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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

einen verwegenen, gewandten Mann. Sie hatten unter den preußischen Officieren, Soldaten und Bürgern, welche die Wachen mit bezogen, viele Bekannte gewonnen und sie in das Unternehmen eingeweiht. Ungefähr 1000 Mann von der frühern preußischen Besatzung, welche in Magdeburg geblieben waren, mehrere Officiere und eine Anzahl Bürger waren für das Unternehmen gewonnen und harrten des Tages, an welchem der Handstreich auf die Stadt ausgeführt werden sollte. Dazu hatte sich Hirschfeld einen genauen Plan der Festung, die Schlüssel zum Krökenhor, zur Thurmschanze und zu mehreren Ausfallthoren zu verschaffen gewußt. Alle Hoffnung zum Gelingen des Unternehmens war vorhanden, wenn nicht ein unglücklicher Zwischenfall eintrat.

In kaum gehoffter Weise war bis dahin Alles geglückt. Katte hatte gleichfalls viele Anhänger gewonnen, die fest an ihm hielten, denn er verstand es, sich bei Allen beliebt zu machen. Für Waffen war hinreichend gesorgt, auch Pferde waren in ziemlicher Anzahl vorhanden. Nur die Zeit der Ausführung war noch nicht bestimmt. Katte, der Ungeduld seiner Vertrauten und seinem eigenen Verlangen zu viel nachgebend, drängte auf baldige Ausführung, das Comité in Berlin, mit dem er in fortwährender Unterhandlung stand, war für Aufschub, weil die Vorkehrungen zum Volksaufstande im Harz und im Westphälischen noch nicht beendet waren. Da faßten Katte und Hirschfeld den übereilten und tollkühnen Entschluß, allein mit den Vertrauten das Werk zu beginnen. Vielleicht mischte sich der Ehrgeiz, die Ersten gewesen zu sein, welche das Zeichen zu Deutschlands Befreiung gegeben, auch noch hinein. War Magdeburg in ihren Händen, dann mußte auch Schill von Berlin aufbrechen und Dörenberg gegen Cassel vorrücken – dann war das Zeichen gegeben, und der lange zurückgehaltene Haß und Groll von Tausenden – ja von Hunderttausenden – mußte zur hellen Flamme auflodern. Daß der Handstreich mißlingen könne, daran dachte keiner von beiden.

Zugleich hatte Katte sich noch eine andere Unbesonnenheit zu Schulden kommen lassen. Er hatte den Rittmeister Baron v. Gayl, dessen Sohn, Ernst v. Gayl, westphälischer Kammerherr in Cassel war, der selbst am Hofe Jerôme’s eine sehr zweideutige Rolle gespielt hatte und für einen geheimen Sendling Jerôme’s galt, in das Unternehmen eingeweiht, und dieser hatte scheinbar das größte Interesse bewiesen. Mit Eugen v. Hirschfeld war er nach Magdeburg geeilt, um dort Alles vorzubereiten und zur rechten Zeit zu leiten. Dieser Baron von Gayl, ein feiger, heruntergekommener Denunciant, sollte zum Verräther des ganzen Unternehmens werden. Auf seinem Namen ruht eine Schmach und Schuld, die sich nicht ermessen läßt. Denn anders würde es gekommen sein, wäre der Handstreich aus Magdeburg gelungen. Tausende würden Vertrauen und Muth daraus geschöpft haben, und vielleicht wäre schon geschehen, was erst vier schwere, qualvolle Jahre später zur Vollendung kam, vielleicht wäre schon damals das große Befreiungswerk gelungen.

Ende März war herangerückt, und Anfang April wollte auch Wilhelm v. Dörenberg sein Unternehmen auf Cassel ausführen. Katte hatte alle Vorkehrungen zu seinem Handstreiche getroffen. Karl v. Gagern befand sich in Gardelegen, Moritz v. Hirschfeld und Tempski waren bei ihm, der verwegene Eugen v. Hirschfeld war schon in Magdeburg, um dort zur Hand zu sein, mit seinen Vertrauten, den früheren preußischen Bauconducteur Butze, der sehr eifrig an dem Unternehmen Theil genommen, hatte er nach Stendal gesandt, um dort Alles zu seiner Ankunft bereit zu halten. Nach Stendal sandte er auch eine Proklamation, welche Alle zur Theilnahme aufforderte. Diese Proklamation lief indeß schmachvoll ab. Ein in Stendal lebender Puppenspieler, Namens Drabant, war erwählt worden, die Aufforderung zum Zuzuge mit Begleitung seiner Trommel, deren Klang sonst nur bei den Ankündigungen seines Kasperltheaters durch die Straßen tönte, auszurufen. Dies machte die ganze Proklamation lächerlich. Ein Haufen Jungen folgte dem Ausrufer, einer possenhaften Figur, mit lautem Halloh und Gelächter, und der Volkswitz sagte: „der Puppenspieler Drabant habe v. Katte ausgetrommelt!“

Am 1. April hatte v. Katte ungefähr 250 Mann um sich versammelt. Es waren meist frühere Soldaten, dann Leute aus dem niederen und Bauernstande, die letzteren in ihrer gewöhnlichen Kleidung. Ein Theil war mit Gewehren bewaffnet, ein Theil nur mit dem Säbel, andere nur mit einer Pistole oder einer Pike. Fast die Hälfte war indeß beritten, und die Pferde waren schöne Thiere aus der Altmark. Ein muthiger, begeisterter Sinn belebte indeß die kleine Schaar, für welche Katte an jedem Orte einen neuen Zuzug erwartete, namentlich von Gardelegen, Tangermünde und Stendal.

Am 1. April brach Katte mit der Schaar auf, setzte in der Nacht auf den 2. April bei Werben über die Elbe und marschirte auf Stendal los. Hier harrte man jede Stunde auf seine Ankunft. Butze hatte Alles vorbereitet. Obgleich er am Abend des 2. April noch nicht in Stendal eingetroffen und nicht einmal Nachricht von ihm angelangt war, erwartete ihn doch eine Schaar treuer Bürger, welche die Nacht im Roder’schen Brauhause beim Bierkruge hinbrachten und sogar schon den alten Stadtmusikus Henning mit seinen Leuten bestellt hatten, um das Katte’sche Corps mit Musik zu empfangen und in die Stadt einzuführen.

Als die Morgendämmerung anbrach, stürzte Butze zu den Bürgern ins Brauhaus, um ihnen zu verkünden, daß Katte sich nahe. Mit Jubel brachen Alle auf, ihm entgegen. Durch das Viehthor, welches Katte, da es verschlossen war, schnell hatte sprengen lassen, ohne von den wenigen westphälischen Soldaten und Douaniers den geringsten Widerstand zu erfahren, zog er ein. Mit lautem Jubel wurde er empfangen, und das Musikcorps des Stadtmusicus voran, zog er durch die Straßen.

Dieser Empfang mochte Kattes Herz und Muth heben. An reichem Zuzug zweifelte er nicht, nur hinreichend Geld mangelte ihm. Durch Butze hatte er bereits erfahren, daß die Cassen in Stendal nicht leer seien, und ohne Zögern bemächte er sich der städtischen und der Accise-Casse. Er selbst rastete darauf im Rasthofe „Zum schwarzen Adler“, wo er auch frühstückte, während seine Leute von den Bürgern versorgt wurden, von denen mehrere sich ihm anschlossen. Nur kurze Zeit hielt er sich indeß in Stendal auf. Seinen Zweck, Verstärkung an Geld und Leuten, hatte er erreicht, und in Magdeburg erwartete ihn Hirschfeld mit den Vertrauten. Gegen Mittag schon sammelte er sein Corps zum Weitermarsche. Fast dreihundert Mann mochte es zählen. Voran ritt ein alter Husarentrompeter in abgetragener Husarenuniform auf einem Schimmel und gab das Signal mit der Trompete. Mancher lächelte zwar über diese kleine Schaar, die sich eine so große Aufgabe gestellt hatte, sie selbst war indeß von dem besten Muthe beseelt. Nach Wolmirstädt richtete Katte seinen Marsch, und als er in der Nähe des Tangermünder Thores den altmärkischen General-Superintendent Jané, den Oberpfarrer des Stendal’schen Domes, erblickte, ritt er an ihn heran und bat ihn, den Segen des Himmels auf seine kleine tapfere Schaar herabzuflehen. Die westphälischen Cassen aus Stendal mußte der Gastwirth Voßköhler nach Wolmirstädt fahren. Hier langte Katte um 9 Uhr Abends des 3. April an und bemächtigte sich sofort der Gelder der Postcasse, welche nach damaligen Angaben 1000 Friedrichsd’or betrugen.

Ungeduldig harrte er im Wirthhause zu Wolmirstädt auf eine Kunde Hirschfeld’s aus Magdeburg, da stürzte athemlos ein vertrauter Bote herein und meldete ihm, daß in Magdeburg Alles verloren sei; der Rittmeister von Gayl habe das Unternehmen verrathen – Hirschfeld, Wulff und Andere seien sofort verhaftet. Erschreckt fuhr Katte empor. Das Werk, welches er so mühsam vorbereitet hatte, sah er mit einem Male kurz vor dem Gelingen durch schmachvollen Verrath vernichtet. An eine Ausführung desselben war nicht mehr zu denken. Jetzt kam Alles darauf an, sich und die Seinigen zu retten, denn zugleich hatte er die Nachricht erhalten, daß westphälische Truppen gegen ihn ausgesandt seien. Es konnte nur die Flucht retten. Man hat Katte’s Flucht eine übereilte genannt, hat behauptet, daß er den Kopf verloren habe, selbst daß seine Schaar nur aus zusammengelaufenem Gesindel bestanden habe – Augenzeugen bestätigen dagegen unsere Angaben. Mit einer kleiner Schaar setzte Katte über die Elbe und bestand am 5. April bei Burg mit ihm nachsetzenden westphälischen Gensd’armen ein Gefecht. Glücklich daraus entkommen, floh er nach Böhmen zum Herzog von Braunschweig, der dort bei Nachod ein kleines Heer sammelte. Auch traf er hier Eugen von Hirschfeld, dem es, von Gayl’s Verrath frühzeitig unterrichtet, gelungen war, aus Magdeburg zu entfliehen. Damit endete ein Unternehmen, auf welches so hohe und große Hoffnungen gebaut waren.

Die französische Polizei strengte nun alle Kräfte an, um die Theilnehmer an dem Unternehmen zu verhaften, und ihre Rache traf meist Solche, die am wenigsten dazu beigetragen hatten. Schon am 8. April wurde folgender Steckbrief hinter v. Katte erlassen:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_830.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2022)