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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

nur mit höchster Anstrengung das andere Ufer erreicht; dort rastete er einen Augenblick, bis die um den kleinen See herumjagende Schaar der Reiter und Hunde ihn zu neuer, verzweifelter Anstrengung aufstachelte. Aber seine Kräfte waren bald erschöpft, und lustige Fanfaren verkündeten das Halali.

„Wo ist aber Se. Erlaucht!“ frug, voll Besorgniß um sich blickend, der Reitknecht des Grafen Detlev zu Hans Björne gewendet, der ihn beim Beginn der Jagd von seinem Herrn zu entfernen gewußt hatte. „Weiß ich’s?“ entgegnete übermüthig der Däne, den Kopf abwendend, „frag’ dort den Grafen Adolph, der muß es wissen, er war ja zuletzt mit ihm drinnen im Wald.“

„Mein Bruder?“ frug dieser, im Kreis umhersehend. „Wahrhaftig, er fehlt! Rasch zurück, sein Pferd ist vielleicht gestürzt,“ und mit diesen Worten wandte er das seine. Gefolgt von der Mehrzahl der Anwesenden gewahrte er nicht, daß Hans Björne einen Pfad einschlug, der nach der entgegengesetzten Seite führte. Der treue Hector aber folgte ihm nicht, sondern hatte bald die Spur seines Herrn entdeckt, und mit einem Schrei höchsten Entsetzens kniete Graf Adolph an der Seite seines entseelten Bruders.

Alle waren wie gelähmt vor Schreck, und manches Auge wurde feucht; denn der Todte war seiner einfachen Herzensgüte, wie seines heitern, männlich festen Sinnes wegen geliebt; mancher Blick aber auch wandte sich von dem Bruder scheu zu Boden, wie vor einem entsetzlichen Gedanken. Ein Weheruf aber durchhallte das ganze Schloß, wie Stadt und Land, als am Nachmittag der Trauerzug anlangte, und kein Wort herzlicher Theilnahme für den Schmerz des Bruders begrüßte den nunmehrigen regierenden Grafen Adolph, der finster und gebeugt der Bahre folgte und sich bis zu der feierlichen Beisetzung der Leiche in seine Gemächer verschloß.

Hans Björne aber erschien nicht wieder auf Schloß Ranzau. Er war nach Kopenhagen geeilt, und bald verbreitete sich von dort aus als offene Kunde, was man sich in Holstein nur noch in’s Geheim zuflüsterte: der Graf Adolph habe seinen von ihm gehaßten Bruder auf der Jagd erschossen, und König Christian trage darum Leid wie nur ein rechter Bruder es könne.


Gastfreundschaft.

Wieder waren Jahre seit diesem Unglückstag verflossen, und der Letzte jener sieben Söhne, die einst das stolze Grafenhaus belebt hatten, schaltete darin als Gebieter. Die Macht und Ehre, die man ihn als Kind schon gelehrt hatte zu beneiden, ruhte jetzt wirklich auf ihm; aber wahren Genuß hatte er nicht davon, und die Consequenzen jenes unaufgeklärt gebliebenen Unglücksfalles drückten ihn trotz seiner Schuldlosigkeit schwer zu Boden. Die öffentliche Meinung hatte ihn, eingedenk des steten Unfriedens, in dem er mit seinem Bruder stand, verurtheilt, und seine fast völlige Isolirung war die empfindliche Folge davon. Was half ihm jetzt der Welt gegenüber das Bewußtsein, daß sein letzter Handschlag in aufrichtiger Absicht gegeben worden sei? was seine Reue über den jahrelang genährten Groll? Wohl hatte er aus den vorgefundenen Briefen Clara’s ersehen, wie sehr er sich über Detlev’s Verhältniß zu Isa getäuscht hatte; aber Isa, obgleich sie nicht an ihm gezweifelt hatte, war darum doch für ihn verloren, dazu kannte er den alten Baron, ihren Vater, zu gut.

Als deutschen Reichsgrafen konnte freilich der König von Dänemark den Grafen Ranzau nicht verhaften lassen, so lange derselbe auf seinem eigenen Grund und Boden blieb; aber daß Christian V., der von des Grafen Schuld so fest überzeugt schien, ihn nicht bei dem deutschen Reichsgericht in Wetzlar verklagte, nahm doch Viele Wunder.

So hatte sich denn Graf Adolph wohl gehütet, das umfangreiche Gebiet seiner Grafschaft zu überschreiten; aber diese nothwendige Beschränkung ward doch mit der Zeit dem souveränen Grafen immer drückender.

Wie gesagt, Jahre waren dahin gegangen und hatten ihren verhüllenden Schleier auch über jene unheimliche That gebreitet. Sie schien vergessen, und einzelne Gäste aus der Ritterschaft fanden sich wieder auf Schloß Ranzau ein. Unter die Wenigen jedoch, die dort nie ganz fremd geworden waren, gehörte auch der Amtmann von Pinneberg, zu dem Graf Adolph eine besondere Zuneigung hegte, die Jener immermehr zur Freundschaft zu gestalten beflissen war.

„Wenn nur dieser verwünschte Bann nicht auf mir läge, ich nähme ja sehr gern Eure Einladung an,“ sagte einst unmuthig der junge Graf beim Abschiede zu dem Amtmann, „denn wahrlich, ich habe dies Einsiedlerleben satt!“

Dieser aber lachte über diese thörichten Bedenken. „Ueber das Alles ist ja schon längst Gras gewachsen,“ sagte er, „vergessen es Eure Gnaden daher auch! – Also – wir rechnen auf des Herrn Grafen Gegenwart?“ – Und in der That machte sich an einem hellen Sommertage des Jahres 1722 der Graf Adolph auf, um der drückenden Einsamkeit seines Vaterhauses zu entfliehen. War nicht der Amtmann sein Freund und Kopenhagen weit? Was wagte er also?

In dem stattlichen, gastfreien Hause, welches das Ziel des Reichsgrafen war, hatten sich jedoch schon vor seinem Eintreffen mehrere Gäste eingefunden; aber sie zeigten sich nur nicht alle, im Gegentheil verbargen sie sich sorgfältig vor den Blicken der vornehmen Gesellschaft, der sie augenscheinlich nicht angehörten. Jene bestand zumeist aus Dänen, die eben aus der Hauptstadt kamen, oder doch solchen Deutschen, die durch ihre Sympathien dorthin gehörten. Mit jedem neuen Toaste wurde die Stimmung fröhlicher und lauter, und Graf Adolph gab sich mit vollem Behagen dem so lang entbehrten Genuß der Geselligkeit hin.

Eben begann der Champagner zu kreisen, da öffneten sich die Flügelthüren des Speisezimmer, und zu beiden Seiten des Eingangs stellten sich dänische Polizeibeamte auf; zwei in schwarze Amtstracht gekleidete Gerichtspersonen traten ein und schritten auf den erblaßten Grafen Adolph zu. „Im Namen Seiner Majestät des Königs Friedrich IV. verhafte ich Seine Erlaucht den Reichsgrafen von und zu Ranzau,“ sagte feierlich der ältere von Beiden, indeß der andere dem verwirrten, aber doch den Ueberraschten spielenden Hausherrn den Verhaftsbefehl vorzeigte.

Einen Blick tiefster Verachtung warf der Gefangene auf seinen Wirth. „Das ist Euch gut gelungen, wahrlich! ein Pröbchen dänischer Treue zum Dessert für Euren Freund!“ sagte er mit schneidender Bitterkeit und folgte in stolzer Haltung den Gerichtspersonen zu dem harrenden Wagen, dessen Escorte die Polizeimänner bildeten, die dazu eigens von Kopenhagen herübergekommen waren.


Numero Sieben.

Nahe der Küste, deren Granitfelsen unaufhörlich von den unruhigen Wogen der Nordsee gepeitscht werden, umbraust von den scharfen Nordwestwinden dieses Meeres und den größten Theil des Jahres in kalte Nebel gehüllt, liegen die grauen, feuchten Mauern des Schlosses Aggerhuus in Norwegen. Wer durch die schwere Eisenpforte desselben eintritt, läßt seine Vergangenheit wie seine Erdenhoffnung hinter sich; er ist namenlos – nur noch eine bloße Zahl in der Reihe seiner Leidensgefährten; – eine Nummer, die, auf das grobe Kleid des Sträflings geheftet, jeden Standes- und Bildungsunterschied zwischen dem zuletzt Angekommenen, dem Grafen Adolph Ranzau, und dem gemeinen Raubmörder auslöschte.– Nach einer kurzen, nur zum Scheine geführten Untersuchung war der listig in die Falle gelockte Reichsgraf auf königlichen Befehl lebenslänglich in die enge Zelle eines Gefängnisses eingekerkert worden.

Wenige Tage nach dem Verschwinden des Majoratsherrn, als kaum die Kunde sich verbreitete, legten königlich dänische Beamte kraft der Vollmacht, die ihnen von dem nunmehr erbberechtigten Sohne des Adoptivbruders ausgestellt worden war, Beschlag auf die Herrschaft und organisirten die gesonderte Verwaltung derselben, wie sie noch heutzutage zum Besten der königlichen Schatulle fortbesteht. Das deutsche Reich hatte mit seinen inneren und äußern Händeln ohnehin genug zu thun. Von der Seite also war keine kräftige Opposition zu befürchten, und das fait accompli der Besitznahme der Grafschaft Ranzau durch den 1722 regierenden Friedrich IV. ward mit dem Protest der übrigen erbberechtigten Agnaten zu den Acten gelegt.

Der Kerkermeister von Aggerhuus hatte schon mehr als einen der namenlosen Sträflinge, deren Erscheinung trotz des entehrenden, groben Tuches, was sie kleidete, ihre einstige höhere Lebensstellung verrieth, in die feuchten Zellen verschwinden lassen, deren Beaufsichtigung ihm oblag. Auch ein Blick auf den Grafen Adolph würde ihm genügt haben, wenn nicht die Strenge seiner isolirten Haft ihm das besondere Interesse bewiesen hätte, welches an seiner Bewahrung liegen mußte. –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_079.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)