Seite:Die Gartenlaube (1862) 041.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Das tragisch-erschütternde Ende seiner Johanna am 15. November 1858 ist in der Gartenlaube geschildert worden. Wir erinnern nur noch einmal an die Feierlichkeit ihrer Beerdigung. Die irdische Hülle und die Leidtragenden fuhren am 20., einem sonnigen, klaren Herbsttage, mit dem großen Eisenbahn-Leichenzuge hinaus auf den 30 Meilen südlich gelegenen neuen Kirchhof bei Woking unter den Hügeln von Guilford. Neben dem Sarge steht mit den Kindern G. Kinkel, die rechte Hand auf dem Sarge. Er redet. „In den Boden der Verbannung muß ich Dich betten, aber unter Hügeln, die an unsern Rhein erinnern, Gesicht ostwärts nach Deutschland. Und im Sommer kommt auch die Biene, surrend zwischen Heidekraut. In leichtem Boden zur Ruhe gesenkt, um am Tage der Erlösung mit mir und den Kindern heimzukehren in die Heimath, die Du so sehr liebtest, die Du mit Augen nicht wieder sehen solltest.“

Freiligrath schmückte die von ihm besungene „stolze Rebellenleiche“ mit einem Lorbeerkranze, die Kinder mit Blumen und Thränen. Und so senkten sie den Sarg einer deutschen Frau in fremde Erde.

Wir haben seinen Schmerz mit erlebt und gesehen, wie er denselben mit dem Talisman seines Lebens, harter, entschlossener, ausdauernder Arbeit, bewältigte. Endlich galt es, an die gegeweihte Stelle der „auf dem Kampfplatze des Exils Gefallenen“ eine würdige Nachfolgerin einzuführen. Diese Stelle durfte sein Herz als Gatte und Vater nicht leerlassen. Das Haus verlangte einen weiblichen, leitenden Genius, die Kinder eine mütterliche Freundin. Die Fama brachte „reiche Erbinnen“ Englands zum Vorschein. Er wählte ein deutsches Mädchen aus Königsberg, Fräulein Minna Werner, die als deutsche Lehrerin in London weder geerbtes, noch geschenktes Brod aß. Wir waren oft Zeugen seines neuen Lebensglückes, das zu unserem eigenen ward, und durften mit dem Gefühle von ihm scheiden, daß er glücklich sei. Zwei große Völker ehren und lieben ihn. Er gehört uns und der Geschichte als eigenste Persönlichkeit und Poesie einer unsterblichen Zeit. Schön umgeben von den Früchten heroischer Arbeit, einer liebevollen Gattin und reizenden, hoffnungsvollsten Kindern, voller Gesundheit, Manneskraft und Liebe zum Vaterlande, für dessen Einheit und Ehre er gekämpft und gelitten, wie Wenige, würde er sich dennoch erst ganz glücklich fühlen, wenn ihm mit Ehren der vaterländische Boden wiedergegeben würde. H. Beta.     




Drei Tage aus dem patriarchalischen Staat.

Von Fr. Hofmann.

Im Jahre 1821 ist in Coburg ein Almanach erschienen, auf dessen Titelbilde man neben der Statue des Herzogs Johann Casimir, wie sie am Gymnasium daselbst zu sehen ist, die ritterliche Gestalt des damaligen Herzogs Ernst, Vater des jetzigen vielbesprochenen, ebenfalls als Statue dargestellt hatte. Diese Zusammenstellung sollte zu jener Zeit eine Schmeichelei sein; Johann Casimir ist in der Reihe der Coburger Fürsten der im Andenken des Volkes gefeierteste, und als seinen Ebenbürtigen feierte man den Lebenden. Niemand konnte damals ahnen, daß das Schicksal diese Schmeichelei in Wahrheit verwandeln würde, und nicht bloß in glänzende, sondern auch in bittere.

Der Herzog von Sachsen-Coburg-Saalfeld gehörte zu den ersten deutschen Fürsten, welche ihrem Lande die von der Bundesacte verheißene Verfassung wirklich gaben; aber trotzdem blieb das Verhältniß zwischen Fürst und Volk das gewohnte patriarchalische, wenigstens war in der Zeit, von der hier erzählt werden soll, die Verfassung noch nicht das Blatt Papier geworden, das sich zwischen beide hätte drängen können.

Es wird schwer werden, späteren Generationen die volle Anschaulichkeit vom eigentlichen Wesen jenes patriarchalischen Kleinstaats zu bieten, wie er in Deutschland seit der Reformation und durch dieselbe sich ausgebildet hatte. Man wird, wie man bereits begonnen, bei der Darstellung desselben nur zu oft die Caricatur vorherrschen lassen und die gesunde Natur übersehen, die in gewissen Kreisen und Beziehungen in ihm waltete. Es ist daher nothwendig, besonders hervortretende Züge aus den letzten Tagen des patriarchalischen Staats, welche zu einer wahrhaften Charakteristik desselben beitragen, schon jetzt zu sammeln, wo noch Männer leben, die bei der Schilderung jener Zustände mit der Pietät verfahren, mit der wir so gern auf Selbstmiterlebtes zurückblicken.

In dem Folgenden erwarte man also nichts weniger, als eine pikante Enthüllung von Hofgeheimnissen; dazu giebt die Gartenlaube ihren Raum nicht her; ich habe nur zu erzählen, wie bei einem trüben Schicksal im Fürstenhause das Volk sich benahm. Ich werde den Hof und noch Lebende berühren müssen, es wird dies jedoch mit der Achtung oder mit der Schonung geschehen, die sie verdienen.

Als am Abend des 7. August 1817 eine gewaltige Bewegung die Bevölkerung der Stadt Coburg ergriffen hatte, die selbst auf das Land hinauswirkte, so daß die Bauern vom Itzgrund herauf, wie von den „langen Bergen“ herunter und aus dem Neustädter Amt herbei kamen, vor den drei Ehrenpforten der Stadt, am Markte, am Spittelthor und am Heiligkreuzthore, beredte Gruppen bildeten und auf dem langen Wege dazwischen auf und abwogten, hatten Alle einen gerechten Grund dazu. Selbst ein Uneingeweihter mußte den Gegenstand der harrenden Theilnahme errathen, wenn er die Bemerkungen verstand, die am häufigsten in der Menge der Land- und Bürgersleute wechselten. „Es soll haltig gar a ewig Hüsche sei!“[1] versicherten die Weiber, und „Ar is ah der Mah dernoch!“[2] blieb die stolze Entgegnung aller Mannsbilder. Endlich donnerten die Kanonen von der Veste, ein Läuten aller Glocken begann, vom Hauptthurme der Stadt erschallten Trompeten und Pauken, und aus der Ferne schmetterten die Hörnchen der Postillone in die plötzlich feierlich gewordene Stille, über welche jedoch, je näher der lange glänzende Zug kam, desto lauter und mächtiger das „Vivathoch!“ der mit ihm vorwärtsdrängenden Menge Herr ward. Alle Häuser bis zum Dach mit grünen Kränzen und bunten Tüchern, alle Fenster mit freudestrahlenden Gesichtern geschmückt, überall Tücherwehen und Hochruf, – und da, endlich, nach den vielen Reitern und der langen Schaar prächtiger Jungfrauen in weißen Kleidern und mit Blumen und Kränzen im Haar und in den Händen, da kam endlich der Wagen hinter den sechs Rossen, und darin saßen sie und nickten und winkten nach allen Seiten mit der vornehmen Freude in dem einen, mit der herzlichen Heiterkeit in dem andern Antlitz, der Herzog Ernst und seine junge Gemahlin, die Herzogin Louise, Tochter des Herzogs August von Gotha.

Der Tag dieses Einzugs, auf dessen Rosen schon nach sieben Jahren ein so schwarzer Schleier sinken sollte, machte auf das gestimmte Volk nicht den Eindruck eines gewöhnlichen Schaufestes, sondern einen tiefern. Man sah es der aufrichtigen Freude desselben an, daß ihm eine Last vom Herzen genommen war. Man hat ehedem etwas auf zeitige Ehen der regierenden Herren gehalten, und zwar sowohl auf Seiten der fürstlichen Häuser, wie auf Seiten der betreffenden „Unterthanen“; die Erfahrung hatte besonders letztere belehrt, daß aus den vielen fürstlichen Erbtheilungen von Land und Leuten den geerbten Völkern selten Heil erwachsen war. Wie beschränkt auch der öffentliche Blick der Masse in der kleinstaatlichen Schrankenherrlichkeit geworden, wie wenig Pflege einem politischen Ehrgefühl im Volke zugewandt war, so sträubte sich doch sein Herz gegen das Geerbtwerden.

Den Herzog von Coburg hatte bis 1815 der Krieg in Anspruch genommen; er stand jetzt im dreiunddreißigsten Jahre. Bedenkt man nun, daß es für die Stadt und das Land Coburg keine drückendere Sorge gab, als die „die Residenz zu verlieren“ und „zu verwaisen“, so wird man den einen Grund zur großen Freude über diese Vermählung gefunden haben. Nichts kennzeichnet den patriarchalischen Staat besser, als der Begriff: „ein verwaistes Land“. Ist durch denselben nicht mit der Todtenklage zugleich die Befürchtung ausgedrückt, daß auf den dahin geschiedenen „Landesvater“ nun nichts Anderes als ein „Landesstiefvater“ folgen könne? Arme „Landeskinder“! – Es wird hoffentlich eine Zeit kommen,

  1. Es soll halt gar eine ewig Hübsche (=eine sehr schöne Frau) sein.
  2. Er ist auch der Mann darnach.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_041.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)