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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Stöcke der Führer und von deren nerviger Hand hinübergeschleudert, glücklich hinwegkamen. Dicht neben dem einen Bache fanden wir eine von den schauerlich schönen Vertiefungen, welche bei den von der Sonne an der Oberfläche ausgehöhlten und spitzig gezahnten Gletschern keine besondere Erscheinung sind, die aber auf dem flachen, stundenweiten Eisfelde des Gornergletschers, der sich wie ein festgeschlungenes Band zum Thale hinabzieht, in der Mitte nur selten angetroffen werden. Tiefe, dunkle Bläue spiegeln die geraden Eiswände wieder, tiefe, dunkle Bläue ruht auf den im Grunde sich sammelnden Wassern, und blau schimmert der Schnee ringsum, wo ihn der Stock oder die Fußspur eindrückt. Und nun die Scenerie um uns her! Wo findet die Sprache Worte, das Entzücken zu malen? Wer leiht Farben, um auch nur die Schatten des Bildes wiederzugeben? In mächtigem Gürtel zieht das Riesenvolk vor dem Blicke dahin, links, an die Cima de Jazi sich lehnend, der mächtige, untersetzte Monterosa, viergehörnt, im Winkel gelegen, daran der Lyskamm mit der langgestreckten, weißen Wand, ein Zwillingspaar von hellschimmernden Kuppen aussendend, die endlich über dem kräftigen Breithorn den Blick zu der Perle der Kette, dem wunderbarsten aller Berge führen, den man nur anstaunen, aber kaum begreifen konnte. Kühn steigt das Matterhorn aus dem Bergrücken, pfeilspitz sich gipfelnd, blendend weiß, unnahbar, die wahre nie zu erobernde Jungfrau. Dies das Gerippe. Aber nun der Ueberwurf, den die Beleuchtung ausspann über das Volk der Bergriesen? Silbern, wie nie wahrer, tanzte das Mondlicht auf den Kuppen der Berge, und in silberner Bläue zitterte jeder Lichtstrahl von ihnen zurück. Märchenhaft nahten die Berggeister in dem milden Dufte der Nacht, nicht phantastisch betäubend, wie ihre Verwandten der tropischen Zonen, nicht gemüthlich anheimelnd, wie ihre Schaaren im norddeutschen Heimathsland, aber durchscheinend, unbegreiflich, magische Kreise ziehend, überwältigend mit der klaren, festen Zeichnung der Gruppen und dem glitzernden, knisternden Hauch, der Alles in Silberglanz und Aetherbläue löst. Doch schon ziehen sich dunkle, undurchdringliche Tinten durch das eben noch so köstliche Blau, der Schnee wird immer grauer, der Mond bleicher und bleicher. Einen Moment trüben sich die Umrisse des Ganzen. Da plötzlich flammt ein Blitz auf der Spitze des Monterosa, erst ein Funke, dann flackert er auf, dann springt er von Spitze zu Spitze. Schon flammt das Matterhorn, immer heller wird die Gluth; jetzt scheint sie zu verlöschen, da flammt sie von Neuem auf, im Nu strahlt die ganze Bergkette, blau, roth, gelb, alle Farben des Regenbogens kreuzen sich auf der Netzhaut des Auges, bis endlich großes, allumfassendes, rosiges Glühen die Schneefelder und den Beschauer umfängt – der erste Blick der Sonne. Jetzt schwindet die Geisterwelt mit dem spukenden Silberglanz, und das Herz schlägt uns in unnennbarer Lust, im höchsten Gipfel des Lebens. Was bis dahin todt und starr erschienen, das athmet jetzt in dem rosigen Lichte, was kalt und groß, unnahbar und unbegreiflich geschienen, das tritt uns näher im warmen Hauche, das wird begreiflich, weil es mit uns von demselben Leben durchglüht scheint. Unwillkürlich entblößten wir das Haupt, trotz des eisigen Bodens, der noch in tiefer Nacht lag. Denn in solchem Momente fühlt man das Allumfassende, das Allerhaltende, das Allbelebende, wie nie. Und dieses unvergeßliche Schauspiel, das uns trunken machte vom Sonnenlicht, wie Bacchus vom ersten Trunke der Reben, war so vollkommen, so ungetrübt, daß selbst die Führer unser Glück priesen, und wir Alle in den nun schnell einbrechenden Tag mit dem Gefühle schritten, einen Augenblick durchlebt zu haben, wie er unserem kurzen Dasein vielleicht nie wieder gegönnt sei.

Wir hatten unterdeß den Gornergletscher überschritten und befanden uns nun auf dem Monterosagletscher, welcher sich von dem Fuße des Monterosa selbst ergießt und von dem Gornergletscher durch eine kaum bemerkbare Mittelmoräne getrennt ist. Nach mehrstündigem Wandern über den meilenbreiten Strom beschritten wir endlich das erste hartgefrorene Schneefeld, dessen sanfte Neigung glücklicherweise keine besonderen Anstrengungen erforderte, zumal gleich von Anfang die Vorsicht gebraucht worden, daß Jeder nach Indianerart in die Fußstapfen des Vorhergehenden trat und jede Anhöhe, auch wenn sie scheinbar leicht zu überwinden war, dennoch in zickzackförmigen Gängen betreten würde. Wenig erschöpft, aber doch von der frischen Morgenluft zu reger Eßlust gestachelt, machten wir endlich an den sogenannten schwarzen Platten, dem letzten Gestein, das im Sommer seine nackten Flächen durch die ewige Eis- und Schneekruste zu brechen vermag, Halt und ließen uns zu behaglichem Mahle nieder. Tapfer wurde den Vorräthen zugesprochen, und es bedurfte der Ermahnungen der Führer, daß wir nicht durch Uebermaß der so nothwendigen freien Beweglichkeit Abbruch thäten. Nur dem Einen von uns versagten schon jetzt die Kräfte, und das war der eine meiner Führer, welche allerdings nur zu den Holzfällern des Thales zu gehören schienen, denn er wurde in Folge der dünneren Luft beinahe unfähig zu jeder Bewegung.

Unterdeß wurde der Kriegsplan entworfen. Der eine Theil wollte vom Nordosten aus die Erklimmung versuchen, aber Taugwald der Aeltere, welcher die ersten beiden Besteigungen des Monterosa geleitet hatte und in der angegebenen Richtung niemals weiter, als auf die zweithöchste von dem obersten Gipfel durch eine tiefe Kluft getrennte Spitze hatte gelangen können, bezeichnete die westnordwestliche als die passendste, und seine erfahrene Stimme gab den Ausschlag. Zu gleicher Reihe und Ordnung, wie vorher, brachen wir um 9 Uhr auf. Die schon bedeutend steileren und hartgefrorenen Schneefelder ging es von Neuem nicht ohne Anstrengung mehrere Stunden bergan. Aber hierbei versagten bereits einem Zweiten die Kräfte, und das war mein zweiter Führer. Wahrlich, ein würdiges Paar, das jedem Reisenden auf spätere Fälle dringend zu empfehlen ist! Numero Zwei spürte jene verräterische Müdigkeit, welche so leicht Verderben und Tod bereitet, und bettete sich, ihr nachgebend, in den Schnee. Vergeblich stellten wir ihm die Gefahr vor, entweder nicht wieder aus dem Schlafe zu erwachen, oder von uns auf dem Rückwege nicht wieder aufgefunden zu werden. Er hörte weder auf wohlgemeinten Rath, noch auf das Gespött der übrigen Führer und verschwand bald als dunkler Punkt in dem weißen Schneetuche. Ich aber war fest entschlossen, meinen unvergleichlichen Führern die großen Aufmerksamkeiten, die sie mir erwiesen hatten, nicht mit den ursprünglich ausbedungenen 70 Francs zu lohnen.

Um 10 Uhr befanden wir uns am Fuße des letzten Kegels, der sich in mächtiger, wohl 45 Grad starker Böschung erhob und auf dessen äußerster Höhe ein schmaler, zerrissener Felsgrat, der Zugang zur letzten Spitze, aus dem Eise hervorragte. Wie aber diesen jähen, schlüpfrigen Eismantel erklimmen? Schon dachte ich mit Schrecken an die Geschichte von dem Gemsjäger, der sich die Fersen aufschneidet, um mit seinem Blute einen Halt an dem steilen Felsen zu gewinnen, und schon brannte mir bei dem bloßen Gedanken die betreffende Stelle meines Piedestales. Doch so grausames Loos hatten die Götter uns Sterblichen nicht beschieden. Allerdings hätten wir bei dem gelindesten Winde die Ersteigung aufgeben müssen, da sich dann die Luft mit scharfen Eisnadeln füllt, welche das schon so mühsame Athemholen erschweren und dem Auge die erforderliche Sicherheit nehmen. Die Luft war jedoch ruhig, und so reichten die Mittel, die wir besaßen, zur Ueberwindung aller Hindernisse hin. Hier zeigte sich die Nützlichkeit der von uns mitgenommenen Seile. Wir theilten die Gesellschaft nämlich in drei Theile, von denen die Glieder jedes einzelnen durch die zweimal fest um die Hüften geschlungenen Leinen miteinander verbunden wurden. An der Spitze jeder Kette stand ein Führer. Der von der ersten, Simon, hieb nun mit seiner Axt Schritt für Schritt Stufen in den gefrorenen Schnee und in das harte Eis, in welchen wir, oft allerdings nur durch die straffgespannten Seile im Gleichgewicht gehalten, für einen Moment festen Fuß fassen konnten. Nach einstündiger, unsäglicher Arbeit erreichten wir die Stelle, wo der Felsgrat aus dem Schnee zu Tage tritt. Auch jetzt hätten wir umkehren müssen, wenn es kürzlich geschneit hätte und die Zwischenräume zwischen den einzelnen Felsblöcken dadurch verwischt worden wären. Da uns jedoch das Glück auch diese Enttäuschung ersparte, so rüsteten wir uns nach kurzer Erholung in einer Nische, welche von dem ersten Felsblock gebildet wird, zum letzten, verwegensten Klimmen. Die Gefahren, welchen man auf diesem Felsgrat begegnet, sollen nach der Aussage eines Engländers, welcher den Montblanc und im vorigen Jahre den Monterosa bestiegen hat, Alles überbieten, was der erstere an Hindernissen aufzuweisen hat. Beim Anblick des bedenklichen Pfades verlor auch einer unserer Engländer, Mr. El., den Muth und mußte bis zu unserer Rückkehr in jener Nische bleiben, ein anderer, Mr. M., erlag beim ersten Schritt dem Schwindel und der dünnen Bergluft und theilte das Loos des ersteren mit schwerem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_102.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)