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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

darin, daß ich Ihnen heute gleich ganz neidlos mein neuestes Promenadencostüme vorzuführen komme.“

Sie bot Veronika dabei die Hand und warf sich dann nachlässig in eine der Bergeren, so daß ihre hübschen Füße mit den hohen Hackenschuhen sichtbar wurden, die unter dem engen Ueberrock, welcher nach der neuesten Mode einen männlichen Zuschnitt hatte und den Pelerinen-Röcken der englischen Stutzer nachgebildet war, hervorguckten. Der kleine Hut mit der stehenden und von einem Bouquet gehaltenen Feder saß ihr dabei leicht auf einer Seite des Kopfes, und sie spielte, während sie sprach, mit dem hohen Spazierstock, den auch die Damen zu tragen begonnen hatten, seit sie sich häufiger als bisher auf den öffentlichen Promenaden zu zeigen pflegten.

Die Gräfin, welche auf ihren Landsitzen in Graubünden nicht Gelegenheit gehabt hatte, das allmähliche Entstehen dieser Moden zu beobachten, fand sie in ihrer ganzen Zusammenhangslosigkeit sehr abgeschmackt, und sie mißfielen ihr doppelt durch die herausfordernde und absichtliche Uebertreibung, in welcher die Marquise sie zur Schau trug. Sie dankte derselben indeß, wie sie es mußte, für ihren Besuch, aber Franziska bemerkte es, daß sie der Gräfin nicht gefiel, und mit aller der Keckheit, welche bei ihr das Zeichen mangelnden Ehrgefühls und eines öden Herzens war, richtete sie sich ein wenig aus ihrer halb liegenden Stellung auf, faßte ihren Spazierstock in beide Hände, stellte ihn vor sich hin, und den Kopf daran lehnend, sah sie plötzlich gedankenvoll vor sich nieder, so daß die Gräfin, an das gleichmäßige Betragen würdiger Frauen gewöhnt, sich in die Weise der Marquise kaum zu finden wußte.

Als diese ihr Haupt dann erhob und ihre Augen auf die Gräfin richtete, dünkte es dieselbe, als habe sie nicht mehr jene glänzende Erscheinung vor sich, welche eben so geräuschvoll und zuversichtlich bei ihr eingetreten war. Franziska’s Stirn hatte sich verdüstert, ihr Auge bewölkt, ihre Miene drückte Trauer aus. Und sich von ihrem Platze erhebend, machte sie Anstalt sich zu entfernen.

Die Gräfin fühlte ein inneres entschiedenes Abmahnen gegen die Marquise, aber sie war in diesem Augenblick ihr Gast, und die Befürchtung, sie verletzt zu haben, gab Veronika die Frage ein, was Jene zu so eiliger Entfernung bewege. „Sie hätten nicht kommen sollen, Frau Marquise,“ sagte sie verbindlich, „wenn Sie genöthigt waren, mich augenblicklich wieder Ihre Gesellschaft entbehren zu lassen.“

Es war das eine Redeform, Franziska aber griff dieselbe auf. „Freilich, ich hätte nicht kommen sollen!“ wiederholte sie; „aber wollen Sie es mir verargen, Frau Gräfin, wenn ich des Glaubens lebte, daß die Gattin des Grafen Joseph von Rottenbuel, die Erwählte des großmüthigsten Mannes, den ich je gekannt, ihm ähnlich sein müsse in der Tugend vertrauensvoller Herzensgröße? “

Eine tiefe Röthe überzog der Gräfin Antlitz, und gelassen, wenn schon im Tone der Abwehr, entgegnete sie: „Zürnen Sie mir nicht, wenn ich diesem Anruf nicht so würdig, als ich sollte, zu begegnen vermag. Ich war –“ sie zögerte auszusprechen, was sie dachte, und während sie noch mit sich zu Rathe ging, ob sie besser thue, ihr wahres Empfinden zurück zu halten oder es kund zu geben, trat der Graf herein.

Zum ersten Male, seit Veronika ihn kannte, war seine Ankunft ihr unerwünscht. Nicht daß sie Mißtrauen oder gar Eifersucht gegen ihren Gatten in sich getragen hätte, es verdroß sie nur, der Marquise durch ihre zurückhaltende Unentschlossenheit einen Vortheil über sich eingeräumt zu haben, den Franziska mit begieriger Schnelligkeit für sich zu benutzen eilte.

„Willkommen, Graf!“ rief sie ihm entgegen, „und dreimal willkommen, obschon es eigentlich dem Gaste nicht zusteht, den Herrn des Häuser in solcher Weise zu begrüßen. Aber Sie sind mir in diesem Momente mehr als Sie selbst, Sie sind mir ein Zeichen des Himmels, denn nun bleibe ich hier!“ – Sie legte ihren Stock fort, zog ihre Handschuhe ab und setzte sich noch einmal auf ihren frühern Platz nieder, als habe sie vor, es sich für eine längere Zeit bequem zu machen. Sie beachtete dabei kaum die verbindliche Begrüßung des Grafen oder das Erstaunen seiner Frau. Sie schien nur mit sich selbst beschäftigt, von einer Gedankenreihe hingenommen, für deren Mittheilung sie die rechte Form noch nicht gefunden hatte, denn sie begann zu sprechen, hielt nach den ersten Worten inne, hub dann noch einmal an, verstummte wieder und sagte darauf schnell und lebhaft, als müsse sie sich Gewalt anthun, um nicht abermals von ihrem Unternehmen zurück zu schrecken: „Als ich vorhin zu Ihnen kam, theuere Gräfin, geschah es mit einer ganz bestimmten Absicht, die auszuführen Ihr Empfang mich hinderte; und ich war eben daran, meinen Vorsatz aufzugeben, als ich mit jenem Aberglauben, um dessenwillen Sie, Graf Joseph, mich so oft verspottet haben, den Himmel anflehte, mir ein Zeichen zu geben, das mich belehrte, wofür ich mich entscheiden solle; ob ich gehen und dies Haus für immer meiden, ob ich bleiben und versuchen müsse, auf den Trümmern einer unheilvollen Vergangenheit einen Neubau und in ihm vielleicht eine Zuflucht für uns Alle aufzurichten.“

Sie hatte das mit großer Wärme gesprochen, schöpfte Athem und fügte dann mit einer freudigen Bewegung hinzu: „Sie traten ein, Graf Joseph, nun wußte ich, was mir zu thun oblag!“ und ihre Hände dem Grafen und seiner Gattin reichend, rief sie: „Ich bleibe, ja, jetzt bleibe ich!“

Wer an ein natürliches und einfaches Handeln gewöhnt ist, kommt selten in die Lage, große Erklärungen zu machen, besonders Auftritte herbei zu führen, und hat deshalb eine Abneigung gegen die billigen Gefühlserregungen, mit denen unwahre und herzlose Menschen sich ebenso vor dem eigenen Bewußtsein als vor ihrer Umgebung auszuschminken lieben. Es war daher nur eine nothwendige Folge ihrer Natur, daß Veronika sich von der Marquise an jenem Mittage noch mehr als früher zurückgestoßen fühlte, und ihre Mißempfindung wurde durch die Bemerkung nicht verringert, daß der Graf in dem Betragen von Franziska nicht eben etwas Unangemessenes oder Auffallendes zu finden schien. Er versicherte ihr mit herkömmlicher Galanterie, daß er es ihr nicht verziehen haben würde, hätte sie ihn nicht erwarten wollen, aber sie wehrte diese Zuvorkommenheit entschieden von sich ab und sagte: „Keine Unwahrheit mehr, mein theurer Freund, wo mir gar nichts obliegt, als der Gräfin die Ueberzeugung zu geben, daß Niemand Ihr Glück, mein Freund, mit größerer Genugthuung zu würdigen weiß, als eben ich, welche es einst so leichtsinnig verschmähte, die glückliche Urheberin dieses Glückes zu werden!“ – Und die Hand der Gräfin nochmals in die ihre schließend, sagte sie sanft und ernst: „Vertrauen Sie mir, meine theuere Gräfin, glauben Sie mir, daß Sie von mir, daß Sie für Ihren Frieden, für die Liebe Ihres Gatten nichts zu fürchten haben. Das Leben hat mich über meine Irrthümer furchtbar genug aufgeklärt!“

Veronika war blaß geworden, des Grafen ganze Haltung veränderte sich, auf seiner Stirn brannte das Roth des Zornes. „Es giebt Voraussetzungen, Frau Marquise,“ sagte er mit eisiger Kälte, „welche man nicht machen darf, ohne demjenigen eine Beleidigung zuzufügen, auf den sie sich beziehen. Als ich es wagte, der Gräfin meine Hand und meinen Namen anzutragen, wußte ich, daß sie von meinen Erinnerungen an die Vergangenheit für ihren Frieden nichts zu besorgen hätte; und was einst –“

„Hören Sie mich, Joseph!“ rief die Marquise, die trotz ihrer Schminke ihre leidenschaftliche Empörung über diese Zurückweisung kaum verbergen konnte. „Hören Sie mich, Joseph! – Wir leben in Paris, nicht in den Wäldern Ihrer Heimath, und es gilt hier mehr als die Befriedigung einer Gemüthsaufwallung. – Wir stehen auf einem Punkte, auf dem wir weithin sichtbar sind. Der kühle Empfang, den die Gräfin mir neulich in den Gemächern der Königin bereitet, als ich ihr so arglos und freudig entgegenkam, ist aufgefallen. Man hat ihn besprochen, beurtheilt, man hat darüber gelächelt. Sollen wir –“

„Frau Marquise!“ fiel der Graf ihr in die Rede, „das geht zu weit!“

Aber Franziska beachtete das nicht. „Sollen wir das Gespött des Hofes werden,“ fuhr sie fort, „sollen wir den Fluch des Lächerlichen auf uns laden, wo es in unsere Hand gegeben ist, unsere Vergangenheit zu rechtfertigen, indem wir uns die Anerkennung unserer Freundschaft für alle Zukunft zu erwerben suchen?“

„Schonen Sie mich, Frau Marquise!“ rief Veronika, „oder erlauben Sie mir, daß ich mich entferne.“

„Nein, Veronika, Du bleibst!“ befahl der Graf. „Was die Frau Marquise und ich noch mit einander gemeinsam haben, das gehört auch Dir, mein theueres Weib! das sollst und mußt Du hören!“

„Gewiß, gewiß!“ stimmte Franziska ihm bei, und schnell sprechend, als wollte sie die Geduld ihrer Hörer nicht ermüden, sagte sie: „Ich weiß, daß Graf Joseph nicht der Mann ist, ein

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