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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

– „Warte, warte, Du kleiner Tausendsasa, Du Du,“ lispelt die Mutter unter Kosen dem Kindchen zu, was soeben im Umdrehen ein Zuckerplätzchen wegstibitzte und’ in’s Mäulchen steckte, während hier doch Strafe nöthig gewesen wäre. – „Iß doch, iß, sonst bekommt es die Schwester,“ oder „sonst esse ich es auf,“ oder: „sieh, wie Schönes Du hast, das hat Brüderchen gar nicht.“ Gleichgültig sieht manche Mutter es an, wie auf solche Weise Mißgunst und Eigennützen dem Kinde angebaut werden, da man doch fast jedes Kind an die entgegengesetzte Tugend, an die Freude des Gebens und Wohlthätigseins gewöhnen könnte. – Es ist sehr traurig, daß Eltern und Erzieher nicht einsehen wollen, wie schon in den ersten 3 bis 4 Lebensjahren, wo das Selbstbewußtsein noch sehr gering ist, doch dem Menschen, und zwar nur durch richtige Gewöhnung, ohne alle Ansprache an den Verstand, das Gefühl für Rechtes und Gutes für’s ganze Leben so eingeimpft werden kann, daß es bei jeder Probe besteht. Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe, die nicht zeitig genug entwickelt werden können, erzeugen sich im Kinde am besten dadurch, daß man selbst gegen dasselbe vollkommen wahr und offen ist, und niemals schlaue Lügen desselben belächelt, sondern sogar unschuldige Unwahrheiten bestraft. Achtung vor dem Eigenthume Anderer läßt sich dem Kinde dadurch beibringen, daß man ihm nicht alle Gegenstands zu nehmen erlaubt die es wünscht und die Anderen gehören; daß man dagegen aber auch sein eigenes Spielzeug ihm nicht entziehen läßt.

Der allergrößte Fehler eines Kindes ist aber der Ungehorsam, und dieser dürfte leider bei nur wenigen Kindern fehlen. Ja selbst wenn sie folgen, so geschieht dies doch meistens nur nach öfteren Befehlen oder wohl gar erst auf die Androhung einer Strafe und auf das Versprechen einer Belohnung hin. – Warum ist nun aber der Ungehorsam, welcher als das größte Hinderniß für die spätere Erziehung anzusehen ist, den allermeisten Kindern eigen? Weil die Mütter nicht von Haus aus dem Kinde durch die consequenteste und gleichförmigste Behandlung und Gewöhnung an das Gehorchen den Gehorsam anerzogen haben. Anstatt mit Ruhe, Ernst, Umsicht und wenig Worten nur das zu verbieten, was überhaupt und immer unterbleiben kann und soll, und was, wenn es dem Kinde einmal befohlen wurde, durchaus von diesem ausgeführt werden muß verbieten die Mütter oft nur nach zufälliger Laune, nicht selten im Scherze und mit Lachen, sehr oft das, was sie früher häufig übersahen und auch später nur manchmal wieder verbieten; sie dringen ferner nicht darauf, daß dem Verbote stets sofortige Folge geleistet werde, sondern lassen es ruhig hingehen, wenn das Kind den Befehl auch nicht ausführt. Nur dadurch, daß Alles, was sich das Kind nicht angewöhnen soll, aber doch thut, nicht bloß manchmal, sondern stets und so lange verboten und bestraft (aber ordentlich, nicht bloß durch ein Paar Klappse gestraft) wird, bis dasselbe das frühere Thun und Treiben völlig vergessen hat, nur dadurch läßt sich ein gutes, folgsames Kind erziehen. Man befehle und verbiete Kindern überhaupt nur da, wo es durchaus nöthig ist; man verbiete nicht eher, als bis man auch entschlossen ist, die verbotene Sache unter keiner Bedingung mehr zu gestatten, und befehle nichts, als was man durchsetzen will und kann. Man muß nicht am Verbieten Freude haben und schlage nur unerlaubte Dinge, aber bestimmt ab. Ein sehr großer Verstoß gegen die Erziehungsregeln ist es, wenn Eltern den Gehorsam des (nämlich unfolgsamen) Kindes erbitten oder erschmeicheln wollen. Ueberhaupt taugt eine Erziehung kleiner Kinder durch Belohnung (Näschereien, Spielzeug, Geld) gar nichts, ein liebevolles Benehmen der Eltern gegen das folgsame Kind muß für dasselbe die schönste Belohnung sein.

Sowie nun den meisten Kindern von Seiten ihrer Mütter Ungehorsam, Eigensinn, Trotz, Willensschwäche, Eigennutz, Neigung zum Lügen und Stehlen von frühester Kindheit an anerzogen werden, ebenso thun diese Mütter in der Regel auch nichts, um ihren Kindern Bescheidenheit, Ordnungsliebe und wahre Reinlichkeit anzugewöhnen, dafür impfen sie denselben Eitelkeit, Vormäuligkeit und Dünkelhaftigkeit ein. Daß ferner der Grund zum Muthe und zur Selbstbeherrschung durch, die Mütter gelegt würde, läßt sich ebenfalls nicht behaupten. Jedoch wollen wir auf die zuletzt genannten Fehler und Unarten nicht weiter eingehen, wir beabsichtigten nur zu zeigen, welche schlimmsten Laster Kindern schon von Geburt an allmählich anerzogen und so zur Grundlage des schlechten Charakters Erwachsener werden.

Schließlich stellen wir noch die Behauptung auf: beim Menschen muß die Hauptgrundlage zum Guten bis zum 4.-6. Lebensjahre gelegt sein; nach dieser Zeit sollte eine Bestrafung durchaus nicht mehr stattfinden dürfen, denn beim gutgezogenen, gehorsamen Kinde werden schon sanfte Ermahnungen zum Unterlassen des Unrechten und zum Thun des Rechten vollständig hinreichen. Um nun aber solche wirklich gute Kinder erziehen und dann der Schule zur weitern Ausbildung ihres Verstandes, Gemüthes und Willens übergeben zu können, dazu muß die häusliche, vorzugsweise die mütterliche Erziehung durchaus eine andere werden, als sie jetzt ist, und wir stimmen deshalb aus voller Ueberzeugung dem Ausspruche bei:

Gebt uns bessere Mütter, und wir werden bessere Menschen haben.“
Bock.





Ein Denkmal auf dem Schlachtfelde von Jena.

Wenn die Saale aus dem anmuthigen Thalkessel, in welchem die alte gar liebe Universitätsstadt Jena liegt, wieder heraustritt, so nähern sich auf beiden Seiten die Bergwände des Thales mehr und mehr wieder; so daß der Strom, aus frischem Wiesengrunde sanft dahin fließend, in neckischen Windungen bald links bald rechts der Berge Sohle berührt. Die Verschiedenheit der Bildungen beider Wände verleiht der Gegend den lieblichsten Reiz. Während auf der rechten Seite immer von Zeit zu Zeit einzelne schroffe Kegel vorspringen, welche nach hinten zu durch hufeisenförmige waldbesäumte Ringe in Verbindung stehen, senkt sich links eine enggeschlossene Kette herab, nur an wenigen Stellen durch Schluchten und Wasserrisse unterbrochen. Klettern wir in einer dieser Schluchten empor, so stehen wir auf einer weiten von vielen Dörfern besäten Hochebene, welche sich hin bis nach Weimar senkt, von wo aus der Ferne der breitrückige Ettersberg als eine dunkle Masse herüber schaut. – Diese Hochebene ist der Schauplatz eines der düstersten Ereignisse der deutschen Geschichte, es ist hier das Schlachtfeld von Jena. Man sieht es der Segensfülle, welche die Natur auf diesen Gefilden ausbreitet, wo im Sommer des Brodes goldene Frucht in dichten Halmen steht, nicht an, daß einst hier eine blutige Saat gesät worden ist; nur tief unter der Erde reden so und soviel Zeugen von dem großen Völkerstreite, der einst hier ausgerungen ward – sie selbst nun, die Streiter, voll des tiefsten Friedens. Nur ein einzig Gedächtnißzeichen erhebt sich noch über der Erde. Mitten auf freiem Felde, in der Nähe des Dorfes Rödigen, steht ein Halbkreis von hochgewipfelten Linden um ein kriegerisches Denkmal. Es ist ein hoher Würfel aus Seeberger Sandstein, auf welchem sich pyramidenförmig ein Officierhut und mehrfache Kriegsembleme ausbreiten. Gleich hinter diesem ragenden Gedenksteine liegt dann noch einer platt auf der Erde, wie voll demüthiger Anhänglichkeit an jenes Fuße geschmiegt. Es ist ein stiller Friedhof im freien Felde, auf den wir getreten sind. Es ist nicht bloß die große Geschichte des Vaterlands, es ist auch die kleine Geschichte zweier Herzen, von denen dies Denkmal Zeugniß redet: es ist der Grab- und Gedenkstein eines in der Schlacht Gefallenen, den treue Gattenliebe ihm und zugleich sich selbst zum Denkmal setzte. So sehen wir auch vorn nach der offenen Seite zwei verschlungene Hände in den Stein gehauen als liebender Vereinigung sprechendes Symbol und die von der Gattin des Gefallenen selbst erwählten Worte:

Wenn Du auf diesem Leichensteine
Verschlungen flehest Hand in Hand,
Die zeigt vom irdischen Vereine,
Der innig aber kurz bestand.

5
Es zeugt von einer Abschiedsstunde,

Wo Hand in Hand sich schmerzlich rang,
Von einem heil’gen Seelenbunde,
Von einem himmlischen Empfang.

Von dem Gefallenen aber erzählt die andere Seite rechts, wo es heißt:

„Freiherr August Wilhelm v. Bissing, Premier-Lieutenant im Churfürstlich Sächs. Chevauxlegers-Regiment Prinz Clemens,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_076.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)