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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

um eine hohe Spirale laufenden Wendeltreppe und mit seinen offenen Spitzbogenhallen. An diesem Thurme hat die beabsichtigte Restauration des Schlosses ihren Anfang genommen. Sind die Arbeiten vollendet, so wird die Meißener Albrechtsburg eben so viel Besucher anziehen, wie die alte Burg des deutschen Ordens an der Nogat.

Neben dem Schlosse steht das zweite architektonische Prachtstück Meißens, der Dom. Er ist ebenso alt und vielleicht noch älter, als der gothische Styl. Obgleich es nämlich feststeht, daß der gegenwärtige Bau im Ganzen aus der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts herrührt, ist es zweifelhaft, ob nicht am Unterbau des hohen Chors Reste einer älteren Kirche des zehnten Jahrhunderts enthalten sind. Einst war der Dom das Ziel zahlreicher Wallfahrten, die den Gebeinen des in seinem Schiff begrabenen heiligen Benno galten. Damals wurde an sechsundfunfzig Altären Tag und Nacht ununterbrochen Messe gelesen, wozu zweihundert Capitularen, Meßpriester, Bicarien und Capellane kaum ausreichten. Die Mauerflächen waren von Wandmalereien bedeckt, und das Licht der Altarkerzen funkelte auf silbernen und goldenen, mit Juwelen beseelen Gefäßen. Der Mensch und die Natur haben diesem alten Glanze übel mitgespielt. Im Innern hat zuerst die Reformation, dann der Krieg reinen Tisch gemacht; am Aeußern haben Stürme und Blitze ihre Riesenkraft versucht, leider mit Erfolg, denn die beiden westlichen Thürme sind einmal vom Sturm, ein anderes Mal vom Blitz zerstört und nach der zweiten Katastrophe nicht wieder hergestellt worden. Zum Glück ist die Architektur der Kirche selbst unverletzt geblieben, und ihre Herrlichkeit reiht diesen Dom den schönsten Denkmälern der altdeutschen Kunst an.

Der Dom, die Albrechtsburg und der ehemalige bischöfliche Palast verleihen dem Meißner Schloßberge seinen imposanten Charakter. Im Verhältniß zu diesen stolzen Gebäudemassen ist der Berg fast zu klein und erscheint viel niedriger, als er ist. Von der Schönheit der Stadt wird man keinen hohen Begriff bekommen, wenn man Lessing’s Vergleich kennt: „ein Gericht voll Krebse in einer grünen Schüssel.“ Am wenigsten vortheilhaft zeigt sich Meißen von der Flußseite. Die besseren Gebäude hat man dem Ufer nicht anvertrauen mögen, denn die Elbe hat ihre bösen Tage, an denen sie ihre hochangeschwollenen Wogen über die Dämme des Leinpfades hinüberwirft und mit centerschweren Eisschollen an die Häuser pocht.

Im Thale der hier mündenden Triebisch, zieht sich Meißen eine Strecke aufwärts. Der landschaftliche Reiz dieses Thals concentrirt sich am Buschbade, das seit Jahren kein Bad mehr ist, aber durch die von Dr. Herz geleitete Heilanstalt für Blödsinnige, die dorthin verlegt wurde, der leidenden Menschheit viel wichtigere Dienste leistet, als früher. Das moderne Fabrikwesen findet seine Repräsentanten näher an der Stadt, wo eine große Eisengießerei, eine Fabrik von Zündern und eine Gasanstalt, die weit besseres Gas liefert als die Leipziger, nahe bei einander liegen. Auch das neue Gebäude der aus der Albrechtsburg verwiesenen Porcellanfabrik wird in diesem Industriewinkelchen des Triebischthales erbaut. Ihr Porcellan machen die Meißener geltend, wenn sie wegen ihres Weines verhöhnt werden. In der That ist der gute Ruf des Porcellans ein eben so wohlverdienter, wie der schlechte der Meißner Traube ein unverdienter. Das älteste Porcellan Europa’s, ist es hinsichtlich der Masse noch heute das schönste. Die Geschichte seines Erfinders Böttger ist allgemein bekannt; von Kändler, der die Fabrik zur höchsten Blüthe gebracht hat, wissen Wenige. Von 1732 an hat dieser geniale Bildhauer unzählige Gruppen, Figuren mit verzierte Geschirre, die getreuesten Abbilder der Roccocozeit, gearbeitet. Die Meißener Fabrik besitzt Kändler’sche Modelle zu Hunderten, und sie sind ihr größter Schatz. Die nach ihnen gefertigten Geschirre sind ihre gangbarsten Artikel, doch ist auch nicht zu verkennen, daß die Existenz der Fabrik in Frage kommt, wenn die Vorliebe der Vornehmen für das Rococco einmal aufhört. Maler und Former haben sich ganz in diesen Styl hineingelebt.

Trotz seiner Merkwürdigkeiten wurde Meißen bis auf die neueste Zeit wenig besucht. So lohnend eine Elbfahrt von Riesa nach Dresden ist, wurden die eleganten Dampfschiffe der sächsischen Gesellschaft schwach benutzt. Seit der Vollendung der neuen Zweigbahn der Leipzig-Dresdner Hauptbahn hat sich der volle Strom der Reisenden auch nach Meißen gewendet. Diese wenigen Zeilen tragen vielleicht dazu bei, auf einen lange vernachlässigten schönen Punkt im Herzen Deutschlands aufmerksam zu machen.

Fr. Steger.




Diätetik des Gehirns und des Schlafes.

Die Kenntniß der richtigen Behandlung des Gehirns, und zwar ebenso während seines Arbeitens beim Wachen, wie während seines Ausruhens im Schlafe, bringt dem Menschen in körperlicher und geistiger Beziehung Heil. Denn sein Gehirn ist es ja, welches den Menschen über das Thier erhebt und welches nicht bloß alle geistige Thätigkeit, also das Denken, Fühlen und Wollen vermittelt, sondern auch mit Hülfe der Empfindungen und willkürlichen Bewegungen bedeutenden Einfluß auf den Ernährungsproceß innerhalb unseres Körpers ausüben kann.

Die Grundgesetze der Hirndiätetik ergeben sich aus folgenden Thatsachen: das Arbeiten des Gehirns ist stets mit Verlust von Hirnmasse verbunden; – nur durch Wiederersatz des Verlorengegangenen kann das Gehirn zu frischer Arbeit restaurirt werden; – dieser Wiederersatz (Neubildung) kann nur während des Ruhens des Gehirns, also im Schlafe, gehörig vor sich gehen; – zu seiner Neubildung bedarf das Gehirn solch Material aus der Nahrung und Luft, aus welchem seine Masse aufgebaut ist; – dieses Material muß in und durch das Gehirn mittels eines regelmäßigen Blutlaufs geleitet werden; – die beim Arbeiten des Gehirns abgenutzte Hirnmasse muß, um das Gehirn von seinen Schlacken zu befreien, vom Blutstrome aus der Schädelhöhle hinweggeführt werden; – Ueberanstrengungen (zu starke oder zu lang anhaltende Reizungen) des Gehirns ziehen entweder einen bleibenden oder doch einen nur langsam und nach längerer Zeit erst schwindenden Lähmungszustand nach sich; – unausgesetztes und langwährendes Faulenzen des Gehirns setzt die Ernährung mit Thatkraft desselben allmählich bis zur Unfähigkeit zum Arbeiten herab; – Kopfverletzungen, sowie die längere Einwirkung heftiger Hitze und Kälte auf den Kopf, können sehr leicht dem Gehirne Schaden zufügen.

Was nun zuvörderst das sogen. psychische Thätigsein des Gehirns, besonders das Denken, betrifft, so ist der Grad der Erregbarkeit und der Arbeitskraft diesen Organs bei verschiedenen Menschen, in Folge der verschiedenen Erziehung und Ernährung der Gehirnmasse, so verschieden, daß für Alle gültige Gesetze gar nicht aufgestellt werden können. Nur ganz im Allgemeinen ist zu rathen, daß Wer bei und nach geistigen Arbeiten sich entweder widernatürlich aufgeregt oder abgespannt fühlt, dabei an Schlaflosigkeit, Zittern, Schwindel, Kopfschmerz, Eingenommenheit des Kopfes, überhaupt an sogenannter Nervosität (mit großer Empfindlichkeit für Temperatureindrücke, häufigem Wechsel von Kälte- und Hitzeempfindung, unangenehmen Gefühlen der verschiedensten Art und an den verschiedensten Stellen, leichter Erschöpfung des Körpers und Geistes, leichtem Wechsel der Gemüthsstimmung) leidet, daß Der gehörige Pausen in seinen Arbeiten eintreten lassen muß, damit sich in diesen das etwas abgenutzte und ermattete Gehirn gehörig restauriren könne. Natürlich müssen sich diese Pausen in ihrer Dauer und Häufigkeit nach dem Grade der geistigen Anstrengung und der Hirnaffection richten. Wie viele Menschen, und zwar noch in dem kräftigsten Lebensalter, sind nicht durch häufige Verstöße gegen das Gesetz: „das Gehirn verlangt für seine Arbeit entsprechende Ruhe“ in ihrem Verstandes- und Gemüthsleben auf lange Zeit oder für immer ruinirt worden! Vorzugsweise bei Blutarmen muß das geistige Arbeiten des Gehirns gehörig eingeschränkt werden. Am wichtigsten ist aber eine richtige Behandlung des Gehirns im Kindesalter, wo sehr oft durch unpassende geistige Anstrengungen und verkehrte Einflüsse auf die Empfindungs- und Willensthätigkeit des Gehirns der Keim zu späteren Hirnleiden gelegt wird.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_823.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2022)