnen wußte, erschienen demselben bald als ein Mangel an Temperament. Veronikas sanfte Zufriedenheit dünkte ihm ein Zeichen dafür zu sein, daß ihr Sinn beschränkt, daß sie ohne Verlangen nach weitern Lebensverhältnissen und darum auch sicher nicht befähigt sei, dieselben erfolgreich zu bewältigen. Ehe sie sein Weib geworden war, hatte er sich an ihrer Begeisterung für die Poesie erfreut; als sie dann an seiner Seite es versucht, sich das idealische Glück zu schaffen, von dem sie geträumt, und das auch der Graf, ihr Verlobter, ihr in so schimmernden Farben darzustellen gewußt, da hatte er gemeint, daß die immergleiche friedensvolle Liebe den Sinn ermatte. Er fühlte sich nicht mehr als derselbe, weil er der zornigen Aufwallungen, des bittern Schmerzes, der Eifersucht, der peinvollen Erwartung und Hoffnung entbehrte; der Morgen brachte ihm keine Besorgniß, der Abend kein unerwartetes Begegnen. Er war gewohnt, durch seinen Dienst Pflichten zu haben, die er erfüllen mußte, er war ebenso gewohnt, die Auszeichnung eines Vorgesetzten, die Gunst eines Fürsten zu genießen, welche Andern nicht in gleichem Maße zu Theil ward, und ihm fehlte die Genugthuung, welche ihm dies gewährte, ebenso, als die Mißgunst der Menschen, welche ihn in Paris um sein Glück beneidet hatten.

Es war vergebens gewesen, daß die Freifrau, daß Veronika ihn an den Segen der Freiheit und der Selbstherrlichkeit mahnten. Er hatte die rechte Empfindung nicht dafür. Er war zu lange in Diensten gewesen, um des Herrn entbehren zu können, und zu lange von der willkürlichen Laune einer Kokette beherrscht worden, um die ruhige Liebe eines edlen und ehrlichen Herzens gebührend zu würdigen und zu schätzen. Wer irgend eine Art von Sclaverei mit Befriedigung zu tragen vermochte, ist ein für allemal für die Freiheit verdorben und verloren.

Veronika vor allen Andern hatte sich über den Charakter ihres Gemahls getäuscht. Sie hatte geglaubt, der Graf sehne sich nach den Vergnügungen der großen Welt, als sie ihn in ihren Bergen immer trüber und abgespannter werden sah; indeß fehlte ihm nur der Stachel eines fremden Willens, der ihn in Bewegung setzte, und kaum in Paris angelangt, kaum in seine Dienstverhältnisse eingetreten und in die Nähe des Königs zurückgekehrt, der ihm von Jugend auf die Sonne seiner Tage gewesen war, hatte er die frühere Lebendigkeit wiedergefunden. Ja, er fühlte sich mehr als früher zum Genusse des Daseins geneigt.

Die Entfernung von Paris hatte bewirkt, daß ihm die Reize, welche diese Weltstadt darbot, neu erschienen und er sie neu genoß, obschon er weder die Gesellschaft, noch die Lebensweise wiedergefunden, die er früher dort gekannt. Die Zeit hatte sich geändert, Jeder hatte mit sich selbst zu thun, der Tag verschlang den Tag noch eiliger als je zuvor. Allerdings gab es noch Stunden, welche man von der Sorge frei zu halten wußte, gab es der Zuversichtigen noch genug, die, wie Graf Joseph, zweifellos überzeugt von dem Rechte und deshalb auch von dem Siege der absoluten Monarchie, sich nicht scheuten, den Becher der Freude unter dem grollenden Donner des nahenden Orkanes an ihre Lippen zu setzen, und man scherzte und lachte, man sang und schwärmte jetzt lauter als zuvor, um die drohenden Worte, um den Spott und den Hohn, um die Anzeichen des Sturmes zu übertäuben, die sich überall vernehmen ließen, wohin man sich auch flüchtete. Der Graf hatte vor seiner Verheirathung für einen schwärmerischen Idealisten gegolten, jetzt, nach derselben, schien es, als wolle er zum Lebemann werden, und Veronika vermochte es zu ihrem Kummer nicht, ihm auf dem Wege zu folgen, den er einschlug, vermochte die Welt um sie her nicht mit seinen Augen anzusehen.

Sie hatte es dem Grafen nachgefühlt, daß es ihm eine Pflicht sei, dem Könige, dem er und sein Vater Treue gelobt und lebenslang gedient hatten, in der Stunde des Kampfes und der Noth nicht zu fehlen, indeß sie hegte weder die Verehrung ihres Gatten vor dem Königthum, noch theilte sie seinen Glauben an den Sieg desselben. Die Vorstellung, daß der Graf einer mit Recht verlorenen Sache diene, lähmte ihren Sinn. Sie konnte sich weder an der hoffenden Begeisterung der Royalisten erwärmen, noch die wachsende Energie der Volkspartei verdammen. Der Parteistreit, welcher die Außenwelt durchwogte, drohte, sich auch innerhalb der gräflichen Ehe geltend zu machen, und bange Sorgen um die Zukunft,

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