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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Tourist, wenn er sich an einem schönen Punkte für längere Zeit ansiedelt und in Pension thut. In Vevey[WS 1] am Genfersee, in Interlaken, in Luzern und in Zürich artet er zuweilen förmlich in einen „Gorilla“ der touristischen Menschheit aus. Er geht, wie wir, zwar noch auf den Hinterfüßen, allein jeder minder von sich eingenommene Sterbliche wird wohlthun, seine Nähe zu meiden. Der aristokratische Gorilla hält sichtlich alle anderen Nationen, ja seine bescheideneren und gebildeten Landsleute, für „unrein“. Auf dem Dampfboote setzt er sich mit dem Rücken gegen das Proletariat gerichtet, selbst wenn er dadurch den Anblick der herrlichsten Gegend einbüßen sollte. In den Salons und Gärten der Pensionen legt er Beschlag auf die reizendsten Lauben und die elegantesten Fensternischen. Wenn man ihm und seinen Angehörigen nicht zu nahe kommt, verhält er sich ruhig, allein er flößt dem furchtsamen Deutschen meistens Furcht ein, auch wenn er von ihm keine Notiz nimmt. Er starrt von Vornehmheit, wie das Stachelschwein von seiner natürlichen Wehr. Auch das Hotel, in welchem er sich nur vorübergehend aufhält, sucht der Engländer in ein „Castell“ umzuschaffen und wenigstens mit „Armstrong-Blicken“ daraus zu feuern. Im Hotel Byron zu Villeneuve gerieth ich Abends halb neun Uhr in den Speisesalon. Ich hatte seit acht Stunden nichts genossen und setzte mich hungrig an den in der Mitte des großartigen Saales stehenden Tisch, die mir versprochenen Reste der Mittagstafel erwartend. Ringsum in den weiten, mit seidenen Gardinen verhüllten Fensternischen nahm bei hohen, strahlenden Astrallampen Altengland den Thee ein. Herren und Damen waren in großer Toilette, man trug sich almacksfähig, es wurde Morningpost gelesen, der alte Lord Mac Steaks lag träumerisch hinten übergebeugt im Lehnstuhl, sein jüngerer Gefährte, Lord Fitz Roastbeef, stocherte mit einem goldenem Kneif seine langen Zähne, Mylady knotete lebensmüde an einer Filetarbeit. Der unglückliche Kellner (Wehe ihm!) hatte mein Couvert in ihre Nachbarschaft gelegt; sie betrachteten mich wie einen mit dem Aussatz Behafteten. Mylady und ihre Tochter richteten ihre gläsernen Fischaugen magisch gehässig auf mich, und die Lachsforelle blieb mir im Halse stecken! Ich kann noch heute nicht begreifen, daß ich davongekommen bin, ohne versteinert worden zu sein.

Jungengland hat sich seit der Macdonaldgeschichte außerordentlich gebessert. Schon kommt es vor, daß ein jüngerer Gentleman dem älteren Deutschen Salz und Pfeffer reicht, mit ihm ein Gespräch anknüpft und ihm unterwegs Hülfe leistet, oder ihm auch wohl einen frischen Trunk aus seinem Becher anbietet, aber das „jüngste England“ unter zwanzig Jahren läßt immer noch viel zu wünschen übrig. Diese Jungen, wenn sie sich mit Fischfang beschäftigen und stundenlang wie verdorrte Stämme mit der Angelruthe in der Hand dastehen, oder in ihren eleganten Kielböten flegelnd das Seeufer unsicher machen, gehören zu den großen Schattenseiten des Aufenthaltes in Pensionen. Durch die deutschen Reisenden wird die meiste Mannigfaltigkeit an diesen beliebten Ruhepunkten gebildet. Sie leben gern von anderen Nationen getrennt und finden sich sehr bald in gemüthlichen Gruppen zusammen, deren jede einem „Weisel“ zu folgen pflegt. Bald männlichen, bald weiblichen Geschlechts ordnet er stets die Vergnügungen an, handelt um Wagen und Pferde und thut sich durch eine bemerkenswerthe Suada, gemeinhin in mehreren Sprachen, hervor. Der „Weisel“ versteht sich auf Gesang und sorgt für Quartetts oder doch für Volkslieder. An die Spitze von Excursionen, die mit Laternen um Mitternacht aufbrechen und ein Maulthier mit Proviant und Mänteln mitnehmen, stellt er sich gar zu gern. Nicht selten besucht er jährlich dieselbe Pension, schafft ihr ein bestimmtes Publicum, einen guten Ruf und genießt deswegen im Hause fast göttliche Verehrung. Wenn er abreist, brennt der Wirth ein Feuerwerk im Garten ab, falls die Häuser im Orte nicht aus Holz gebaut sind, der dumme Junge der Pension, der die Schuhe und Kleider reinigt, löst sich in Thränen auf, und die Wirthin bäckt am letzten Abende einen riesigen Obstkuchen. Wir gerathen hier indessen zu tief in die Geheimnisse des schweizerischen „Stilllebens“ hinein, die wir vielleicht gelegentlich in einem anderen Genrebilde behandeln; überlassen wir den Reisenden ruhig seinem jetzigen Winterschlafe.




Blätter und Blüthen.


Ludwig Köhler. Die jüngste dichterische Schöpfung dieses rastlosen Geistes im gebrochenen Körper: „Die Dithmarsen, historisches Volksdrama in fünf Aufzügen“ (Hildburghausen, Selbstverlag des Verfassers; den Bühnen gegenüber Manuscript), ist eine so gelungene, daß wir sie zur Veranlassung nehmen, unsern großen Leserkreis mit dem Dichter selbst näher bekannt zu machen. Köhler ist ein Mann aus dem Volke, aus der Armuth, die leider auch diesem Dichter nie ganz untreu ward. Geboren 1819 zu Meiningen, rang er sich durch den Fleiß der stillen Nächte vom Lohnschreiber zum Studenten empor. Er lag den schönen Wissenschaften ob, erst in Jena, dann in Leipzig und zuletzt in München. Als seine besten Werke werden anerkannt von seinen größeren Romanen sein „Thomas Münzer“, ferner seine Novellensammlung „Primavera“ und seine „Freien Lieder“ (2. Auflage), die zu den besten Leistungen der neuern Lyrik gehören.

Um sich, seiner zahlreichen Familie zu Liebe, eine feste Existenz zu begründen, zog er nach Hildburghausen, wo er, als einer der vorzüglichsten Schriftsteller des Bibliographischen Instituts, an der Redaction der großen Meyer’schen Conversationslexika betheiligt ist. Hier gingen auch seine ersten Dramen „Bürger und Edelmann“ und „König Mammon“ zuerst über die Bühne. Letzteres kam auch auf mehreren Hoftheatern, zu Coburg, Meiningen, Gotha, Braunschweig etc. zur Aufführung und fand entschiedenen Beifall. Mehr als bloßen „Beifall“ erwarten wir aber von der Wirkung seines jüngsten Dramas: „Die Dithmarsen“, das eine öffentliche Stimme an poetischem Werthe unbedenklich den „Makkabäern“ Otto Ludwig’s gleichstellt, vor denen es noch den Vorzug habe, einen Stoff von so hohem nationalem Interesse zu behandeln: den siegreichen Kampf eines freien deutschen Heldenvölkleins gehen die dänische Königsmacht.

Könnten wir den Leser in des Dichters Arbeitsstübchen führen, sie würden vor ein ergreifendes Bild treten. Sieben in herrlicher Gesundheit blühende Kinder gruppiren sich arbeitend oder spielend um einen Mann, den jahrelanges Siechthum fast zum Greise gekrümmt hat und dessen Augen allein von der Kraft des Geistes zeugen, die ihn zu rastlosem Schaffen treibt, aber auch von der trüben Sorge, die sie um die Zukunft seiner Lieben umdüstert. Unwillkürlich muß man zu dem Gedanken kommen, daß die Schillerstiftung kaum einen Würdigeren für ihre thätige Theilnahme finden könnte, als Ludwig Köhler. – Vor Allem wünschen wir aber die Aufmerksamkeit der Bühnendirectionen auf Köhler’s Dithmarsen hingelenkt zu haben; möge das Publicum selbst allenthalben nach diesem Drama verlangen, damit dem vielgeprüften Dichter der wohlthuendere Lohn werde, den er in vollem Maße verdient hat. F. H.     




Ein buchhändlerisches Flottengeschäftchen. Die Speculation des Kramladens feiert die Feste, wie sie fallen, sie bietet, je nachdem, Schillercigarren oder Garibaldibonbons feil. Das mag als ein unschuldiges Vergnügen des Kleinhandels passiren; es schadet Niemandem, als höchstens dem Käufer, der sich um des schönen Namens willen gewöhnliche Waare um höheren Preis aufhängen läßt. – Wenn aber die Verlags-Buch- und Kunsthandlung „Möser und Scherl in Berlin“ einem Product der Romanschreiberei, das „Hermann, den ersten Befreier Deutschlands“, als patriotischen Gegenstand einer „romantischen Geschichte“ benutzt, zur Ehre und zur pecuniären Einträglichkeit eines Nationalwerkes dadurch verhelfen will, daß sie verspricht, „bei einem Absatz von 32,000 Exemplaren 10,000 Thaler zur deutschen Flotte zu geben,“ – so müssen wir gegen eine solche ungehörige Ausbeutung des Patriotismus der deutschen Nation unsere Stimme so laut wie möglich erheben. Wir trauen unseren Lesern so viel Rechenkunst und so viel Vaterlandsliebe zu, daß sie nicht 2 Thlr. 20 Gr. für ein werthloses Buch bezahlen, um der deutschen Flotte 10 Gr. zuzuwenden! Und wenn das beste Werk unsrer gesammten Literatur in solcher Weise benutzt würde, so könnte all sein Werth das unwürdige Spiel nicht entschuldigen, das dadurch mit dem heiligsten Gefühl und dem edelsten Streben einer Nation getrieben wird. Vor dieser, wie vor jeder ähnlichen frechen Speculation auf den deutschen Patriotismus werden wir unsere Leser allezeit eindringlichst verwarnen.




Kleiner Briefkasten.


R. in Magdeburg. In Preußen ist von dieser Nummer ab die Wochen- und Monatsausgabe der Gartenlaube steuerfrei. Sie haben auf der Post oder beim Buchhändler stets nur 15 Ngr. pro Quartal zu zahlen.

R. in Z. Wir haben den Nachdrucker Gutknecht in Bern schon früher als einen – bezeichnet und werden nächstens noch in ganz anderer Weise gegen diesen Herrn vorgehen. Wenn die Schweizer Gesetze uns nicht gegen literarischen Raub und Diebstahl schützen, so müssen wenigstens diejenigen vor ganz Deutschland gebrandmarkt werden, die sich nicht schämen, ihre Hand an fremdes Eigenthum zu legen.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vevay
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_016.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)