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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

seines Gesichts veränderte sich nicht. Er sah die beiden Briefe auf dem Tische. Er trat nicht näher hin, um die Aufschriften zu lesen.

Die unglückliche Frau hatte sich erhoben. Sie ging zu dem Bette des Knaben; er allein von den Kindern konnte noch wach sein. Sie überzeugte sich, daß er wieder eingeschlafen war. Sie nahete sich dem Gatten.

„Du hast meine Bitte erfüllt, Adalbert?“

„Ja.“

„Du hast also den Präsidenten noch nicht wieder gesprochen?“

„Ich war noch nicht wieder bei ihm.“

„Und Du hast Deinen Entschluß gefaßt?“

„Ja, Mathilde.“

„Welcher ist es?“

„Kannst Du fragen?“

„Sprich Dich aus, Adalbert. Der Präsident hatte Dir gesagt, Du müßtest Deinen Abschied nehmen, wenn Du ihm nicht den rechten Schuldigen bringen könntest. War es nicht so?“

„So war es.“

„Und Du?“

„Mein Abschiedsgesuch liegt fertig. Ich habe es nicht abgesandt, weil ich Dir jenes Versprechen gegeben hatte.“

„Du wirst es nicht absenden, Adalbert.“

Er zuckte zusammen. Sein bleiches Gesicht röthete sich. Er mußte sie fragend ansehen und sah in ein fest entschlossenes Antlitz.

„Du wirst das Gesuch nicht absenden, Adalbert. Hier liegt ein anderes Schreiben an den Präsidenten; auch eins an Dich.“

„Mathilde, Du wolltest mich verlassen?“

„Ich wollte es, ehe Du zurückkämst. Ich wollte Dir und mir eine schwere Stunde ersparen. Denn fort muß ich.“

Sein Gesicht röthete sich wieder.Durch seine Augen fuhr ein heller Blitz. Er nahm ihre Hand.

„Du wirst bleiben, Mathilde, Du darfst mich nicht verlassen, nicht unsere Kinder.“ Er sprach es bittend, aber ruhig. Er hielt ihre Hand dabei, aber er drückte sie ihr nicht.

Sie erwiderte ihm klar: „Adalbert, ich habe meinen Schritt reiflich überlegt, und mich dann erst zu ihm entschlossen. Ohne mich steht Dir eine glänzende Laufbahn bevor. Du trittst gleich unmittelbar in eine der wenigen höchsten Richterstellen des Staates; Du erreichst das Ziel, nach dem Du so lange und so mühsam gestrebt hast, und begründest das Glück unserer Kinder. Mit mir hast Du das Alles auf einmal verloren. Ehrlos trittst Du in ein dunkles Dasein. Du mußt Deinen Namen verbergen, damit die Leutee nicht mit Fingern auf Dich zeigen: da geht der Mann, der an seinem eigenen Gerichte gestohlen hat. Du wirst nicht wissen, wie Du Dich und Deine Kinder ernähren sollst; durch Abschreiben wirst Du Dir ein kümmerliches Brod verdienen müssen, oder als verfolgter, geächteter Winkelconsulent. Und das Alles müßte ich mit ansehen, ohne es ändern zu können, ich, die alleinige Ursache, ich allein die Verbrecherin. Könnte ich das? Könnte ich Dich beschimpft, in niedrigen Diensten Dich gequält, mit den armen Kindern Dich darben sehen? Nein, Adalbert, laß mich gehen, so weit meine Füße mich tragen können, um Deinetwillen, um unserer Kinder willen, um meinetwillen. Ich allein bin die Schuldige, ich allein muß auf mich nehmen und tragen, was ich verdient habe, nicht Ihr Unschuldigen. Ihr dürft nichts mehr mit mir gemein haben. Du darfst nicht ferner mit der Diebin leben, und die Diebin darf Euch nicht wiedersehen. Ich habe auch das überlegt. Könnte eine Diebin in Deinen Gesellschaften die Hausfrau machen, den Ehrenplatz einnehmen? Ja, würde, wenn Du mich bei Dir behieltest, die Welt nicht von Dir glauben und sagen müssen: Er war doch der Dieb, und die Frau hat es auf sich nehmen müssen, damit er Präsident werden konnte? – Soll ich Dir noch mehr sagen, Adalbert, um Dich zu überzeugen, daß wir uns trennen müssen, daß ich Dich nie wieder sehen darf? Ich habe Dir das Alles auch in diesem Briefe geschrieben. Denn ich wollte und ich muß noch heute Nacht von hier fort. Gewähre es mir, als eine Wohlthat. Sollte ich noch einmal morgen Dich und die Kinder wiedersehen, ich hielte es nicht aus, das Herz würde mir brechen. Und so laß mich ziehen, mit Deiner Verzeihung, mit meinem Dank für alle Deine Liebe, mit meiner Liebe, die mein Herz ewig und unwandelbar für Euch Alle bewahren wird. Lebe wohl, Adalbert. Noch Eins. Wie haben noch fünfzehn Thaler baares Geld im Hause; ich habe davon zehn Thaler für meine Reise genommen und reiche damit aus. Morgen erhebst Du Deinen Gehalt.“

Sie hatte ihre Hand nicht aus der seinigen gewunden und sah ihn noch einmal an. Dann schritt sie zu der Thür. Zu den Kindern konnte sie den Blick nicht zurückwerfen. Er stand unbeweglich, vernichtet. Er war ohne einen festen Entschluß hergekommen. Er hatte sein Abschiedsgesuch fertig geschrieben; aber er hatte es nicht abgegeben und trug es noch bei sich in der Tasche. Er hatte seiner Gattin erklärt, daß sie ihn nicht verlassen dürfe, er hatte sie gebeten zu bleiben; aber er hatte ihre Hand so kalt gehalten, und als er den festen Entschluß in ihren Augen gelesen, hatte ein heller, leuchtender Blitz seine Augen durchzogen.

Wollen wir einen Stein auf ihn werfen? Auf den Mann der Ehre und des Ehrgeizes, der die Wahl hatte, die Ehre zu bewahren und das Ziel des Ehrgeizes zu fassen, oder für immer sich in den Abgrund eines elenden, schmachvollen Dunkels zu werfen? Was seine Frau ihm eben gesagt, er hatte es sich selbst den ganzen Nachmittag, den ganzen Abend sagen und hundert- und hundertmal wiederholen müssen. Sie hatte ihm das Bild der Zukunft nur in lebendigeren Farben vorgehalten. Er stand vernichtet. Aber nicht das Bild, das ihm so lebendig vorgehalten war, vernichtete ihn. Die Größe der Frau war es, die wahre, edle Seelengröße der Frau, die ihm jenes Bild so hatte vorzeichnen können, um ihn zur Annahme des größten und schwersten Opfers zu bewegen, das eine Frau bringen kann. Er hatte schwanken können, er war der Mann der Ehre, des Stolzes; aber eben indem er dies war, konnte er nicht klein, nicht unedel sein, und die wahre, edle Größe der Frau mußte auch die wahre Ehre, den echten Stolz des Mannes in ihm wecken. Er stürzte ihr nach und ergriff ihre beiden Hände. Er hielt sie zurück, fest.

„Mathilde, Du darfst nicht gehen.“

Sie zuckte doch heftig auf. Sie hatte das wohl nicht erwartet und hatte es nicht erwarten können. Die Röthe in seinem Gesichte, das Aufleuchten seiner Augen, sie waren ihr vorhin nicht entgangen, zu ihrer Beruhigung nicht; sie machten ihr den Kampf, die Erfüllung ihrer Pflicht leichter. Aber ihre Pflicht mußte sie auch jetzt erfüllen. Sie erkannte es klar, und sie sprach es ihm klar aus. Er hatte seine Arme um sie geschlungen.

„Mathilde, mein Weib, mein Engel, ich kann Dich nimmer verlassen. Ohne Dich bin ich ganz verloren, mit Dir ist mir das dunkelste Leben eine Seligkeit. Ich lasse Dich nicht, ich kann Dich nicht lassen.“

Sie sah ihn ruhig an. „Adalbert, willst Du mir aufrichtig eine einzige Frage beantworten?“

„Nenne sie.“

„Du kamst mit schwankendem Entschlusse hierher. Ist es so?“

„Ja, Mathilde, es ist so. Ich bekenne es und bereue es, ich werde es ewig bereuen. Nein, ich bereue es nicht. Es hebt Deine Schuld gegen mich auf, es macht mich zu dem Schuldigeren. Wie edel stehst Du gegen mich da! Nur Du hast mir zu verzeihen. Dein Bleiben ist meine Verzeihung.“

Sie schüttelte den Kopf. „Dich hat ein Moment der Aufregung ergriffen. Sie verblendet Dich. Dein klares, ruhiges Nachdenken hatte Dir einen andern Weg gezeigt.“

„Ich war verblendet, Mathilde, ich sehe jetzt klar. Ich war verblendet von eitlem Ehrgeize, von schnödem Hochmuthe. Deine Liebe, Dein edles Herz lassen es mich klar erkennen. Könnte ich unedel, könnte ich gemein sein, wo Du so edel, so erhaben bist? Vernichte mich nicht ganz, ich beschwöre Dich.“

Sie schüttelte schmerzlicher das schwere Haupt.

„Laß mich gehen, Adalbert, damit nicht lange, schwere, zu späte Reue über uns beide kommt. Verschaffe Dir Deinen klaren Blick wieder. Wirst Du, niedrig und verachtet, gemeine Arbeiten verrichten und dabei darben und die Deinigen darben sehen können, ohne zu klagen und zu murren? Und meinst Du, wenn ich nur eine einzige Klage von Dir und nur einen Ton des Unmuths, nur einen trüben Blick Deiner Augen gewahren müßte, meinst Du, ich, die Quelle Deines Unmuths, ich allein Dein Unglück, Deine Schuld, ich könnte es ertragen, ich müsse nicht vergehen?“

„Und meinst Du, Mathilde,“ sprach dagegen der Gatte, „wenn ich an Dich, die Verstoßene, die Verlassene denke, ich könne eine einzige frohe Stunde meines Lebens haben, ich müsse in dem Stolze und dem Glanze meiner Siellung nicht vergehen vor Scham

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