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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

des außerordentlichen Umschwungs bewußt gewesen wäre, den die ungeheueren Opfer des Jahres 1859 hervorgebracht haben. Selbst unter den Geistlichen des niedern Klerus, die ich gesprochen, war keiner, der nicht ein Herz gehabt hätte für die große Sache des gemeinsamen Vaterlandes. „Die einzige schwierige Sache,“ sagte mir mein alter Freund Balestrini, Geistlicher am Dome von, Mailand, „ist die römische Frage, aber auch sie wird überwunden werden,“ setzte er hinzu, „denn die Einheit Italiens verlangt es, und der Gedanke dieser Einheit ist nicht mehr zu unterdrücken.“ „Ja, so ist es,“ fügte seine alte greise Mutter hinzu, „denn es ist eine Sache Gottes!“ –

Ich hatte es oft bedauert, nicht schon im vorigen Jahre nach Italien gegangen, nicht Zeuge von dem frischen Enthusiasmus gewesen zu sein, mit dem ein siegesfreudiges Volk die blutig erkämpfte Befreiung von einer verhaßten Fremdherrschaft feierte. Aber es ist besser so. Die Begeisterung des Moments und der bei diesem heißblütigen Volke bis zur höchsten Exaltation gesteigerte Jubel des ersten Freudenrausches, sind jetzt vorüber. Man kann ruhiger beobachten unter Ruhigen; und die Ruhe und Besonnenheit der Italiener, welche ich überall wahrgenommen, die Klarheit der Ansichten und Zwecke, das richtige Bewußtsein über die Schwierigkeit und Gefahren der gegenwärtigen Lage, die Mäßigung und Einsicht der Organe der Presse,, welche die öffentliche Meinung ebensowohl bilden als ausdrücken, übersteigt meine Erwartungen. Natürlich rede ich nur von der Lombardei und von Piemont, denn nur diese beiden Theile Italiens habe ich gesehen und beobachtet; aber sie sind dafür auch der Halt und Kern des neuen Regno d'Italia Und endlich ist doch auch nicht zu vergessen, daß Italien das Vaterland der Staatskunst ist, bei der alle modernen Staaten Europa’s in die Schule gegangen sind.

Aber genug für heute. Denn jeder Aufblick vorn Papiere durch das offene Fenster, an das ich meinen Schreibtisch gerückt habe, ladet mich ein, die Feder wegzuwerfen, zumal an einem Tage, wie der heutige, wo der italische Himmel in der ganzen Kraft und Schönheit herbstlichen Sonnenduftes über diesem schönsten aller italischen Seeen lacht und leuchtet. Es ist gar keine Frage mehr für mich, daß der Lago Maggiore an Mannigfaltigkeit und reizender Lieblichkeit meinen bisherigen Liebling, den Lago di Como, übertrifft, und daß nur die Parteilichkeit meiner Mailänder Freunde mir früher das Gegentheil versichern mochte. Baveno aber ist der Lage nach die Perle seiner Ufer. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir die spiegelklare Fläche in einer Ausdehnung, die an den Golf von Neapel, erinnern kann. Gegenüber, am östlichen Ufer des Sees, der hier bei Baveno sich westlich tief einbuchtet, schimmern im Sonnenglanze die reizenden Städte und Städtchen Suno, Pallanza, Cerro Mombello und Leggiuno, umgeben von sanften Hügeln und stattlichen Gebirgshöhen, deren wundervoll gezeichnete Linien sich auf dem klaren Elemente in zauberischer Weise der Contouren abspiegeln, während die Borromeischen Inseln – unter ihnen Isola bella mit ihrer vielgestuften Gartenpyramide und ihrem leuchtenden Grafenschlosse – wie riesige Wasserpflanzen in nächster Nähe auf der Fluth zu schweben scheinen und einzelne weißüberdachte Barken schwanengleich dahinziehn. Dicht am Hause vorbei, eingefaßt von einer hohen Steinmauer mit ihren steinernen Telegraphenpfeilern, schläft die Simplonstraße in schweigender Sonntagsruhe, daß man das leise Plätschern der kleinen Wellen hören kann, welche den Fuß der Mauer und die Stämme der Maulbeer- und Kastanienbäume bespülen, die zum Theil an dem schmalen Erdrande zwischen Mauer und See, zum Theil im Wasser selbst sich stundenweit hinziehen. – Es ist der schönste Tag, der uns seit unserer Ankunft in Italien geleuchtet hat, und wir wollen ihn genießen, so lange er leuchtet. Also auf und hinaus! Die Abende sind ohnehin jetzt schon lang genug zum Schreiben, und da will ich versuchen, mit Hülfe meines Tagebuchs Euch von den weiteren Eindrücken zu berichten, welche mir dieser kurze Blick in das freie Italien gegeben hat. Die Blätter, auf die ich meine Tagesskizzen hingeworfen, liegen so schon lange genug in der Mappe, und es wird Zeit, daß ich sie Euch sende, damit sie nicht mit mir zugleich über die Alpen nach Hause gehen.

Varenna, Anf. Septbr. 1861.

Bei meinem letzten Besuche des Comer-Sees hatte ich meine Villeggiatur am westlichen Ufer, in der Majolica bei Cadenabbia genommen. Aber der gute Signor Rhigini, der vor drei Jahren dieses freundlichste aller Gasthäuser der Tremezzina inne hatte, dessen sich die Leser meiner „Herbstmonate in Oberitalien“ wohl noch erinnern, war, wie man mir auf dem Dampfschiffe berichtete, inzwischen gestorben, und so beschloß ich denn, diesmal auf dem östlichen Ufer in Varenna, gegenüber von Menaggio, Station zu nehmen.

Es war gegen drei Uhr, als wir hier anlandeten. Das Albergo Reale des Signor Marcionni, das einzige Hotel des kleinen Städtchens, das unter dem Burgthurme des alten in Trümmern liegenden Schlosses der stolzen Sfondrati, die sich „Grafen des Seeufers“, conti della riva, nannten, auf steil abfallendem Felsvorsprunge liegt, war uns von einem deutschen Landsmanne als dasjenige empfohlen, das unter allen Gasthäusern des ganzen Ufers die schönste Aussicht aus den See gewähre, und wir hatten während eines sechstägigen Aufenthaltes Gelegenheit genug, uns von der Richtigkeit jener Empfehlung zu überzeugen. Das stattliche Gasthaus liegt hart am See, dessen blaue Wellen an die dreißig Fuß hohe Quadersteinterrasse heranspülen, welche in einer Länge von etwa 80 und einer Breite von 40 Fuß die ganze nach Südwesten blickende Frontseite des Hauses umgiebt und in den reizend terrassirten, mit Weinlaubengängen, Lorbeer-, Orangen-, Citronen- und Mandelbäumen geschmückten Garten ausläuft. Von dieser Terrasse aus, die zu dem Schönsten gehört, was ich in dieser Art gesehen, zeigt sich der See in seiner imposantesten Gestalt und in seiner größten Breite. Denn man blickt hinein in seine beiden Arme, den von Lecco und den von Como, welche der hohe Bergrücken trennt, auf dessen letztem Ausläufer die alte Villa Serbelloni mit ihren thurmhoch terrassirten Felsengärten prangt, und man übersieht zugleich von Menaggio an bis nach Cadenabbia die ganze Reihe von heiteren Landhäusern, prächtigen Villen und einladenden Gasthäusern, welche das westliche Ufer des Sees bis zu den Berghöhen hinauf bedecken.

Doch auch hier waren es diesmal nicht mehr vorzugsweise die Schönheiten dieser reizgeschmückten Seeufer, sondern vielmehr die Menschen, die wir hier vor drei Jahren kennen gelernt und liebgewonnen, welche wiederzusehen und von deren Erlebnissen in den letztvergangenen Zeiten zu hören wir gespannt und begierig waren. Denn es ist eine unumstößliche Wahrheit in dem Lessing’schen Ausspruche, daß im Grunde doch die edelste Beschäftigung und das bleibendste Interesse des Menschen der Mensch ist. In Varenna aber lebte uns eine befreundete einheimische Familie, die erste an Rang und Bildung, Ansehen und Vermögen in dem kleinen weltabgeschiedenen Orte, wohin nur selten sich der Fuß eines Touristen verirrt, wie wir denn auch diesmal einige Tage lang die einzigen Bewohner des Gasthauses von Varenna waren.

Ein paar Zeilen an Signora Luisa, die Gattin des Advocaten Benini, abgesendet, brachten uns in dem deutsch abgefaßten Antwortschreiben – denn die hochgebildete Italienerin ist eine Freundin und Verehrerin der deutschen Litteratur und unserer Sprache in einem für Italien höchst seltenen Grade mächtig – die erfreuliche Kunde, daß die Freunde daheim und wohlauf seien, und Signora Luisa folgte wenige Minuten später ihrem Billete auf dem Fuße, um uns zu begrüßen und in ihre herrlich gelegene Villa am nördlichen Ende des Städtchens abzuholen. Abends kam auch ihr Gatte von seiner Geschäftstour nach dem nahegelegenen Bellano, dem Hauptorte des Districts, zurück und begrüßte mit gleicher Herzlichkeit die unerwarteten Freunde aus der Ferne. Man sah es Beiden an, daß schwere, stürmische Jahre über ihren Häuptern vorübergezogen waren, und die Erzählung ihres Antheils an denselben gab ein Bild von den Wechselfällen, welche in dieser Zeit des Parteienkampfes hier die Familien betroffen. Wir sahen mehrere Räume des Hauses mit einer großen Bibliothek angefüllt, die wir früher nicht dort gesehen, und mit deren Ordnen der eine der beiden Söhne des Hauses noch beschäftigt war, und erfuhren auf unsere Frage, daß sie die Hinterlassenschaft von Signora Luisa’s Oheim, dem gelehrten Professor Ripamonte zu Padua, sei. Er war ein Anhänger der österreichischen Regierung gewesen und als ein Verräther an der Sache seines Vaterlandes dem Dolche eines Patriotischen Fanatikers zum Opfer gefallen! Ein anderer naher Verwandter des Hauses dagegen, der Dr. Ginarni, wurde in Mailand das Opfer einer österreichischen Kugel, der einzigen, welche nach der verlornen Schlacht von Magenta in Mailand abgefeuert worden ist. Sein Schicksal ist wahrhaft tragisch zu nennen. Wir sahen im Jahre 1858 den schönen, jungen, mit allen Vorzügen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_090.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2020)