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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 8.   1862.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Letzte seines Stammes.
Novelle von Fanny Lewald.
(Fortsetzung)


Die Marquise war nie besser mit sich zufrieden gewesen, als in dem Augenblicke, in welchem sie das Hotel des Grafen von Rottenbuel verließ. Sie hatte, wie sie es selbstgefällig nannte, mit sicherer Hand ein gefährliches Experiment gewagt, und sie war überzeugt, daß es ihr gelungen sei. Heiter, wie der schöne Sommertag, wiegte sie sich in den Polstern ihres kleinen offenen Wagens, dessen Pferde sie selber führte, denn sie hatte alle jene Moden des Tages angenommen, die ihren Neigungen begegneten und ihr den Anschein geben konnten, zu den Bekennern und Anhängern der neuen Geistesrichtung und der neuen Zeit zu gehören.

Die klare Luft, der Sonnenschein, die rasche Bewegung machten ihr Vergnügen. Die muthigen Apfelschimmel zu regieren, mit spielender und doch fester Hand die Zügel zu führen, mit scharfem Blick schon in der Ferne die Hindernisse zu erspähen, welche sie vermeiden mußte, mit kluger Schnelligkeit dem Unerwarteten auszubeugen, das war recht eine Beschäftigung, wie sie sich für Franziska eignete. Wer sie an jenem Morgen in ihrem Phaeton die Alleen des Boulogner Holzes durchfliegen sah, mußte sie bewundern. Sie war auf das Angenehmste erregt. Bald hielt sie ihren Wagen an, um einem vorübergehenden Bekannten ein Wort des Grußes zu sagen, bald sprach sie mit irgend einem Reiter, der Muße hatte, sein Pferd neben ihrem Wagen zu erhalten, und als ob ihr dies Alles nicht genüge, stieg sie endlich, als sie Ulrich von Thuris in einer der Alleen bemerkte, aus dem Wagen, gab ihrem Kutscher die Zügel und ging, von ihrem Diener gefolgt, dem jungen Manne entgegen, seine Begleitung für einen Spaziergang zu begehren.

Das fiel dem Freiherrn auf. Er gehörte nicht zu dem engen Kreise der Hofgesellschaft, und wenn er in jenen Zeiten, in welchen der Hof noch Feste veranstaltete, einmal zu einem solchen geladen worden war, so hatte die Marquise ihn wohl um Nachricht von seinem Onkel gefragt, ihn aber sonst nur wenig beachtet. Ulrich war damit auch ganz zufrieden gewesen, denn er dachte von Franziska, wie sie es verdiente. Zufällig, unwillkürlich, darauf kannte er sie genugsam, war in ihrem Verhalten Nichts, und sie ließ ihm denn an jenem Morgen auch nicht lange Zeit, darüber nachzusinnen, welcher Ursache er das Zeichen ihrer Gunst verdanke und was sie bewogen habe, seine Gesellschaft zu verlangen.

Mit derselben Berechnung, mit welcher sie vor dem Grafen und vor Veronika von ihrer Liebe und von ihrem Zusammenhange mit dem Ersteren gesprochen, bekannte sie Ulrich, daß sie ihn eben jetzt nur aufsuche, um sich durch Mittheilung von einem Ereigniß, von einem Vorgange zu erholen, der sie auf das Tiefste ergriffen und erschüttert habe. Sie erzählte ihm Alles, was in dem Cabinet Veronika’s geschehen war, und sie erzählte es im Ganzen wahrheitstreu; aber sie wußte die Farbe und den Ton so unmerklich und doch so geschickt zu wandeln, daß ein Mann, welcher weniger als Ulrich gegen die Marquise eingenommen und weniger von dem Seelenadel Veronika’s überzeugt gewesen wäre, sich leicht hätte versucht fühlen können, derselben jenen Mangel an Großmuth vorzuwerfen, dessen die Marquise sie beschuldigte.

Franziska wußte, daß Selbstanklage dem gerechtesten Mißtrauen und dem schwersten Vorwurf gar leicht die Spitze abbricht. Sie hatte also gar kein Hehl, daß sie aus Selbstsucht ein Unrecht begangen, daß sie mehr, als ihr zugestanden, an sich und an ihre Befriedigung gedacht und darüber die Herzens- und Weltunerfahrenheit Veronika’s nicht berücksichtigt, daß sie vergessen habe, wie die junge, in Einsamkeit erzogene Frau noch in den romanhaften Vorstellungen von einer einzigen und untheilbaren Liebe beharren möge. Bald sprach sie ernst und nachdrücklich, bald zog sie die Sache in den Bereich des Scherzes hinüber. Wie fein und gewandt sie aber auch zu Werke ging, um Ulrich zu gewinnen und ihn gegen die Gräfin einzunehmen, ihre Berechnung scheiterte an der ernsten Gradheit des jungen Edelmannes und an seiner vertrauensvollen Liebe für die Gräfin. Mit der scharfen Voraussicht eines Herzens, das sich zu besiegen und zu verleugnen, und eben darum unbeirrt in fremden Seelen lesen gelernt hat, ahnte Ulrich, welch’ ein Weh Franziska’s Arglist der Gräfin zugefügt habe. Er konnte daher den Augenblick nicht erwarten, in welchem er die Marquise zu ihrem Wagen zurückgeleiten und sich zu Veronika verfügen durfte, und er fand die Zerstörung, welche in dem Leben derselben angerichtet worden war, dann auch noch schlimmer, als er sie erwartet hatte.

Die Gräfin sprach ihm nicht von dem Besuche der Marquise, sie empfing ihn schwesterlich und gütig wie sonst, aber ihr ganzer Ausdruck, ihre Züge, ihre Stimme, ihre Haltung waren verändert. Sie war matt, als hätte sie eben eine schwere Krankheit überstanden, unsicher, als sei sie nicht in ihrem Hause, und das Lächeln, das sie ihren Lippen abnöthigte, um ihren Zustand zu verbergen, war traurig, wie der matte flüchtige Schimmer des Sonnenstrahles, der die graue Trübe eines Wintertages nicht zu durchbrechen und nicht zu erwärmen vermag.

Veronika war nicht allein, der Graf war bei ihr. Es kamen und gingen Besuche, man unterhielt sich in gewohnter Weise, aber Ulrich sah und hörte bei jedem Worte, welches sein Onkel und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_129.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)