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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Alle seine Reden, seine Vortrage und Artikel in der Bonner Zeitung, deren Redaction er am 5. August übernahm, in seinem Handwerkerblatte und in der Broschüre „Handwerk, errette Dich!“ später in seinem Volksblatte „Spartacus“ und als Redacteur der „Neuen Bonner Zeitung“ (die alte hatte man ihm wegreagirt), alle Reden, die er als Wahlcandidat und als Erwählter (5. Februar 1849 im Siege über den Gegencandidaten, Professor Bauerbrand) in der zweiten Kammer zu Berlin der Öffentlichkeit und dem Volke widmete, gingen von diesem einen Gedanken aus und suchten dieses eine große Ziel des deutschen Volkes erreichen zu helfen.

Dafür wirkte er fast ein ganzes Jahr lang durchschnittlich alle Tage 16 bis 18 Stunden lang als Heros des Arbeitens, der er immer gewesen und bis auf den heutigen Tag geblieben. In dem Einzelkampfe einer Zeitung galt es, vielen kleinen und großen Feinden oft und rasch entgegen zu treten, so daß sich natürlich Preß-Processe einstellten. Theils verurtheilt, theils freigesprochen, reiste er am Tage seiner letzten Freisprechung als gewählter Vertreter der Kreise Bonn und Siegburg am 23. Februar 1849 nach Berlin ab. Die preußische Verfassung war von der Nationalversammlung im Wesentlichen vollendet worden; noch weiter war die deutsche gediehen, das unglückliche Kind der Paulskirche.

Beide Versammlungen und deren Verfassungen waren auf dem „neuen Rechtsboden“, über den sich Fürsten und Völker „vereinbart“ hätten, entstanden. Die deutsche Verfassung, um die es sich hier handeln wird, hatte Wort und Werk der deutschen Fürsten und Völkerschaften für sich. Beide hatten daran gemeinschaftlich in der Paulskirche gearbeitet. Sie galt nun in den Augen des Volks als das wirkliche Rechtsfundament für die deutsche Einheit. Daher erklärt sich die Empörung des Volks und der Aufstand in Baden, um das mit Militärgewalt bekämpfte neue Grundrecht der deutschen Einheit zu vertheidigen. Daher erklärt sich Kinkel’s Betheiligung, den es nicht mehr in Berlin duldete, als in Süddeutschland für und gegen das Grundwerk der deutschen Einheit die Waffen des Bürgerkriegs aufblitzten. Er riß sich am 10. Mai Abends von dem geliebten Weibe und den schlafenden Kindern los und ging mit der Muskete als gemeiner Vertheidiger der deutschen Verfassung und als Secretair Fenner von Fenneberg’s (Mitgliedes der provisorischen Regierung in Baden) unter die Freischaaren-Armee. Die Muskete trug er bloß elf Tage, während welcher es zu keinem feindlichen Zusammentreffen mit preußischen Soldaten kam. Am 21. Juni wurde er während einer Recognoscirung zwischen Rothenfels und Muggensturm von einer preußischen Kugel am Kopfe verwundet und von der Feldwache gefangen. Von diesem Augenblicke an bis zum 4. August nach dem Urtheilsspruche des preußischen Kriegsgerichts stand er „vor den achtzehn Gewehrmäulern“, denen er seine muthigste, feurigste Poesie zurief:

Hier steh’ ich, nun zielt! Nun brichst Du, o Leib,
Wenn achtzehn Mündungen knallen;
Die Seele, sie braust in den heiligen Chor
Der Freien, die vor mir gefallen;
Wir kennen nicht Rast, wir durchstreichen die Welt
In Sonnenschein und Gewittern,
Bis die letzte Zwingburg flammend zerbirst
Und die letzten Ketten zersplittern.[1]

Nach Jahren vernahm ich’s aus seinem eigenen Munde und fand es von Anderen bestätigt, die so dicht vor gewaltsamem Tode gestanden, daß man kleineren Gefahren gegenüber wohl bangen und zagen kann, mit der Größe derselben aber der Mannesmuth wächst und der drohende Tod dicht vor unsern Augen ungeahnten, göttlichsten Trotz gegen alle sonstigen Schwächen aus verborgensten Tiefen der Seele empor ruft, womit die Absicht derer, die auf Tod erkennen und ihn vollziehen lassen, just durch Vollziehung vereitelt wird. Hier denke man auch an den Dichterfluch, den Kinkel der vom „vereinigten Landtage“ beibehaltenen Todesstrafe entgegen schleuderte,[2] an den unsterblichen 4. August 1848, an welchem Tage fast zur selben Stunde sowohl die preußische als die deutsche Nationalversammlung mit ungeheueren Majoritäten Abschaffung aller Todesstrafe beschloß.

Wieder an einem 4. August, nur ein Jahr später, stand Kinkel vor dem preußischen Kriegsgericht zu Rastatt in Baden, also mitten im Bereiche der Gesetze dieses Landes. Diese geographische und politische, gesetzliche Thatsache und viele vorausgegangene Verhöre ließen natürlich auf ein Verfahren nach badischem Gesetze schließen. Kinkel und sein Vertheidiger Dr. Hepp bereiteten sich also demgemäß vor und mußten auf „Zuchthaus bis zehn Jahre“ gefaßt sein. Aber inzwischen waren der christliche Himmel und der König von den Frommen im Lande flehentlich um den Tod Kinkel’s gebeten worden. Auch ministeriell und militärisch hatte man darauf hingearbeitet. So erfuhren Kinkel und sein Vertheidiger kurz vor Eröffnung des Kriegsgerichts, daß in Baden nach dem strengeren preußischen Gesetze gegen ihn erkannt werden solle, also auf Todesstrafe. Beide Unvorbereitete fanden noch in der letzten Stunde den milderen Paragraphen im preußischen Landrechte: „Wenn durch Rebellion dem Staate kein erheblicher Schaden zugefügt worden ist, soll die Todes- in entsprechende Gefängnißstrafe umgewandelt werden.“

Nichts war klarer, als daß Kinkel durch elftägiges Tragen der Muskete, verwundet, ohne selbst von der Waffe Gebrauch zu machen, dem Staate keinen erheblichen Schaden zugefügt habe. Das Kriegsgericht konnte also weder gesetzlich, noch, dem edeln, frei und männlich auftretenden und redenden Dichter gegenüber, moralisch ein Todesurtheil über die Lippen bringen, sondern nur „lebenslängliche Festungsstrafe“. Auch saßen in ihm gebildete Männer, welche, wenn auch Feinde, doch den Geist des vierten August 1848 höher achteten, als die „Instruction“ und das heiße Flehen der „Frommen“.

Das Urtheil war gefällt, schwebte aber „unbestätigt“ bis zum 30. September – beinahe zwei lange Monate, die in Versuchen, den Dichter zu entehrenden Bekenntnissen zu erniedrigen, das Urtheil zu verschärfen, umzustoßen etc., hingingen. Man muß Johanna Kinkel’s Erlebnisse, Kämpfe und heroische Leiden aus dieser Zeit lesen –

Endlich erschien folgende „Warnung“:

„Der ehemalige Professor und Wehrmann in den Freischaaren, J. G. Kinkel aus Bonn wurde, weil er unter den badischen Insurgenten mit den Waffen in der Hand gegen preußische Truppen gefochten, durch das in Rastatt angeordnete Kriegsgericht zum Verluste der Nationalkokarde und, statt zur Todesstrafe, nur zu lebenswieriger Festung verurtheilt. Zur Prüfung der Gesetzlichkeit wurde dieses Urteil[WS 1] von mir dem königl. General-Auditoriate und von diesem als ungesetzlich Sr. Majestät dem Könige zur Aufhebung überreicht. Allerhöchstdieselben haben jedoch aus Gnaden die Bestätigung des Erkenntnisses mit der Maßgabe zu befehlen geruht, daß Kinkel die erkannte Festungsstrafe in einer Civilanstalt verbüße. Diesem Allerhöchsten Befehle gemäß ist von mir das kriegsgerichtliche Erkenntniß dahin bestätigt, daß Kinkel wegen Kriegsverraths mit dem Verluste der preußischen Nationalkokarde und einer zu verbüßenden Festungsstrafe zu bestrafen, und zum Vollzug des Erkenntnisses die Abführung des Verurtheilten nach dem Zuchthause angeordnet worden, was hiermit zur öffentlichen Kenntniß gebracht wird.

     Freiburg, den 30. September 1849.

v. Hirschfeld, command. General etc.“

Dieser gesetzliche Weg in’s Zuchthaus bietet folgende Denkwürdigkeiten: Erklärung des Kriegszustandes einen Tag nach der Gefangennehmung Kinkel’s, wonach er vor ein ordentliches Gericht gehörte. Dafür preußisches Kriegsgericht. Dessen Gesetzlichkeit angenommen, konnte es gesetzlich nur nach dem Gesetze des Landes verfahren. Dafür strengeres preußisches Gesetz. Alles als gesetzlich angenommen, konnte es nichts Ungesetzliches erkennen. Das General-Auditoriat findet aber aus unbekannten Gründen das Erkenntniß ungesetzlich. Herr von Hirschfeld veröffentlicht, daß der König etwas Ungesetzliches bestätigt habe und zwar aus Gnade, die Herr von Hirschfeld durch Abführung in ein Zuchthaus statt in eine „Festung“ oder „Civilanstalt“ richtig zu deuten und zu verwirklichen meinte. Ein solcher Rechtsweg und Gnadenpfad ist in der preußischen Rechtsgeschichte vorher nie betreten, von Niemand gewandelt worden.

Kinkel ward im October im Zuchthause zu Naugardt seines Haares und Bartes beraubt, in grobe, graue Kleider gesteckt und in einsamer Zelle zum Baumwollespulen gezwungen. Kein gebildeter Mann, keine deutsche Frauenseele wird die schmerzliche Empörung vergessen haben, die über diese unter allen Umständen gehässige Entwürdigung eines glänzend bewährten hohen Dichtergenius durch ganz Deutschland zuckte und bald aus allen Ländern der Erde sich über unser unglückliches Vaterland zurückergoß. Diebe, Räuber, gemeine Verbrecher

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage „Urtel“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_023.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
  1. Gedichte. Seite 344 und 345.
  2. Gedichte. Seite 332 etc.