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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Rottenbuel? Wie hängt das zusammen? Kennt man die Veranlassung des Zwistes?“

„Ich wenigstens kenne sie, Majestät!“ antwortete die Herzogin, indem ein flüchtiger, aber finsterer Blick an Frau von Vieillemarin vorüberstreifte.

„So lassen Sie mich hören,“ gebot die Königin, indem sie in ihr Cabinet zurücktrat und der Herzogin ein Zeichen gab, ihr zu folgen. Dann wurden von innen die Flügelthüren des Cabinetes zugemacht, und die beiden Hofdamen blieben wieder allein in dem Empfangssaale zurück.




Am Abende war ein Gewitter aufgezogen und es regnete stark. Die Nacht brach früh herein, weil die Sonne hinter schweren Wolken versteckt war, und da man des üblen Wetters wegen die Lustpartie hatte aufgeben müssen, welche man am Hofe für diesen Tag festgesetzt, war ein Concert in den Gemächern der Königin angeordnet worden. Der Anfang desselben war nicht mehr fern, als ein Mann, tief in seinen Regenmantel eingehüllt, über einen der Seitenhöfe des Schlosses schritt und seinen Weg nach dem Flügel einschlug, den die dienstthuenden Hofdamen in Versailles bewohnten. Als er sich dem Portale näherte, rief die schweizer Schildwache ihn an. Er gab die Parole als Antwort, und die Schildwache schien ihn auch zu erkennen, sobald der Strahl der Laterne ihn beleuchtete. Sie präsentirte, als er vorüberging.

Auf den Gallerien und Gängen im Schlosse war es still und leer. Männer und Frauen waren in den Toilettenzimmern beschäftigt, die Kammerdiener und Kammerfrauen hatten alle Hände voll zu thun, die Lakaien besorgten die Ordnung und Beleuchtung in den Sälen. Der Mann im dunklen Mantel mußte aber bekannt im Schlosse sein, denn er gelangte, ohne darum fragen zu müssen, an ein Zimmer in dem letzten Pavillon, und nachdem er, die Hände zusammenlegend, leise den nächtlichen Schrei der Eule nachgeahmt hatte, öffnete sich eine Thüre zur Linken, in welcher er verschwand.

Das Zimmer, in welches er eintrat, war fast dunkel. Die Läden waren gegen den Garten hin geschlossen, in der Ecke auf einem dreifüßigen Marmortische brannten die Kerzen auf einem Armleuchter. Sie gaben eben nur Licht genug, die prächtige Einrichtung des großen Raumes zu gewahren, aber der Cavalier beachtete sie nicht, er schien den Saal zu kennen, und er kannte auch die Dame, welche ihn dort erwartete, und deren reiches Hofcostüm einen sonderbaren Gegensatz zu der Dunkelheit und der Einsamkeit des Saales bildete. Ihre Haltung verrieth ihre Unruhe und ihre Aufregung; die Gelassenheit des Mannes, der ihr gegenüber stand, war anscheinend um so größer.

„Sie haben mich gerufen, Frau Marquise,“ sagte er, „und noch einmal bin ich Ihrer Einladung gefolgt, obschon ich nach der Weise, in welcher Sie gestern meine Fragen, meine bittenden Vorstellungen aufgenommen, kaum noch darauf gerechnet hatte, der Gunst einer solchen Einladung theilhaftig zu werden. Darf ich Sie fragen, welchem Ereigniß oder welcher glücklichen Stimmung ich den Vorzug verdanke, Sie, und eben hier an diesem Orte wieder zu sehen? –“ Er sprach diese Worte mit der Gemessenheit eines Menschen aus, der sie vorher überlegt und sich überhaupt die Rolle vorgezeichnet hat, welche er aufrecht zu halten gedenkt; indeß ein Ton von Gereiztheit und von Erregung drang wider seiner Willen daraus hervor. Die Dame empfand das, aber sie wollte es nicht bemerken.

„Ich würde die Freiheit, die ich mir genommen,“ versetzte sie, „allerdings zu entschuldigen haben, Herr Graf, hätte ich Sie nicht sprechen müssen, um Ihnen zu sagen, was ich Ihnen zu schreiben nicht für sicher hielt. Der Zustand des Chevalier von Lagnac ist hoffnungslos. Ich weiß, daß Sie beurlaubt sind. Säumen Sie nicht, Herr Graf, Ihren Urlaub zu benutzen. Der König, Sie wissen es, ist dem Duell entgegen, seit der Graf von Artois selbst in dem Zweikampf mit dem Herzog von Bourbon sein Leben exponirte, und der Graf von Artois ist in Verzweiflung darüber, daß er Lagnac, daß er seinen Günstling und Genossen verlieren soll. Die Herzogin aber schürt das Feuer des königlichen Zornes. Es handelt sich um Ihre Freiheit, um Ihre Zukunft, Graf! Man spricht davon, ein Beispiel zu statuiren, eine lettre de cachet –“ Der Graf lachte spöttisch. „Sparen Sie die Mühe, Marquise,“ sagte er, „mir zu beweisen, wie sehr Sie mich zu entfernen wünschen.“

Die scharfgezeichneten Augenbrauen der Marquise zuckten leise zusammen, ihre Lippen öffneten sich, aber sie unterdrückte ihre Bewegung, unterdrückte auch die Antwort, welche sie zu geben beabsichtigt hatte, und sagte mit wiedergewonnener Fassung: „Es steht bei Ihnen, Graf Rottenbuel, es zu verkennen, daß ich gut zu machen, vergessen zu machen wünschte, was ich gegen Sie verschuldet.“

Und wieder unterbrach sie der Graf. „Gut machen? vergessen machen?“ rief er. „Kannst Du es mich vergessen machen, Franziska, daß ich in Dir einst die höchste Liebe meines Herzens niedergelegt und daß Du sie verrathen hast? Kannst Du sie mich vergessen machen, Franziska, die Stunde, in welcher Du hier, eben hier in diesem Pavillon, mir Treue geschworen, mir Deine Hand, Dich selbst für immer angelobt, wenn ich die Zustimmung Deiner Eltern für unsere Verbindung zu erlangen wüßte? Denkst Du des Abends, es sind fünf Jahre her, als Du, das kaum dem Vaterhause entnommene Mädchen, mir hier die Art und Weise Deines Vaters und Deiner Mutter schildertest, als Du mir die Anweisung gabst, wie ich es zu machen hätte, Deine Eltern umzustimmen, die sich große Vortheile für sich und Deine Brüder von Deiner eben angetretenen Stellung neben der Königin erwarteten? Erinnerst Du Dich“ – er vollendete den Satz nicht, und mit ganz verändertem Tone fügte er hinzu: „Ich ging in die Touraine, ich sah Deine Eltern, ich erlangte ihre Zustimmung; und als ich wiederkehrte, als ich das Herz voll Hoffnung vor Dir erschien, als ich es mir vorstellte, welches Glückes wir fern von hier in meiner Heimath genießen würden, da – hatte die Herzogin Dich unter ihren ganz besondern Schutz genommen. Die Nachricht von Deiner beabsichtigten Verlobung mit ihrem Vetter war die erste Kunde, die ich hier empfing, Deine Zustimmung zu derselben die Freude, die Du mir zum Willkomm zugedacht!“

Der Marquise kam diese Scene ungelegen, aber ihre Gefallsucht konnte es nicht ertragen, selbst den einst verschmähten und seitdem von ihr in koketter Selbstsucht neben sich festgehaltenen Mann in Zorn und Unmuth von sich scheiden zu sehen. Sie war nur der Huldigungen, nicht der Vorwürfe von ihm gewohnt, und doppelt in ihrer Eitelkeit verletzt, rief sie, schnell mit sich darüber einig, wie sie sich diesem Manne gegenüber zu verhalten hätte: „Nun ja! sei es darum, ich fehlte. Ich fehlte gegen Sie, ich brach mein Wort – aber muß ich Ihnen denn noch heute, nach fünf Jahren voll heimlich getragenen Unglücks, es wiederholen – ich wußte nicht, was ich damit that, ich ahnte es nicht, daß ich damit aller Hoffnung, allem Glücke meines Lebens ein für allemal den Stab brach?“

Ihre Stimme sagte noch mehr als ihre Worte, und vor dem vollen, schmelzenden Blicke ihres Auges, den sie fest auf den Grafen richtete, verstummte er. Mehr hatte sie für den Augenblick gar nicht gewollt, und schnell und schneller sprechend, je weiter sie in ihrer Erklärung fortschritt, sagte sie: „Ich hoffe, Sie endlich von der Wahrheit meiner Worte zu überzeugen; um Ihretwillen, Graf, hoffe ich, Sie werden mir vertrauen. Sie müssen Paris verlassen, ehe es zu spät wird, aber grade darum sollen Sie auch hören, mich noch einmal hören, ehe wir für immer scheiden.“ Sie machte eine Pause und setzte sich nieder. „Es ist wahr,“ sagte sie dann, „ich habe Sie geliebt, ich habe Ihnen Treue geschworen und ich habe diese Treue verrathen. Ehrgeiz und Eitelkeit rissen mich hin; aber ich war siebenzehn Jahr alt, ich hatte noch nicht den Muth, mir ein Leben, eine Zukunft für mich selbst zuzuerkennen. Ich wurde die Gattin des Marquis, die Cousine der Herzogin. Man beneidete mein Loos, man lobte meine Fügsamkeit, die erhöhte Liebe meiner verehrten Eltern, die größte Zärtlichkeit meiner Brüder lohnte mir das Opfer, das ich gebracht hatte, und ich war zufrieden. Ich glaubte damals, man könne die Liebe vergessen; es schmeichelte mir, einen der großen Namen Frankreichs zu tragen und die nahe Verwandte der allmächtigen Herzogin zu werden. Da traten Sie auf’s Neue an mich heran, und Ihr Schmerz machte mir klar, was ich verloren hatte, er erweckte mein eigenes Herz. Aber es war zu spät. Unter Ihren und meinen Thränen schwur ich, Ihnen –“

„Franziska, nur daran erinnere mich nicht!“ rief Graf Joseph, „sprich es nicht aus, daß du mir angelobt, mein Ideal zu bleiben, da Du mein Weib nicht werden konntest! denn auch dies, auch dies Versprechen hast Du schlecht gehalten!“ – Sie schwiegen Beide, dann sagte der Graf: „Die

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