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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

seine höchste, einzige Ehre. Die gewaltigsten Dramatiker und die genialsten Dichter werden kaum so erschütternde Wirkungen im Bereiche des Idealen ermöglichen, als wie sie damals von einer thatsächlichen preußischen Gerichtsscene her durch Freund und Feind und das ganze deutsche Volk zuckten.

Hier ist die Hauptstelle seiner Rede und die Schilderung desselben Augenzeugen:

„„Mit voller Schärfe steht jener zehnte Mai noch vor mir, denn dieser Tag, an dem ich, bis dahin ein hochbeglückter Mann, von all’ meinem Lebensglück schied, er ist mit den glühenden Nadeln des Schmerzes in meine Seele geschrieben. Der Sturm jener drangvollen Zeit riß mir Stück für Stück vom Herzen weg. Um 5 Uhr stand in mir noch kein Einschluß fest. Ich ging in die Universität. Ich hielt ruhig und gelassen, wie immer, meine Vorlesung. Es war meine letzte. Um sechs Uhr trafen die Nachrichten ein aus Elberfeld und Düsseldorf. Sie schlugen zündend in meine Seele. Ich fühlte, daß für mich die Stunde da sei, wo die Ehre gebot, zu handeln. Aus der Versammlung ging ich in meine Wohnung zurück, um Abschied zu nehmen. Ich nahm Abschied von dem Frieden meines Hauses. Ich nahm Abschied von dem Amte, das mich zwölf Jahre beglückt, das ich zwölf Jahre, wie ich glaube, treu verwaltet hatte; von dem Weibe, an dessen Besitz ich schon einmal meine Existenz gesetzt, Abschied von meinen schlafenden Kindern, die nicht träumten, daß sie in dieser Minute einen Vater verloren. Aber als ich nun über die Schwelle trat in die dunkle Straße, da sprach ich zu mir: „Du durftest diesen Entschluß fassen, denn welches auch seine Folgen sein mögen, du weißt es, daß der Trost der Idee und die Ueberzeugung dich niemals verlassen kann. Aber einen andern Vater hast du kein Recht mit fortzureißen in denselben furchtbaren Entschluß!“ In dieser Stimmung betrat ich die Rednerbühne, in dieser Stimmung mahnte ich Jeden ab, dessen Herz nicht fest sei wie das meinige. – Und aus dieser Rede macht die Anklage eine unmittelbare Aufregung! Glauben Sie nicht, meine Herren, als wollte ich durch Rührung Sie überraschen und Ihr Mitleiden erwecken. Ja, meine Herren, ich weiß es, und die Begnadigungen des Jahres 1849 haben mich darüber belehrt, daß Ihr Schuldig ein gewisses Todesurtheil in sich schließt; aber trotzdem begehre ich Ihr Mitleid nicht. Nicht für meine Mitbeschuldigten, denn diesen sind Sie nicht Mitleid, sondern Genugthuung für eine lange unverdiente Haft schuldig; nicht für mich, denn so unschätzbar mir Ihre Theilnahme als Bürger und Männer ist, so wenig hat Mitleiden für mich Werth. Die Leiden, die ich trage, sind so furchtbar, daß Ihr Spruch mich nicht schrecken kann. Man hat über das Maß der mir zuerkannten Strafe meine Haft verlängert und gesteigert durch die grauenvolle Einsamkeit der Isolirzelle, in deren öde Stille kein Trompetenton der kämpfenden Welt draußen, kein Liebesblick treuer Freunde dringt. Man hat einen deutschen Schriftsteller und Lehrer, der in mehr als einer Brust die Flamme des Geistes und der Schönheit entzündete, man hat ein mittheilsames Herz dazu verdammt, in seelenloser Zwangsarbeit, in Versagung aller geistigen Hülfsmittel langsam hinzusterben. Der Giftmischerin, dem Raubmörder, dem entsetzlichen gräulichen Verbrecher, sobald einmal über seinem Haupte das Wort der Begnadigung erscholl, wird es vergönnt, die Luft seines Rheinlandes zu athmen, das Wasser seines grünen Stromes zu trinken. O, diese vierzehn Tage haben mich gelehrt, welche Seligkeit schon Luft und Wasser der Heimath sind! Mich aber hielt der ferne trübe Nord, und nicht einmal hinter dem Gitter ist es mir vergönnt, die Thränen meines Weibes zu sehen und in die Aurikelaugen meiner Kinder zu blicken! Ich begehre Ihr Mitleiden nicht, denn wie scharf Ihr Spruch, wie blutig dieses Gesetzbuch sei, Sie können mein Loos nicht gräßlicher machen, als es ist. Der Mann, den man vor diesen Schranken der Feigheit zu zeihen wagte, hat in den letzten Jahren dem Tode so oft, so nah, so kaltblütig in die Augen gesehen, daß selbst die Guillotine ihn nicht besonders mehr erschüttert. Ich will Ihr Mitleiden nicht, aber mein Recht verlange ich von Ihnen; mein Recht wälze ich auf Ihr Gewissen, und weil ich weiß, daß Sie, Bürger, Geschworene, Ihrem rheinischen Mitbürger sein Recht nicht versagen können, darum erwarte ich mit der ruhigsten Zuversicht aus Ihrem Munde das Nichtschuldig.

Ich habe gesprochen, nun richten Sie!““ –

Es war ein tieferschütternder, seelenzerreißender Moment, als sich die Schranken öffneten und drei der Gefangenen frei daraus hervortraten, indeß der Eine darin zurückblieb. Das Herz wendete sich Einem vor Schmerz und Zorn, wenn man diese edle Gestalt mit den vergeistigten Zügen der Willkür eines Schwarmes von Gensd’armen preisgegeben sah. – Kinkel’s Frau hatte sich, um eines Platzes sicher zu sein, stets Morgens in aller Frühe im Assisensaale einschließen lassen. Als Kinkel während einer Pause sie zu sich winkte, trat sie auf die Stufen und wollte mit ihm reden. Kinkel bog sich über die Schranken; aber die Gensd’armen traten augenblicklich vor und erklärten, daß sie einen Kuß nicht gestatten dürften. Nach einigen Unterhandlungen mit einem anwesenden höheren Polizei-Beamten wurde eine „Hand“ gestattet. Am letzten Tage nach Beendigung der Verhandlung, ehe Kinkel in’s Gefängniß abgeführt wurde, eilte Johanna rasch hinauf, um ihren Mann zum Abschiede zu umarmen. Der kleine Oberprocurator John trat ihr in den Weg und beorderte die Gensd’armerie, eine letzte Umarmung der Beiden zu verhindern. Kinkel jedoch erhob sich stolz und rief mit gebietender Stimme: „Komm, Johanna, gieb Du Deinem Manne einen Kuß! Es soll Dir das Niemand wehren!“ Und auf den Ton dieser Stimme hin traten die Gensd’armen auseinander und gehorchten ihrem Gefangenen.

Ja, man darf behaupten: wäre Kinkel nach dem frischen Eindruck seiner Rede vorgetreten und hatte gesagt: Ich gehe jetzt hinaus und Niemand halte mich auf! – er wäre unangefochten aus dem Saale gelangt. Man hatte die Vorsicht gebraucht, als der Saal geräumt werden sollte, neue Truppen herbeizuordern, welche den Debatten nicht beigewohnt hatten.

Als Kinkel zum Gefängnisse zurückgebracht wurde, begleitete ihn das Lebehochrufen des Volkes. Tausende standen in den Straßen zusammengedrängt, durch die der Wagen Kinkel’s inmitten einer Schwadron Cuirassiere geführt wurde. Jedes Haupt entblößte sich, aus jeder Brust preßte sich ein tiefgefühlter Gruß für den Gefangenen. Tags vorher noch hatten die Officiere und Polizei-Agenten solche Aeußerungen mit Gewalt zu unterdrücken gesucht. Heute wagte Niemand, dieselben zu verhindern. Das Gefühl, das Alle im Assisensaale ergriffen, hatte sich auch auswärts und selbst bis in die Reihen der Soldaten fortgepflanzt. Es giebt Triumphzüge aller Art, – aber die Zukunft wird Kinkel um den beneiden, den er am 4. Mai 1850 zwischen seinen geharnischten Wächtern feierte!“ –

Bald nach der Rückkehr von jenen großen Tagen am Rhein finden wir Kinkel im Zuchthause zu Spandau, da man das Verbrechen zu großer Menschlichkeit gegen ihn in Naugardt entdeckt hatte. Director Jeserich in Spandau war ausgerüstet, ihn religiös zu zermalmen. Indeß wurde, trotz des zu Hülfe gezogenen Mangels an freier Luft und Bewegung und der sonst nicht gesetzlichen Einzelhaft, die religiöse Zermalmung schon nach der zweiten Unterredung aufgegeben, da Jeserich – auch Jeserich, diesem Gefangenen gegenüber sich mehr Mensch als Director fühlen lernte. Oeftere Durchsuchungen über Bücher, wie Gervinus, Humboldt’s Kosmos, Schubert etc., mußte sich Kinkel gefallen lassen, doch gestattete man ihm schriftliche Arbeiten und einen Briefwechsel mit seiner Frau, wenn auch unter strengster Censur, da jeden ankommenden und abzusendenden Brief der Director erst selbst genau durchlas. Nichts desto weniger ward in diesen Briefen mit deutlichen Worten, nicht zwischen den Zeilen oder mit Zeichen, genau Art, Ort und Zeit der beplanten Befreiung verabredet. Es war eine Geheimschrift, die der Liebe, Intelligenz, Genialität und Ausdauer beider Märtyrer gleiche Ehre macht. Doch dürfen wir dabei seinen Schüler und Freund Schurz nicht vergessen, den jetzigen amerikanischen Gesandten und Sieger für die Wahl Lincoln’s. Schurz bricht Bahn, gewinnt den Kerkerschließer, Menschen und Relaispferde von Spandau bis zum Meere. So ist Alles bereit. Kinkel fragt durch die Hände des Directors mit der Geheimschrift:

Wer befreit? Schurz?

Antwort: Ja!

Schurz: Muth über’s Dach?

Kinkel: Jeder Weg!

Die Nacht vom 4. zum 5. November wird bezeichnet. Er wacht und wartet licht- und lautlos mit allen Nerven angespannt. Augenblicke, Minuten, Stunden brausen vor den summenden Ohren vorüber, langsam und doch wie angstgehetzt, gestaltenlos und tonlos mit wolkigen Truggebilden, die, in einander verschwimmend, zwischen den Ufern lebenslänglichen Todes und neuen Lebens in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_039.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)