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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Graf Adolph trat mit finsterer Wolke auf der Stirn in das gastliche Haus und harrte lange in peinlicher Spannung, das Fenster nicht verlassend, der Rückkehr Beider.

Graf Detlev hatte diesen Spaziergang benutzt, um seiner Base die herannahende Entscheidung mitzutheilen, die ja auch für sie eine Freudenbotschaft war, indem sie dann von dem sie mehr und mehr drückenden Schein befreit wurde, den sie bisher Clara zu Liebe getragen hatte. Auch ihre Augen glänzten, und in heitern Scherzen kehrte das schöne Paar nach dem Schlosse zurück, nicht ahnend, daß Graf Adolph von oben mit verbissenem Ingrimm sie Beide so einträchtig die Allee heraufkommen sähe.

„Kommt jetzt mit mir in meinen Wintergarten, mein edler Vetter, da blüht eben eine seltne Blume, die Ihr sehen müßt,“ sagte schelmisch lachend Baroneß Isa und eilte ihm leichten Schrittes auf einer Wendeltreppe voran in das runde Erkerzimmer, welches sie sich zu einer Art Gewächshaus eingerichtet hatte, und wo Clara an dem Lieblingsplatze der jungen Mädchen saß und tief erröthend den „jungen Blumenfreund,“ wie ihn Isa nannte, empfing.

Indessen harrte Graf Adolph, der das Paar bis an die Haupttreppe hatte kommen sehen, vergebens ihres Eintritts; von dem dämonischen Instinct der Eifersucht getrieben, öffnete er die Thür zu der Bibliothek und nahte sich leise der Glasthür, die zu dem Erkerzimmer führte. Und in der That – fast verborgen von einer dichten Gruppe blühender Gewächse, saß eine Frauengestalt, den Rücken nach ihm gewendet, und ihr zur Seite stand Graf Detlev. Den Arm um sie gelegt, beugte er sich in vertraulichem Gespräch zu ihr hinab. Nahe der Thür aber lag Isa’s warmer Ueberwurf und Schleier nachlässig abgeworfen; konnte er da noch zweifeln?

Also auch sie, das einzige Kleinod seines Lebens, sollte er ihm entreißen? Und Isa, deren Neigung er so sicher gewesen war, daß er nie ein bindendes Ja von ihr begehrt hatte, auch sie konnte im entscheidenden Momente den Majoratsherrn seinem weniger bevorzugten Bruder vorziehen? – Schon wollte er die Hand auf die Thürklinke legen, um dem gewaltsam in ihm tobenden Sturme freien Lauf zu lassen; doch die Gewohnheit, rasch seine Empfindungen zu bemeistern und in finsterm Groll zu verschließen, ließ ihn ebenso rasch sein Vorhaben aufgeben. Erdfahlen Angesichts und finsterer als je, schlich er leise hinaus und befahl dem erstaunten Hans Björne, die Pferde unverzüglich zu satteln; er selbst aber ging voraus, den Weg, den er vor kaum einer Stunde gekommen.

Während Graf Detlev mit Clara allein war, hatte sich Isa mit ihren Lieblingsblumen beschäftigt, die an dem Fenster neben der Glasthür so aufgestellt waren, daß Adolph’s Blick nicht dahin fallen konnte. Sie war so glücklich, daß Alles sich so günstig zu gestalten schien, und Graf Detlev, der seinen Bruder noch am Abend über seine Absichten auf Clara unterrichten wollte, sich auch für diesen so freundlich gesinnt gezeigt hatte. Adolph’s plötzliches Verschwinden aber legte sich wie ein kalter Nebel über die eben noch so heiter in die Zukunft blickenden Gemüther; sie wußten nicht genau warum, denn daß er seinen Brnder oft wochenlang mied, war ihnen ja eigentlich nichts Neues.

Auf diesem Ritt war es, wo wir ihm mit Hans Björne in dem herbstlich bunten Walde begegneten. Dem schlauen beobachtenden Diener war Alles, was seinen Herrn betraf, kein Geheimniß, und so hatte er denn auch bald die Ursache entdeckt, die den jungen Grafen Anfangs in so wildem Galopp davon gejagt, als wolle er den Dämonen seiner eignen Brust entfliehn, und ihn dann wieder so düster und in sich versunken kaum den Gang seines Pferdes beachten ließ. Ein Lächeln boshafter Befriedigung verzog den Mund des hinter ihm reitenden Dänen.

„Björne,“ wandte sich Graf Adolph zu ihm, „wir reisen mit dem nächsten Schiffe nach Kopenhagen, mach’ die nöthigen Vorbereitungen dazu.“

„Gräfliche Gnaden wollen noch vor der Hochzeit Ranzau verlassen?“ fragte der Diener, der das Vertrauen seines Herrn genoß, anscheinend gleichgültig.

„Welcher Hochzeit?“ fuhr der junge Mann auf.

„Nun, die Sr. Erlaucht des regierenden Grafen mit der gnädigen Baronesse Isa, wie Jedermann auf Rasdorf meint,“ lautete die Antwort.

„So meint denn Jedermann, daß mein gnädiger Herr Bruder nur die Hand auszustrecken brauche, um zu erhalten, was ihm beliebt?“ lachte bitter Graf Adolph.

„Hm! gnädiger Herr – ich denke, dem Reichsgrafen und Erbherrn von Ranzau wird weder ein Vater die Hand seiner Tochter versagen, noch diese ihn ausschlagen,“ sagte Hans Björne sehr überzeugt.

Ein scharfer Sporenstich traf die Weichen des hochaufbäumenden Pferdes, welches in wildem Laufe mit dem leidenschaftlich erregten Reiter davon stürmte.

„Jetzt hab’ ich Dich auf gutem Wege,“ murmelte triumphirend sein Begleiter, indem er ihm gelassenen Trabes folgte. Geschickt und unmerklich fuhr er fort, das Gift in die Seele des jüngeren Bruders zu träufeln: durch ihn erfuhr dieser, daß in der letzten Zeit häufig Briefe des Grafen Detlev an Baronesse Isa abgeschickt worden seien, die freilich nur durch ihre Hand an Clara gegangen waren; ja Hans Björne hatte sich sogar ein leeres Briefcouvert zu verschaffen gewußt, welches die Adresse des älteren Grafen von Isa’s Hand trug.

In finsterem Groll verweigerte Adolph, seinen Bruder zu sehen, und rüstete sich zur Abreise; als sich endlich Beide doch einmal begegneten, sprach Haß aus seinen Blicken, und gleich seine ersten Worte waren so bitter und verletzend, daß die Zornesader auf Graf Detlev’s Stirn mächtig schwoll; war er sich doch keiner Schuld bewußt.

„Ich will Dir nicht antworten, wie Du es verdienst, weil ich nicht vergessen will, daß Du mein Bruder bist!“ sagte Detlev, sich wegen der anwesenden Diener gewaltsam zusammennehmend, und ihm dann stolz den Rücken wendend, verließ er die Halle.

„Bei Gott! aber ich hätte Lust, es zu vergessen – und zu Ende kommen muß es zwischen uns!“ rief ihm, die Hand an den Degen legend, in gewaltsam hervorbrechendem Groll der durch Eifersucht Verblendete nach, indem auch er der Thüre zuschritt.

Die anwesenden Diener wagten nicht aufzusehen, aber der alte Peter Claß, der die beiden Brüder noch als Kinder auf seinen Armen getragen, trat ihm rasch in den Weg und sagte leise mit bebender Stimme: „Gräfliche Gnaden – auch ich war an dem Sterbebette Ihres hochseligen Vaters und hörte Ihren Eid.“

Heftig wandte sich Graf Adolph, aber als er die gebückte Gestalt des eisgrauen Dieners sah, der ihm trotz seiner demüthigen Haltung so fest und durchdringend in’s Auge blickte, da trat auch jene ergreifende Abschiedsscene plötzlich wieder vor seinen Geist, und in fast mildem Tone sagte er: „Ich danke Dir, Du treue Seele!“ Dann stieg er zu Pferde, um nach dem benachbarten Städtchen Pinneberg zu reiten und dort den neuen Amtmann, d. h. die höchste Gerichtsperson zu besuchen, mit welchem er sehr befreundet war. Hans Björne, voll innern Grimmes über den alten Peter, folgte wie gewöhnlich; aber er sollte dessen versöhnenden Einfluß bald noch mehr empfinden, als ihm sein Herr bei einigen gegen Graf Detlev gezielten Worten gebieterisch zu schweigen befahl.

„Ich fange an zu glauben, daß ich Dich schon viel zu sehr angehört habe,“ fügte er hinzu.

„Steht es so? –Dann darf ich nicht länger zögern,“ murmelte darauf der Diener und verfiel in tiefes Sinnen.

Hätte Graf Adolph nur seinem ersten bessern Gefühle Raum gegeben und nicht falschem Stolz, er wäre nicht nach Pinneberg geritten, ohne sich vorher mit seinem Bruder zu versöhnen, und damit wäre der ungerechte Argwohn und Groll, der ihn neuerlich wieder so gegen ihn aufgereizt hatte, in Nichts zerflossen. – „Nach meiner Rückkehr!“ dachte er.

Was lange stille Absicht gewesen, war mittlerweile als offner Plan an das Licht getreten, und die Vereinigung der beiden Herzogthümer mit Dänemark war von Christian V. mit großem Eifer betrieben worden, bis ihr endlich der Vertrag von Altona 1689 ein Ziel gesetzt hatte. Aber dies Bestreben hatte den ersten Grund zu der Entfremdung der Gemüther und zu nationaler Spaltung gelegt, die jetzt in so trauriger Progression fortgewuchert hat.

Damals schon, wie jetzt, gab es deutsch und dänisch Gesinnte; zu Ersteren gehörte der Reichsgraf von Ranzau, der deshalb bei dem königl. Amtmann von Pinneberg nicht sonderlich beliebt war, wogegen Graf Adolph dessen Gesammtstaatsideen theilte und ein häufiger, gern gesehener Gast seines Hauses war.

Was Wunder, wenn unter solchen Einflüssen die versöhnlichere Stimmung des jüngeren Bruders allmählich wieder in den Hintergrund trat!


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_052.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)