Seite:Die Gartenlaube (1862) 108.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Schlachten bei Großbeeren, an der Katzbach und bei Leipzig und die Einmärsche in Paris hatten den Boden in den preußischen Herzen bestellt für die jubelnde Empfängniß des deutschen „Freischütz“.

Dem Triumphe des „Singspiels“ wünschte Weber, angestachelt von den Aeußerungen der Anhänger Spohr’s, Spontini’s und Rossini’s, die es anzweifelten, daß ihm die zur Schöpfung einer großen Oper nöthigen tiefen Musikkenntnisse beiwohnten, den großen Erfolg einer solchen aus seiner Feder folgen zu lassen, und ergriff begierig die Gelegenheit hierzu, als, am Schlusse des Jahres 1821, der neue Pächter der Wiener Bühne, der „Theater-Nabob“ Barbaja, eine Oper für die Stagione von 1823 bei ihm bestellte.

Eine nach Wien zu Anfang 1822 zum Zweck der Kenntnißnahme von Kapelle, Sängern und Hörern unternommene Reise ließ Weber die schönsten Hoffnungen schöpfen, ein vortreffliches, intelligentes Publicum und ein sehr brauchbares Personen-Material an der Bühne erkennen. Nur machte ihn der Erfolg des Freischütz, dem er dort beiwohnte, an jeder Möglichkeit der Steigerung des Beifalls verzagen. „Der verdammte Freischütz,“ rief er aus, „wird seiner jungen Schwester das Leben verteufelt sauer machen!“ Und dies Alles trotz der Torturen, die man der armen Oper in Wien angethan hatte! Den Samiel hatte die Censur, das Schießen hatten die schwachen Nerven des Kaisers gestrichen, statt des muntern Kugelgießens in der Wolfsschlucht wurden, auf das Langweiligste, Bolzen in einem hohlen Baume gefunden u. s. w.!! Daher der Musik allein die Ehre!

Weber reizte der Kampf mit Rossini, seinem ebenbürtigsten und daher gefürchtetsten Gegner, nachdem er Spontini fast besiegt hatte. In seinen Empfindungen gegen seinen großen italienischen Rivalen erkennt man den sonst so frei und edel denkenden Weber kaum wieder. Er hatte die Schwachheit, ihn zu hassen, weil ihm seine musikalische Richtung antipathisch war. Ja noch mehr! Er gestand Rossini nicht einmal jene bedeutenden Eigenschaften zu, die er erkannt haben muß, weil sie unverkennbar sind. Ihm war und blieb er der musikalische Antichrist!

Doch er haßte Rossini zwar, aber er kannte seine Macht leider noch nicht im ganzen Umfange, denn er hatte den „Barbier“ noch nicht gesehen!

Die Frau Helmine von Chezy dichtete ihm nun einen Text, so absurd, so unpraktisch, so undramatisch, daß es kaum faßbar ist, wie ein so klarer Geist wie Weber sich durch den Wohllaut der Verse in dem Maße bestechen lassen konnte, ihn zu componiren. So wurde die „Euryanthe“ geschrieben. Die Wiener sagten später sehr treffend: Der Lysirat singt ja selbst die beste Kritik der Oper:

„Die Weise tadl’ ich nicht;
Doch wohl die Worte vom Gedicht!“

Inzwischen hatte Barbaja, im Verein mit seinem Freunde Rossini, für die Stagione, die auch „Euryanthe“ bringen sollte, eine italienische Truppe zusammengebracht, die in Bezug auf Vollkommenheit der Darstellung fast ohne Gleichen in der Kunstgeschichte ist. Da sangen die Rossini-Colbran, die Fodor-Mainville, die Eckerlin[WS 1], da war Lablache, Douzelli, David, Ambrogi, alles Lichter erster Größe, und sie führten den zu Musik gewordenen Jubel, den „Barbier von Sevilla“, die „Italienerin in Algier“, den „Othello“, die „Donna del Lago“ auf, diese Feuerwerke von Melodiefunken, diese Cascaden von musikalischem Schaumweine, diese elektrisirenden Thorheiten voll Schönheit und Glanz! Und der alle Herzen von Neuem erobernde Rossini, der trillernde, funkelnde, liebenswürdige „Schwan von Pesaro“, war kein finsterer Spontini, der sich schon Heere von Gegnern durch sein Erscheinen, Gehen und Reden schuf!

Als Weber immer mehr von dieser Oper, diesen Darstellern hörte, wurde er tief nachdenklich, und als er 1823 mit seinem Schüler, Julius Benedikt, nach Wien abreiste, um die Euryanthe aufzuführen, hörte man öfter als je aus seinem Munde seinen gottergebenen Wahlspruch: „Wie Gott will!“


(Schluß folgt.)


Lessing und Wolfenbüttel.

Der Mann, dessen Wahlspruch lautete: „Jeder sage, was ihm Wahrheit dünkt, und die Wahrheit selbst sei Gott empfohlen!“ – dieser Mann war sein Lebelang ein treuer, freier, unerschrockener Schriftsteller für die Menschheit und Dichter für sein deutsches Volk, aber erst die Gegenwart hat ihn auch dem Volke näher geführt, die deutsche Bühne hat diesem einen Theil seines Wirkens verständlich gemacht, die deutsche Kunst hat ihm Denkmale errichtet, deutsche Städte feiern ihm jährliche Erinnerungsfeste. In einer solchen Zeit wird man es in der Ordnung finden, wenn wir auch vor der kleinen engen Häuslichkeit des großen Mannes den Vorhang aufziehen und unseren Freunden einen Einblick in diesen Theil seines Lebens eröffnen.

Wolfenbüttel, der Ort wo Lessing das letzte Decennium seines Lebens zubrachte, ist die zweite Stadt des Herzogthums Braunschweig und war bis 1753 die Residenz der Herzoge von Braunschweig-Wolfenbüttel. Als Lessing im Jahre 1770, durch die Vermittelung des Erbprinzen Carl Wilhelm Ferdinand, von Hamburg kommend, mit 600 Thaler Gehalt als Bibliothekar dort angestellt wurde, war kurze Zeit zuvor für die Stadt eine der traurigsten Perioden angebrochen, welche sie erlebt hat. An die Stelle eines glänzenden Residenz-Treibens, wie es seit den Tagen des prachtliebenden Anton Ulrich, des Erbauers von Salzdahlum, hier geherrscht hatte, war durch die Verlegung des Hoflagers durch Herzog Karl I. nach Braunschweig die Oede einer kleinen Landstadt getreten, und ungeachtet die beiden ersten Landes-Collegien, das Consistorium und das Oberlandesgericht, dort blieben, war doch die Einwohnerzahl von vierzehntausend Seelen auf beinahe die Hälfte gesunken; ganze Häuser standen unbewohnt, die mit Gras bewachsenen Straßen waren menschenleer; während in Braunschweig sich seit der Gründung des Carolinums durch den an diesem damals blühenden Institut wirkenden Kreis bedeutender Männer, wie Ebert, Gärtner, Zachariä, Jerusalem, Schmied, Eschenburg, neben dem Hofleben auch ein reges geistiges Leben entwickelte, fehlte in Wolfenbüttel jede Anregung der Art, und die Klage Lessing’s, der hier jedes geselligen Umgangs entbehrte, weil er „den Umgang, den er haben konnte, nicht haben mochte“ – war nur zu begründet.– Er bemerkte bald: „daß er die Einsamkeit, in der er zu Wolfenbüttel nothwendig leben müsse, und den gänzlichen Mangel des Umgangs, wie er ihn an andern Orten gewohnt gewesen sei, auf mehrere Jahre schwerlich würde ertragen können. Er würde, sich gänzlich selbst überlassen, an Geist und Körper krank; immer unter Büchern vergraben sein, dünke ihm wenig besser, als im eigentlichen Verstande begraben zu sein;“ – und sein Bruder sagt, damit übereinstimmend, in seiner Biographie des Dichters: „Lessing traf in Wolfenbüttel gar keine Freunde an, ob er sich gleich nachher einige erwarb. Der Ort ist an und für sich stille und hat alle die herrlichen Dinge nicht, die Lessing zuweilen zerstreuen konnten. Die Bibliothek war das Einzige, was ihn beschäftigte und vergnügte.“ –

Besser wurde dieser Zustand, nachdem Lessing sich am 7. October 1776 zu Hamburg mit Eva Hahn, der Wittwe seines Freundes König, verheirathet hatte; sie machte ihm sein „verwünschtes Schloß“, wie er die Bibliothek und seine daran stoßende Dienstwohnung nannte, lieb und heimisch, bis nach einem kurzen glücklichen Jahre der Tod dieser liebenswürdigen Frau den alten Zustand um so fühlbarer zurückkehren ließ. Drei Tage nach diesem traurigen Ereigniß schreibt er an Eschenburg: „Ich muß nun wieder anfangen, meinen Weg allein so fort zu duseln. Ein guter Vorrath von Laudanum literarischer und theologischer Zerstreuungen wird mir einen Tag nach dem andern schon ganz leidlich überstehen lassen.“ – Ward es ihm dann einmal gar zu enge in den einsamen „vier Wänden“ – dann eilte er, meistens zu Fuß, nach dem zwei Stunden entfernten Braunschweig, wo er im Verein mit Zachariä, Ebert, Leisewitz, Schmied und Andern erquickende Stunden verlebte.

In Wolfenbüttel waren Lessing’s Gesellschafter ein gewisser

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ekherlin
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_108.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)