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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

ihre Erscheinung so ebenbürtig an die Reihen ihrer weiblichen Ahnen an, daß er sich davon ergriffen fühlte. Sie erschien ihm wie die Verkörperung seines Familiengeistes, und eingenommen von dem Zauber, welchen die ganze Umgebung auf ihn ausübte, fühlte er neben der Neigung, welche sich bei dem Aublick der Schwester für dieselbe in seinem Innern regte, eine scheue Ehrfurcht vor ihr, gegen welche sich ein Etwas in ihm sträubte, so sehr er wünschte, ihr wohlzugefallen und ihr lieb zu werden.

Man blieb die ersten Stunden ungestört beisammen, denn man hatte sich einander anzueignen. Graf Joseph wußte nur wenig von den Tagen, in welchen Conradine das einzige Kind der Eltern, und der Stamm der Grafen von Rottenbuel seinem Erlöschen nahe gewesen war. Sie erzählte ihm von der Freude, mit welcher der Vater die Geburt seines Sohnes begrüßt, von dem holden Lächeln, mit welchem der Blick der Mutter an ihm gehangen, und von der Rührung, mit welcher sie selbst ihn über die Taufe gehalten hatte. Von ihrem Leben redete sie zu ihm, das hieß für sie, von dem Gatten, welchen sie verloren, und von dem Sohne, den sie in seinem Andenken erzogen hatte. Sie rühmte es mit freudiger Erhebung, daß kein Thuris jemals einem fremden Herrn gedient, und lobte es, daß auch ihr Ulrich dem Zureden widerstanden, in Paris in die Schweizerregimenter einzutreten; „denn,“ sagte sie, „es ist das Einzige, was ich unserm Vater nicht vergeben kann, daß er Dienste nahm. Und auch von Dir, mein Bruder, war es nicht wohlgethan: Man soll nicht dienen, wenn man frei sein kann!“

„Schau um Dich!“ rief sie aus, indem sie ihres Bruders Hand ergriff und mit ihm in das Freie hinaustrat. „Soweit Dein Auge dieses Thal umfaßt, giebt’s keinen Herrn außer Dir. Droben in dem Dorfe, dessen schlanker Kirchthurm jetzt so hell im Sonnenlichte wiederleuchtet, betet der Pfarrer, den Du eingesetzt, in der Kirche Sonntags für Dein Wohl. Drüben in der Mühle, deren Räder das weiße Wasser der Albula in raschen Schwingungen dreht, arbeitet der Müller für Dich; auf den Matten und Triften, welche hinaufsteigen bis an die Regionen, in denen das Leben nicht mehr gedeiht, wohnen in zahlreichen Dörfern Deine Leute, weilen in noch zahlreichern Scharmen die Sennen, welche Deine Heerden bewachen. Unten tief im Thale liegt der Niederstein, die Burg, welche Graf Emanuel dem Geschlecht erbaut; hoch über dem Arvenwald zu Deiner Rechten hebt sich Schloß Felseck hervor, in dessen Mauern die flügelschnellen Falken nisten, über dessen Thürmen der helläugige Adler seine mächtigen Kreise zieht. Das Alles ist Dein! Dein ist dies Herrenhaus, Dein ist ein Name, dem sich an Alter und Adel nur wenige vergleichen können, die auf Europas Thronen sitzen; Dein ist die ganze lange Reihe des Geschlechtes, das in diesem Augenblicke auf Dich und Deine Heimkehr niederschaut, das seine Fortdauer von Dir verlangt, das Dir gebieterisch zuruft: Du darfst nicht der Letzte, Du sollst nicht der Letzte sein!“

Sie hielt inne, der Ton der Begeisterung, der Beschwörung, in welchem sie unwillkürlich gesprochen, hatte auf sie selbst zurückgewirkt, die Augen glänzten ihr feucht, sie mußte sich sammeln, und schweigend umherblickend lehnte sie endlich ihren Arm auf ihres Bruders Schulter und sagte mit mütterlich vorwurfsvollem Tone: „Und Du konntest so lange fern von Deinem Vaterlande bleiben, konntest vergessen, daß hier Dein Name eine Macht ist, der den Bund verstärken hilft? Du konntest vergessen, daß Du hier Pflichten gegen das Volk zu erfüllen hast, welches gewohnt ist, von Deinem Stamme zusammengehalten und geleitet, von Deinem Stamme geführt zu werden, wenn der Feind uns naht? Mögen diejenigen in’s Ausland gehen, die Haß gesäet in unserm Volke und Fluch geerntet. Den Grafen von Rottenbuel blüht hier Liebe, wohnt hier Verehrung und Treue. Wie konntest Du anstehen, sie zu pflegen und zu nähren, wie konntest Du, da ich Dich mahnend rief, solange in Paris in Dienstbarkeit verweilen?“

Der Graf war bis in das tiefste Herz ergriffen. Die einfache und aus starker Ueberzeugung erwachsende Ausdrucksweise seiner Schwester erhöhte den Eindruck, welchen ihr erster Anblick auf ihn hervorgebracht. Ihre Worte prägten sich ihm ein, setzten sich in ihm fort und klangen weiter wirkend nach. Er fühlte sich schuldig und doch hoch hinausgehoben über sich selbst, er war sich wie entfremdet und es dünkte ihn doch, als werde er jetzt erst sich selber zurückgegeben; und von dem Vertrauen zu der Schwester hingerissen, von seinen widersprechenden Empfindungen bedrängt, sagte er seufzend, als müsse er sich selber rechtfertigen: „Du weißt nicht, Schwester, was mich hielt!“

Er hatte sich bei den Worten von ihr abgewendet und die Hand über seine Augen gedeckt. Sie trat an ihn heran, erfaßte diese Hand und sagte leise und fest: „Ich weiß es!“

Ihre Blicke begegneten sich, und sich auflehnend gegen die Macht, welche seine Schwester über ihn gewann, versetzte er kurz und mit kaltem Tone: „Ich kam nicht hierher, ein Weib zu suchen; ich kam, um zu vergessen, daß ich vor wenig Tagen einer Frau, die mich verrathen, ein Menschenleben hingeopfert!“

Die Augenbrauen der Freifrau zogen sich kaum sichtbar zusammen, ihre Stimme aber und ihre Mienen blieben unverändert.

„Du wirst’s vergessen!“ erwiderte sie ruhig.

„Und was dann?“ fragte er, indem er sein Haupt erhob.

Sie antwortete ihm nicht, und er wiederholte die Worte: „Und was dann?“

„Dann wirst Du sehen, mein Bruder,“ sagte sie in mildem Tone, „wie gering das kurze, vergängliche Menschenleben uns erscheint, wenn wir die Natur mit ihren nach Jahrhunderten zählenden Wandlungen uns gegenüber haben; dann wirst Du sehen, mein Bruder, wie der Einzelne, sich seiner Vergänglichkeit bewußt, das Verlangen trägt, fortzuleben in der Kette und in der Reihenfolge eines Geschlechts, das vor ihm war und nach ihm sein wird, und in der Erinnerung eines Volksstammes, der seine Segnungen an den Namen dieses Geschlechtes knüpft.“

(Fortsetzung folgt.)




Kleiner Briefkasten.

An Fr. F. C. H. Ueber Ursprung und Bedeutung des Beinamens Plon-plon für den „Cousin“ des zweiten Kaiserreichs unter Napoleon dem Dritten sind die Gelehrten und Zeitungsschreiber noch nicht ganz einig. Sicher ist nur, daß diese Bezeichnung für den Sohn Jerôme’s aus dem Krimkriege mit in das Abendland gebracht wurde. Den Wortlaut eines sogenannten Spitznamens fügt der Volkswitz oft so wunderlich zusammen, daß Glück dazu gehört, einen etymologischen Halt für einen solchen zu gewinnen. Diejenigen, welche ihn der französischen Zunge vindiciren, wollen in ihm entweder eine Abkürzung des Namens Napoleon in der Kindersprache erkennen, oder sie schreiben das Wort plomb-plomb und deuten damit auf die Gefährlichkeit derjenigen Bleikugeln hin, welche im Krimkriege eine höchst armeewidrige Diarrhöe verursachten. Weniger rücksichtslos erscheint es, wenn der Franzose sich für seinen Nasenlaut das englische plump-plump zurecht gerichtet hätte, das offenbar den Söhnen Albions entfahren konnte, wenn sie in der Prinzlichen Generalsuniform die dicke Fleischmasse (plump – fleischig, dick, aufgeblasen) vor sich sahen, deren Besitzer jetzt zugleich Inhaber des Namens Plon-plon ist. Am wahrscheinlichsten erscheint die Herleitung dieser Wortbildung aus der Kindersprache, der das Lon-lon für Napoleon nahe liegt, das dann in Plon-plon ausgebildet und zu Gunsten der Lauteinheit seine vorzügliche Nebenbedeutung hinsichtlich der Bleischeu erhielt. – Dagegen ist der Plonplonismus eine politische Macht geworden, indem derselbe das Nationalitätengeschäft begreift, welches die Napoleoniden etablirt haben und mit welchem sie den großen Plonplonismus wird in Europa schlafen gehen, sobald die Völker erwacht sind und ihren sogenannten Befreiern in die Augen und auf die Finger zu sehen vermögen.

Ro. in Aa. Wir haben nur nach den vorliegenden Thatsachen eine an uns gerichtete Anfrage beantwortet – sind Sie selbst so gut unterrichtet, so hätten Sie sich die Anfrage und uns die Mühe der Antwort sparen können. Interessante Artikel aus den La Plata-Staaten können uns nur willkommen sein, sobald dieselben frisch und prägnant gehalten sind, doch ist der Raum der Gartenlaube nicht dafür da, um für irgend eine Weltgegend als Paradies für Auswanderer Propaganda zu machen. Senden Sie Ihre Artikel, und wir werden Ihnen mittheilen können, ob sich dieselben für uns eignen oder nicht. Aufgenommene Arbeiten werden stets anständig honorirt.

Herrn Rittergutsbesitzer v. Schütz in Z. Wir hatten Ihnen auf Ihr Schreiben vom 2. Jannar direct geantwortet, erhielten aber unsern Brief Mangels der nähern Adresse zurück. Wir bitten um Angabe der letztern, um Ihnen die gewünschten Mittheilungen zugehen lassen zu können.

W – s in M – g. Nein. Das Manuscript, welches wir bereits an Sie zurückschickten, als unbestellbar aber wiedererhalten haben, steht gegen Portoersatz zu Ihrer Verfügung.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_064.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2020)