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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Geheimniß vor der Frau zu haben, die seinen Namen trägt, der er seine Ehre anvertraut hat. Eben darum aber möchte ich nicht – es ist die einzige Vergütung, die ich Ihnen, mein theurer Joseph, für all den Kummer und die Leiden bieten kann, welche meine Verblendung und meine Irrthümer über Sie verhängten – eben darum möchte ich nicht, daß ein unbegründetes Mißtrauen der Gräfin die Welt berechtigte, uns noch jetzt für schuldig zu halten! Ich kam, um Sie zu bitten, Gräfin, vertrauen Sie mir, erkennen Sie die Freundschaft an, die ich noch heute über alles Vergangene und Vergessene hinaus für Graf Joseph in meinem Herzen fühle, und die ich Ihnen biete. Ihr Leben war einfach, Sie waren immer glücklich, Gräfin! Es ist Großmuth, die ich von Ihnen fordere –“

Veronika, die vor Zorn und Kränkung Thränen vergoß, schüttelte verneinend das Haupt, der Graf hatte sie in den Arm genommen. „Weine nicht, Veronika!“ bat er, „die Marquise kennt die Liebe, kennt das Vertrauen nicht, die uns verbinden; weine nicht!“

Aber als hätte es nur des einen Wortes bedurft, um die ganze Stimmung Franziska’s umzuwandeln, so heftig fuhr sie empor. „O!“ rief sie, indem sie beide Hände vor das Gesicht schlug, „o! also auch das Letzte mußtest Du mir rauben!“ – Sie legte das Haupt auf den kleinen Tisch, der an ihrer Seite stand, und fing leidenschaftlich zu weinen an.

Der Vorgang war für beide Gatten ein äußerst peinlicher, der Graf besonders befand sich in einer sehr widerwärtigen Lage. Er wünschte Veronika zu beruhigen, und Franziska schien Trost von ihm zu erwarten. Wie gern er seine Gattin auch vor dieser Scene behütet hätte, fühlte er doch, daß er sie nicht entfernen dürfe, ohne ihr Veranlassung zu einem Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit und Ursache zum Mißtrauen zu geben.

Er trat zu der Marquise hin und sprach ihr ernsthaft zu. Er hielt ihr ruhig vor, daß er ihr Alles verziehen habe, was er um sie gelitten, daß er sich in Frieden mit sich selbst und in einer glücklichen Ehe befinde, die er nicht stören, nicht antasten lassen werde. Er sagte, daß er gehofft hätte, auch sie verändert und beruhigt zu finden, daß die Zeit nicht danach gemacht sei, sich in eigensüchtigen Herzenserregungen zu verzehren, sondern daß man die Aufgabe habe, sich zu sammeln, um alle Kraft und Fähigkeit dem Dienste des unglücklichen Herrscherpaares zu widmen, das in seinen Rechten auch die Rechte und Vorrechte des Adels und der Besitzenden vertrete; und die einfache Würde, mit welcher er zu ihr redete, schien auf die Marquise Eindruck zu machen. Sie hörte allmählich zu weinen auf, lieh ihr Ohr schweigend seinen Worten, und nachdem ihre Züge mehr und mehr den Anstrich ernster Sammlung angenommen hatten, erhob sie sich zögernd von ihrem Sitze. Sie hatte das Ansehen eines Menschen, der, von schwerem innerem Kampfe ermattet, nur mühsam Herrschaft über sich gewinnt, und es dünkte den Grafen, obschon er in diesem Augenblick gar nicht in der Verfassung war, auf die Schönheit der Marquise zu achten, als habe er sie nie anmuthiger, nie einnehmender gesehen, als eben jetzt, da ihr Feuer gedämpft, Ihre Kraft gebrochen, ihre Selbstgewißheit vernichtet zu sein schien.

Langsam, mit erschöpfter Miene, näherte sie sich der Gräfin. „Verzeihung, Gräfin!“ sagte sie matt. „Es ist ein Irrthum meines Verstandes, kein Uebelwollen meines Herzens, für das ich hier Ihre Vergebung fordern muß. Ich vergaß, daß es ein Unrecht giebt, welches uns alle Aussicht auf seine Sühne, alle Aussicht raubt, es zu vergüten oder es durch Andere vergütet zu sehen. Sie haben nicht die Pflicht, großmüthig gegen mich zu sein! Die Liebe des Grafen ist Ihr wohlverdientes Eigenthum – was kümmert Sie die Unglückliche, welche dies kostbare Gut einst von sich stieß, welche Jahre lang die treuste Hingebung, das liebevollste Vertrauen zu täuschen vermochte, welche Jahre lang ihr frevles Spiel mit einem Herzen trieb, das ihr gehörte, ihr allein!“

„Frau Marquise, schonen Sie mich!“ bat Veronika mit flehender Stimme, und auch der Graf versuchte, den Bekenntnissen Franziska’s Einhalt zu thun, aber die Wirkung, welche sie auf ihn hervorbrachten, war doch eine andere, als diejenige, welche sie auf die Gräfin machten. Auch brach die Marquise plötzlich, auf des Grafen Mahnung, ihre begonnenen Geständnisse ab. Das melancholische Lächeln schwand aus ihren Mienen, ihr Antlitz hellte sich auf, man sah, daß sie sich Gewalt anthat. Sie schaute mit einem Blicke in dem Gemach umher, als wolle sie sich seine Einzelheiten einprägen, reichte dann dem Grafen die Hand und sagte: „Leben Sie wohl, mein Freund! ich habe jetzt die Stätte des Glückes und des Friedens gesehen, an der Sie Trost gefunden für die Leiden, welche ich über Sie verhängt. Ich weiß jetzt, daß ich diese Stätte nicht wieder betreten, daß ich Sie selbst, mein Freund, niemals anders als in den kalten Cirkeln der Gesellschaft wiedersehen darf, da es mir nicht gelingt, der Gräfin das nöthige Vertrauen zu mir und zu Ihnen einzuflößen, da die Gräfin mir ihre und ihres Gatten Freundschaft, die ich mir zu verdienen wünschte, nicht vergönnt.“

Sie verneigte sich mit erzwungener Zurückhaltung und ging hinaus. Der Graf gab ihr ebenso schweigend und zurückhaltend das Geleit, um vor der Dienerschaft kein Aufsehen zu erregen. Veronika aber warf sich mit einem unterdrückten Aufschrei in den Sessel nieder.

„O, ich hasse sie!“ rief sie bitter und schmerzlich. „Ich hasse sie, die ihn um seine Jugend betrogen hat! Und sie wird mein Glück zerstören und das seine!“

(Fortsetzung folgt.)


Ludwig Richter.

Schon seit vielen Jahren erfreuen uns die lebensvollen Zeichnungen eines Künstlers, der mit seinem tiefinnigen Wesen, seiner naturwahren Auffassung uns das deutsche Kinder- und Familienleben vorführt, wie es nur noch in Dörfern und Landstädten zu finden ist, in den Kreisen der Kleinbürger und Handwerker, im Treiben jener Menschen, die in ihrer abgeschlossenen Welt ein beschauliches Leben führen, ohne von den Anregungen der Zeit ergriffen zu werden, und sich so ihr Eden schaffen, wozu der Großstädter trotz allen Grübelns und Jagens selten gelangt.

Dieser Künstler ist Ludwig Richter in Dresden, dessen Schöpfungen dem deutschen Publicum längst in’s Auge und Herz gedrungen sind, der in seinen Holzschnittillustrationen vielleicht segensreicher gewirkt hat, als mancher Moralist von Metier, da seine gemüthsreichen Gebilde die treuesten Spiegelbilder seiner innersten Natur sind. Die feinste Beobachtung für Volks- und Familienscenen, die herzinnige Liebe, womit er seine Kindergruppen behandelt, der idyllische Reiz, der den landschaftlichen Theil seiner Zeichnungen durchweht, die Naivetät, womit er Thiere und selbst leblose Gegenstände behandelt – dies Alles zeugt, wie der Künstler mit ganzer Seele bei seinem Schaffen ist, wie ihn nicht allein die technisch durchbildete Hand leitete, sondern auch das Herz, dessen kindlichreines Fühlen sich der Meister noch in ungetrübtester Frische bewahrte. In seinem „Kinderleben“ erschließt er uns eine Fülle von Gemüth – ein Zauber harmlosen Glücks, wie er nur die Kindheit umschwebt, entfaltet sich vor uns und führt uns in jene Tage zurück, die niemals wiederkehren. Da lebt Alles in reinster Herzenseinfalt unter und durcheinander – selbst die Blößen, die hie und da fadenscheinige Kleider sehen lassen, stimmen uns nicht trübe, denn ihre Träger sind nicht Bewohner finsterer Städtemauern – es sind glückliche Dorfkinder, die des kleinen Schadens nicht achten, denn eine milde Luft umweht sie, und ein sonniger Himmel lacht über ihnen. Selten fehlt hierbei der treue Dorfspitz, der in seiner hypochondrischen Stimmung den stummen Beobachter spielt, oder auf Zucht und Ordnung hält, oder, ist er gut gelaunt, sich von einer kleinen Stumpfnase an den Ohren zausen läßt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_116.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2020)