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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Aufregung; mit der ganzen Hand griff er hinein, nahm wohl ein Dutzend und fing an zu reißen, bis sie zündeten. Als sie ausgebrannt waren und er den Griff zum zweiten Male versuchte, wollte ich das Schächtelchen fortnehmen, aber ich kam zu spät! Im Nu hatte er es ergriffen, war mit einem Satze auf der Erde, lief damit unter die Veranda und strich, so rasch er konnte, da ihm der Deckel fehlte, über die Steine. Die Steine waren feucht, und so wollte das Ding nicht gehen, und deshalb ließ ich ihn gewähren und ging wieder in die Stube. Nach einigen Minuten sehe ich ihn wieder hereinhüpfen auf drei Beinen mit dem Schächtelchen im rechten Arme, und war nicht wenig erstaunt, daß er gleich zu mir auf den Tisch kam. Ganz willig ließ er sich die Schachtel wegnehmen, schmiegte sich an mich und that wieder bittend, als wenn er sagen wollte: Wie ist denn das? das Zeug will nicht brennen, zeige es mir noch einmal! Es waren noch 14 Hölzchen übrig geblieben. Ich nahm eins heraus, riß es über den Deckel, daß es zündete, und hielt es ihm hin. So wie es ausgebrannt war, ergriff er Schachtel und Deckel, und rannte damit eiligst wieder unter die Veranda. Jetzt hatte er es begriffen! Er riß nun eins nach dem andern über den Deckel, daß sie zündeten. Nicht ein einziges ließ er übrig.

Ich hatte ihm ein gefährliches Kunststückchen gelehrt, denn ich durfte nie mehr die Schachtel so stehen lassen, daß er sie erreichen konnte.

Einer meiner Freunde, der mich fast täglich besuchte, hatte die böse Angewohnheit, ihn stets zu necken und mit dem Stocke nach ihm zu stoßen, um sich an seinen komischen Sprüngen und seinem Gesichterschneiden zu ergötzen. Das arme Thierchen konnte sich trotz seiner Behendigkeit nicht immer schützen, und flüchtete sich dann stets Schutz suchend in meine Arme. Wenn mein Freund sich nur sehen ließ, zeigte er durch Mienen, Gebehrden und Schreien seine innere Wuth an. Eines Tages war der Affe unter der Veranda, als mein Freund zu mir hereinkam und sich neben mich an den Tisch setzte. Es dauerte nicht lange, so sah ich den Affen heranhüpfen. Als er auf der Thürschwelle war und seines Feindes, der ihm den Rücken zugekehrt hatte, ansichtig wurde, stutzte er, aber im selben Augenblicke war er auch hinter ihm auf der Stuhllehne und biß ihm in’s Ohr, daß das Blut hinterherkam. Ebenso rasch war er auch wieder auf der Erde, rannte in den Hof und ließ dabei seine lachenden Töne hören, die deutlich zeigten, wie sehr er sich freute, seinen Feind gestraft zu haben.

Um diese Zeit erhielt ich noch ein junges Thierchen, so klein, daß es kaum auf seinen vier Beinchen sich halten konnte. Das arme Ding war früh Waise geworden, denn Tags vorher war ihm die Mutter, die es in den Armen hielt, erschossen worden und der leichtsinnige Vater, wie gewöhnlich, entflohen. Ich war sehr neugierig, zu sehen, wie er sich wohl gegen dasselbe betragen würde, und setzte es deshalb vor ihm auf die Erde. Es sah augenblicklich, daß nicht die Mutter ihm gegenüber stand, denn es zeigte nicht das geringste Verlangen, zu dem Alten zu kommen, sondern kauerte sich mit der kummervollsten Miene zusammen und blieb auf derselben Stelle sitzen. Der Alte dagegen richtete sich mit verwundertem Gesichte in die Höhe, staunte es an und ging dann vorsichtig zu ihm. Einen Augenblick besah und beroch er es sich und nahm es dann liebevoll in seine Arme und drückte es fest an die Brust. Ich holte nun jedem ein Stückchen Tortilla. Der Alte aß mit seinem gewöhnlichen Appetite, der kleine aber nicht; theilnahmlos wie ein krankes Kindchen hielt er das Brod in seinem Pfötchen. Der Alte war rasch mit seiner Portion fertig, und ich vermuthete sicher, daß er bei seiner angebornen Habgier nun über das Stück des Kleinen herfallen würde; allein er ließ es ihm. Ich holte nun Milch, um seine stiefväterliche Liebe auf eine noch härtere Probe zu stellen, aber auch diese rührte er nicht an. Er setzte den Kleinen auf die Erde, und erst dann, als dieser sich satt getrunken hatte, nahm er den Rest, nahm den Kleinen wieder auf den Schooß und setzte sich ruhig hin. Bis dahin war der Alte angebunden. Ich machte ihn nun los, um zu sehen, ob er wohl von ihm fortlaufen würde, da ihn seine angeborne Neugierde und Beweglichkeit sonst keinen Augenblick ruhen ließ. Augenblicklich stand er auf und ließ den Kleinen los, lief aber nicht fort. Der Kleine kletterte nun langsam auf seinen Rücken, legte die Vorderbeinchen um seinen Hals und die Hinterbeinchen um seinen Hinterleib, grade so wie die Mutter das Kleine im Walde trägt, und dann ging der Alte mit ihm in die Stube und trieb seine gewöhnlichen Allotria. So hatte er ihn nun wochenlang auf dem Rücken sitzen, bis er sich selbst helfen konnte. Er hatte den Kleinen vollständig adoptirt. Ich hatte ihm ein Stück wollener Decke gegeben, in das er sich Abends kunstgerecht einhüllte, wie die dortigen koketten Damen in ihre Shawls. Stets faßte er es an zwei Ecken an, warf es sich über den Kopf und zog es über das Gesichtchen, so daß nur für ein Auge eine Lücke blieb, und zog es dann unterm Kinn zusammen. Aber auch hiermit zeigte er, daß er seine Selbstsucht der Liebe zu seinem Pfleglinge gern zum Opfer brachte, denn so wie Abends die Zeit der Ruhe kam, legte er den Kleinen auf seinen Schooß und hüllte ihn so ein, wie eine sorgsame uns liebende Mutter dieses nur thun kann. Die gegenseitige Liebe kannte keine Grenzen.

Nichts Interessanteres giebt es, als diese Thiere im Urwald zu beobachten, wie sie spielen, zanken, sich unterhalten, sich lieben, gemeinschaftlich auf Diebereien ausgehen und den Raub theilen.

Trotz der ungeheuren Massen, die sich dort umher treiben, gelingt es doch nur äußerst selten, sie auf längere Zeit zu Gesichte zu bekommen, weil sie stets wandern und man den einmal eingeschlagenen Pfad nicht verlassen kann in dem undurchdringlichen Walde. Mir jedoch war das Glück günstig, weil ich einige Monate auf der Insel Ometepe im Nicaragua-See lebte. Die Insel hat ungefähr 8 Stunden im Umkreise, ist mit Hochwald bewachsen, der nur wenig Unterholz hat, so daß man überall sich frei bewegen kann. Sie ist fast nur von Indianern bewohnt, die in den beiden Dörfern Moiogalpa und Pueblo grande zusammen wohnen. Der Indianer ist ein großer Freund der Affen und deshalb verfolgt er sie nicht, und dieses war der Grund, daß auf diesem kleinen Eilande ihre Zahl ungeheuer groß war und sie sehr wenig Furcht vor Menschen hatten.

Eines Tages war ich auf einer Streiferei in die Nähe des Dorfes Moiogalpa gekommen. Ich hatte mich unter einen Baum gesetzt, um einige Schmetterlinge zu ordnen, die ich gerade gefangen hatte, als ich plötzlich die Affen kommen hörte. Obschon sie auf ihren Wanderungen selten einen Ton von sich geben, so hört man sie doch schon vom Weitem durch das Knistern und Krachen der trocknen Zweige, die sie bei ihrem Springen in den Bäumen zerbrechen. Dieses Mal aber tönten eine Masse Stimmen wild durcheinander, so daß sich mir die Vermuthung aufdrängte, es müsse etwas Besonderes vorgefallen sein. Es dauerte kaum einige Minuten, als der ganze Schwarm in großer Hast ankam und über mir und in den nebenstehenden Bäumen Halt machte. Die kleinen Thierchen waren in sehr großer Aufregung. Die hellen Aeugelchen blitzten wie Feuer, sie sprachen mit einander und sahen alle ängstlich und mit lang vorgestrecktem Halse nach der Gegend hin, von der sie gekommen waren. Ich brauchte nicht lange nachzusinnen, was sich ereignet haben mochte, denn ich sah einige, die reife Platanos trugen, und andere mit Maiskolben, und deshalb war es sicher, daß sie bei einem Diebstahle ertappt worden waren. Ihre ganze Aufmerksamkeit war so sehr nach dem Orte der bösen That hingerichtet, daß sie mich da unten nicht gewahr wurden, und so konnte ich sie denn ruhig beobachten. Die gemeinsame Gefahr hielt sie alle so sehr in Spannung und Aufregung, daß auch die, welche beim Diebstahle leer ausgegangen waren, nur an die eigne Sicherheit dachten und darüber den Hunger oder den Genuß der leckern Früchte vergaßen. Allein dieses dauerte nicht lange, denn als sie sahen, daß sie nicht verfolgt wurden, fing der ganze Schwarm an, wieder lebendig zu werden. Die ersten, die gleichsam zur Besinnung kamen, waren die Leerausgegangenen. Sie sahen sich nach denen um, die Beute hatten und bereits anfingen, dieselbe zu verzehren. Anfangs suchten die Besitzenden sich dadurch zu schützen, daß sie durch Hüpfen von einer Stelle zur andern den Zudringlichen auszuweichen suchten, aber dieses dauerte nicht lange, und es fielen mehrere über einen her. Nun ging es an ein Streiten, Reißen, Springen und Gesichterschneiden, wie man es sich nicht toller vorstellen kann, und an vielen Orten endete der Streit dann mit dem Sprüchworte: „Unrecht Gut gedeiht nicht,“ denn die Früchte fielen zur Erde bei dem Krawall. Ich hatte mich eine Zeitlang an diesem Treiben ergötzt, als ich seitwärts in die Höhe blickte und einen auf einem Aste sitzen sah, der ganz ungestört und mit der größten Ruhe seine Platanos verzehrte. Ich sah ihm eine Zeitlang zu und konnte mir gar nicht denken, warum denn dieser eine ungeschoren blieb. Bald aber sollte sich dieses Räthsel lösen, denn ich sah ein kleines Aermchen nach der Frucht ausstrecken. Es war

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_088.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)