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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

wie der Phantasie Raum zur Ausbildung des im Bilde Angedeuteten übrig läßt.

Es ist eine dumpfe Wirthsstube – wie es scheint im Schwarzwalde – wo ein sauberes Kleeblatt von Spielgaunern einen ehrlichen Landmann sich zur Beute ausersehen hat; ein trübes Tageslicht giebt der Farbenstimmung des Bildes den eigenthümlichen Reiz vielfach gebrochener Töne und läßt die Köpfe der Spieler in wirksamer Helligkeit von dem dunkeln Hintergrunde vortreten. Der zahnlose Alte links ist das meisterlich aus dem Leben gegriffene Bild einer in Laster ergrauten Natur; die kurze Gestalt mit den aufgedunsenen Gesichtszügen, die lahm und verbittert, nur immer nach unten gebückt, keinen andern Genuß kennt, als erfüllte Gier, sie erscheint wie ein Schreckbild geistiger Verkommenheit, und die Andeutung der abgetragenen kleinbürgerlichen Kleidung zeichnet die ganze Geschichte des heruntergekommenen Spielers. Sein Partner, der ihm unter dem Tische verstohlen ein Kartenblatt zuschiebt, scheint mit spitzbübischer Freude dem guten Erfolg seines Treibens entgegenzusehen; mit dem kurzgeschorenen Haar, wie vor kurzem aus dem Zuchthaus losgekommen, hat er ganz den Ausdruck einer „confiscirten“ Verbrecherphysiognomie. Der mehr im Halbdunkel gehaltene dritte Gehülfe verräth hinter dem Rücken des Betrogenen durch ein Zeichen mit der Hand dessen Karten, in seiner scheuen Haltung ist er der charakterisirte Spion. Ein interessanter Kopf ist der des betrogenen Bauers. Die blassen Züge des nicht gewöhnlichen Gesichtes lassen in ihm eine Natur vermuthen, die aus ihrer Umgebung heraus Entwürfe und Pläne hegt und, weil sie ein Besseres in sich fühlt, leicht verleitet die Grenze ihrer Kräfte nicht bemißt. Das Gepräge einer grundehrlichen Seele spricht aus dem sorglichen Ernst, mit dem er seine Karten berechnet, ohne zu ahnen, wie ungleich die Waffen vertheilt sind, und hoffnungslos unbefriedigend wäre der Eindruck der ganzen Gruppe, träte nicht der Sonnenschein des Lebens in der Kindergestalt herein, die den Vater mit rührender stiller Bitte anrührt, er solle „heim“ kommen. Wie das barfüßige kleine Mädel dasteht in ihrer kindlichen Frische, giebt sie dem Beschauer eine stille Zuversicht, daß das müde Auge des Vaters auf ihr unschuldiges Gesichtchen fallen, und daß er wieder Heimkommen werde, woher sie von der sorgenden Mutter geschickt ist, und den falschen Spielern diese Beute wenigstens nicht für immer zufalle. –

Knaus hat dieses Bild 1851 gemalt, und es ward vom Leipziger Kunstverein für das städtische Museum erworben, das sich seines Besitzes als einer Zierde der gewählten Sammlung erfreut. Der Maler hat denselben Gegenstand noch einmal in einem Gemälde, das jetzt die städtische Gallerie in Düsseldorf besitzt, behandelt; dort ist die Wirthsstube größer und noch ein Tisch mit Spielern im Hintergrund sichtbar. Der reiche malerische Eindruck des größeren Bildes wiegt jedoch den unheimlichen Eindruck, den die Spieler allein in der düstern Stube hervorrufen, nicht auf.

Der schon in jungen Jahren berühmt gewordene Meister (Ludwig Knaus ist 1829 in Wiesbaden geboren) gehörte der Düsseldorfer Schule an und erregte dort 1850 durch seinen „Bauerntanz unter der Linde“ große Erwartungen, die sich im Laufe der Jahre vollständig erfüllten. In den letzten Jahren lebte er in Paris, und es wurde befürchtet, er möge auch in seiner Kunstweise dem französischen Einfluß, den man in seinem Bilde „eine Grisette mit ihrer Katze“ wahrnehmen wollte, zu sehr anheimfallen; allein sein neuestes Bild „die goldene Hochzeit“, welches auf der großen historischen allgemeinen deutschen Kunstausstellung des vergangenen Sommers zu Köln fast allgemein als das bedeutendste aller neueren Kunstwerke betrachtet wurde, ist voll des erquicklichsten deutschen Kunstgemüthes, und da der Meister in diesem Winter nach Berlin übergesiedelt ist, dürfen wir ihn mit doppelter Freude wieder zu unsern deutschen Künstlern zählen.

A. Z.     




Ein Nichtamnestirter.

(Schluß.)

Lassen wir über dieses Wiedersehen Kinkel’s und seiner Lieben in Köln Adolf Stahr reden, der ein Augenzeuge desselben war:

„Erhebend ist die Standhaftigkeit, mit welcher das greise Elternpaar das Geschick erträgt, welches ihr hohes Alter in dem geliebten Tochtermanne getroffen. Wie ich sie vor mir sah, aufrechten Hauptes, ungebeugten Sinnes, voll ruhiger Ergebung alle Liebe den unmündigen Kindern ihres Gottfried zuwendend, welche heiter und harmlos ihre Kniee umspielten, da fühlte ich mich selbst erhoben und gestärkt durch solchen Lebensmuth, der alte Herzen jung macht und die zitternde Hand der Greise kräftigt, daß sie der Jugend zur Stütze dienen kann. Das erste Wiedersehen Johanna’s und ihres Gatten ist erschütternd gewesen. Sie hatte die Erlaubniß erhalten, ihn zu besuchen, und nahm ihren ältesten (sechsjährigen) Sohn und die kleine Johanna mit. Man hatte ihm die Reisekleider wieder abgenommen und den unglücklichen Mann auf’s Neue wieder in die Züchtlingsjacke gesteckt. Die lange Kerkerhaft, die schlechte Nahrung und die Entwürdigung hatte ihn welk, stumpf und schlaff gemacht. Er besaß nicht einmal mehr Kraft, die Wohlthat eines vollkräftigen Schmerzes zu empfinden. Nur ein paar Thränen drängten sich ihm in die Augen, als er zum ersten Male sein Weib und Kind wiedersah. Das Kind erkannte den Vater erst, als es seine Stimme hörte. So hatte ihn die Züchtlingstracht, das rasirte Gesicht, das kurzgeschorene Haar entstellt. Es starrte verwundert seine kurzen Hosen und seine groben Strümpfe an, und wollte nicht glauben, daß der Papa dieses tragen müsse. „Mir hat der Papa eine Puppe versprochen,“ sagte die kleine vierjährige Johanna, „so groß wie ich selbst, wenn es auch lange dauert.“ Die Thränen kamen mir bei diesen Worten in die Augen. Kann ein Mensch, der dieses hört, sein Herz versteinern? O, ich fühlte es, und hätte der Vater dieser Kinder mir den eigenen Bruder erschlagen, ich könnte nicht Rache nehmen an dem Ueberwundenen, Wehr- und Waffenlosen, den das Schicksal in meine Hand gegeben. Ich könnte ihn nicht seinem Weibe und seinen Kindern rauben. Nein, und für ewig!! Nie! Thut, was ihr wollt und könnt! Ihr habt die Macht und darum das Recht. Standrechtet und erschießt eure Gegner, die für ihr Recht und für ihre Ueberzeugung gegen euch aufgestanden! Laßt dem Rechte seinen Lauf, laßt die Welt zu Grunde gehen und waltet auf ihren Trümmern mit dem Schwert. Thut das Alles, aber fälscht den höchsten Abglanz der Gottheit nicht, sprecht nicht von Gnade, wo ihr den Menschen vom Tode durch den Strang erlöst, um sein Gehirn mit euern Kugeln zu verspritzen, wo ihr an die Stelle des befreienden Todes ewiges Gefängniß setzt. Bedenkt, daß nur für gemeine Seelen das Leben aller Güter höchstes ist, und daß ihr euch selbst durch solche Schätzung entwürdigt. Alle Strafe ist zuletzt Nothwehr. Wohlan denn, entledigt euch eures Feindes, aber entwürdigt ihn nicht. Nehmt ihm nicht sein menschliches Gefühl durch unwürdige gemeine Behandlung, stumpft nicht seinen Geist, zerbrecht nicht seinen Mannessinn, macht nicht aus einem Gefangenen einen matten Blödsinnigen, indem ihr den Geistesadligen wie einen ergrauten Dieb oder einen bestialischen Mörder behandelt. Gottfried Kinkel, der besiegte politische Gegner, der Rebell gegen Preußens König, aber der gehorsame Unterthan der deutschen Nationalität, der Mann von fleckenlos reinem Leben, von kindlichem Herzen, der Idealist, der, hingerissen vom Drange eines großen welthistorischen Moments, Weib und Kind verließ, der Alles opferte und der Freiheit nachfolgte – mögt ihr es Irrthum, Sünde, Verbrechen nennen – aber den Mann zu dem Geschicke eines Mörders zu begnadigen, wenn ihr dazu ein göttliches Recht zu besitzen meint, dann wendet sich jedes Herz grausend ab von solchem Rechte und von solcher Gnade. Ihr nennt euch Christen, wohlan denn! Nie gab es eine Zeit, wo die Worte mehr Wahrheit hatten, welche da sagen: „Wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhms!“ Und wo sind die „Christen“, die sich an Ihn erinnern, der da beten lehrte:

Und vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern.“

Kinkel ist, in aller Form angeklagt, im vollgedrängten Assisensaale zu Köln. Er erhebt sich und spricht zu seiner Vertheidigung. Diese Rede ist mitten in seiner tiefsten officiellen Entwürdigung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_038.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2020)