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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Sobald ein Schiff in erreichbarer Nähe von der Küste in Gefahr erscheint, kommt der Raketenapparat zur Anwendung. Gelingt es nicht beim ersten Wurf, die Leine nach dem Schiff zu führen, so wird sie sofort wieder eingeholt, zugleich auf die Erde in oblongen Buchten gelegt, so daß diese in derselben Richtung liegen, wie geworfen wird. Man nimmt an, daß ein solcher Raketenapparat in der Regel auf eine Entfernung von 400 Ellen ausreicht. Ist es gelungen, die Leine nach dem gestrandeten Schiff zu werfen, und ist sie von der Mannschaft ergriffen worden, so wird (nach Giersberg’s Darstellung der englischen Rettungsweise, die uns hier vor der Hand noch maßgebend ist) irgend ein bestimmtes Signal gegeben. In England tritt ein Mann der Bedienung seitwärts und schwenkt, also getrennt von den Anderen, seinen Hut, oder die Hand, oder eine Flagge. Bei Nacht wird eine Rakete von blauem Lichte oder ein Kanonenschuß abgefeuert oder ein Licht nach dem Deck des Wracks gezeigt und nach kurzer Zeit wieder verdeckt (Blickfeuer). Sobald dieses Signal am Ufer gegeben ist, wird das dem Lande zustehende Ende der Wurfleine an die oben unter 3) genannte Leine von 11/2 Zoll Stärke (das endlose Tau) befestigt, indem man sie etwa 2 Faden von dem durchscharten Block umschlingt. Hierauf giebt abermals einer der Leute am Ufer, getrennt von den Anderen, ein bestimmtes Signal. In England schwingt er bei Tage eine kleine rothe Flagge oder zeigt Nachts ein rothes Licht, welches er nach ungefähr einer Minute wieder bedeckt. Bei Anblick dieses Signals wird die Mannschaft eines Wracks, welche nicht ohne alle Kenntniß der Instructionen solcher Rettungsapparate herumfährt, die Wurf- oder Raketenleine anholen, bis sie das Tau ohne Ende und den daran befestigten geschwänzten Block erreicht hat; dann befestigt sie den Schwanz des Blocks an einen sicheren Theil des Schiffs, wirft die Wurfleine ab und giebt wo möglich ein ähnliches Signal für die Leute am Lande, die nun das Tau ohne Ende bemannen, das Verbindungstau etwa 3–4 Faden von seinem Ende um jenes schlingen und es durch das Tau ohne Ende an Bord befördern. Sobald die Mannschaft des Wracks dieses Tau ergriffen hat, befestigt sie es an dem Wrack ungefähr 18 Zoll über der Stelle, wo der Schwanz des Blocks sich befindet, und trennt hierauf das Verbindungstau von dem Tau ohne Ende. Nun giebt man abermals das obige Signal, worauf der sogenannte „Reisende“ (vergl. oben Nr. 5.) mittels des Taus ohne Ende an Bord gebracht wird. Ist dieser „Reisende“, eine gegen Abgleiten vom Seil geschützte Rolle, mit einer Vorrichtung verbunden, an der die „Schlinge“ (oben Nr. 4) befestigt wird, an Bord angekommen, so sind alle Vorbereitungen zur Rettung der Menschenleben vollendet. Man befestigt eine Person (stets wird mit den Frauen und Kindern der Anfang gemacht) in die Schlinge (auf unserm Bilde ein Korb) und giebt das Signal, die Leute am Ufer handhaben das Tau ohne Ende und holen so den ersten Geretteten an das Land. Sobald die Schlinge wieder frei ist, wird sie durch das Tau ohne Ende wieder an Bord gezogen, und so wiederholt sich die Manipulation, bis alle Mannschaft des Wracks am Lande ist. Das ist die Operation, wenn das Wrack an einer Stelle des Strandes liegt, wo das Boot wegen Untiefen oder zu starker Brandung nicht in Anwendung kommen kann. Wo dies nicht der Fall ist, tritt das Rettungsboot in seine rascher fördernde Wirksamkeit, für das Ankerleine und Kabelleine eine Sicherheitsthätigkeit entfalten, deren nähere Beschreibung uns hier zu weit führen würde.

Es ist natürlich, daß schon Tages- und Jahreszeit bedeutende Unterschiede in die Weise der Rettung bringen und daß das Maß der Mühen und Gefahren für die Rettungsmannschaft selbst hiernach ein sein verschiedenes ist. Trotz alledem leben an den deutschen Küsten allenthalben Männer, die der Gefahr so trotzig entgegentreten, wie die Leute auf Albions Kreidefelsen; man gebe ihnen nur erst die Mittel, um diesen edelsten Trotz zu bewähren.

Sollte dies dem großen Deutschland zu viel zugemuthet sein? Man prüfe!

Das ganze Unternehmen solcher Rettungsstationen theilt sich in zwei verschiedene Theile. Als erster wird die Herbeischaffung des Capitals, als zweiter die technische Ausführung und die Organisation der Verwaltung anzusehen sein.

Wir wenden uns zunächst dem Kostenanschlage und den Vorschlägen zu, welche wir auf Grund des englischen Materials zu machen haben.

Zur Herstellung eines Rettungsbootes von 26 Fuß Länge mit 30 Rudern, nach dem anerkannt besten Principe, nach welchem jetzt die meisten englischen Boote erbaut sind, sowie mit vollständigem Inventar, würde in England ein Kostenaufwand von 234 Pfd. Sterl. = 1404 Ld’or-Thlr. erforderlich sein.

Die Haltbarkeit, resp. Diensttüchtigkeit eines solchen Bootes wird durchschnittlich auf 30–40 Jahre berechnet. Da es nun rathsam erscheint, zunächst mit fünf Stationen den Anfang zu machen, nämlich am Weserleuchtthurm, auf Wangerooge, Norderney, Borkum, Helgoland, je 1 Boot, so würde zur Erbauung dieser fünf Boote die Summe von 7020 Ld’d’or-Thlr. erforderlich sein.

Zur Aufbewahrung der Boote kommt für jede Station ein Bergeschuppen etc. à. 500 Ld’or-Thlr. = 2500 Ld’or-Thlr., ein Wagen mit mechanischer Vorrichtung für den Transport der Boote, à. 300 Ld’or-Thlr. = 1500 Ld’or-Thlr.; also ist zur Errichtung der Boote an fünf Stationen ein Capital von 11,020 Ld’or-Thlr. zu beschaffen.

Die jährlichen Betriebs- und Verwaltungskosten würden sich ferner belaufen auf 1) für Unterhaltung und Reparatur der Boote, je 1 Boot 120 Ld’or-Thlr. = 600 Ld’or-Thlr. 2) für Verwaltungskosten, Gehalte à. 250 Ld’or-Thlr. = 1250 Ld’or-Thlr. 3) für Besoldung der Mannschaften à. 150 Ld’or-Thlr. = 750 Ld’or-Thlr. Summa 2600 Ld’or-Thlr., welche jährlich herbeizuschaffen wären und, zu 5%, capitalisirt, ein Vermögen von 52,000 Ld’or-Thlr. repräsentiren werden. Dazu die Anlagekosten, Raketenapparat etc. 13,000 Ld’or-Thlr., in Summa 65,000 Ld’or-Thlr.

Dies ist die Capitalsumme, welche nach Analogie des englischen Materials der anfänglichen Ausführung des Unternehmens zugewandt werden müßte. Es unterliegt indeß keinem Zweifel, daß, wenn zuvörderst nur ein Exemplar der in England patentirten Boote, sowie der übrigen Rettungsapparate nach Deutschland gebracht würde, die übrigen nach dem Muster um ein Bedeutendes wohlfeiler angefertigt werden könnten. Diese englischen Rettungsboote sind aus einem sehr zähen amerikanischen Holze gezimmert, was allerdings bei Weitem kostspieliger ist, als unser Eichen- oder Eschenholz, doch würde sich letzteres auch hinreichend als Baumaterial qualificiren. Nach genau eingezogenen Erkundigungen würde man hierorts für etwa die Hälfte des englischen Preises ein solches Boot vollständig herstellen könnten. (Auch würde es ganz in der Ordnung sein, eine Probe mit dem vielbesprochenen ganz neuen Rettungsboote unsers „deutschen Erfinders“, Wilhelm Bauers, für diese Nordsee-Stationen zu veranstalten.)

Wenn auch ein Maßstab der in England zur Unterhaltung und Erweiterung des Institutes stattfindenden Betheiligung in einmaligen und jahrlich wiederkehrenden Spenden sich nicht unmittelbar auf Deutschland anwenden läßt, so darf doch nicht übersehen werden, daß in Deutschland, bei gleicher Nothwendigkeit der Einführung von Rettungsstationen, der Ausdehnung nach nur ein Verhältniß von etwa 100 zu 10 stattfindet. Es würden also von der gesammten deutschen Nation verhältnißmäßig weit geringere Opfer erheischt werden, als es bei der englischen erforderlich ist; hinwiederum, was dem ganzen Volke ein Leichtes sein wird, würde für einzelne Staaten eine drückende Last werden. Wenn aber die Nation die Sache in die Hand nimmt, so wird und muß sie nicht nur als eine deutsch-nationale angefaßt, sondern auch durchgeführt werden, um gleich vom Anfang wie aus einem Gusse in Einrichtung und Verwaltung als ein einheitliches Werk des deutschen Volkes zu erstehen.

So würde denn zunächst in einer der größeren Seestädte ein Hauptcomité sich bilden müssen, welches für die Errichtung von Comités in den übrigen Städten Deutschlands in der Weise Sorge trüge, daß an die Spitze derselben womöglich öffentiche Personen träten. Dadurch würde dem Publicum am besten Die Garantie der bezweckten Verwendung der Gelder geboten sein.

Wird auf diese Weise der Wohlthätigkeitssinn aller Deutschen herangezogen, so dürfte auch eine Betheiligung der Deutschen in England, Amerika und anderwärts jenseits der Meere bei einem Unternehmen nicht ausbleiben, welches längst eine Pflicht der deutschen Humanität gewesen wäre.

Möchten tiese Worte dazu beitragen, die Sympathie aller Deutschen einer solchen Anstalt zuzuwenden, und möchte die Sache überall diejenige Würdigung finden, welche sie als deutsche zu finden verdient!



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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_814.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)