Seite:Die Gartenlaube (1861) 808.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

hier sein muß; komme ich zu nichts Rechtem in diesem Kriege, so nehme ich gleich nach dem Kriege den Abschied und gehe Kohl zu pflanzen. Ich habe so viel Ehre, wie alle die, die besser geachtet werden als ich, und muß hinter der Mauer sitzen!“

Endlich ging sein Herzenswunsch in Erfüllung. – „Mein Gebet ist erhört,“ schreibt er an Gleim aus Leipzig den 2. Mai 1758, „wir marschiren den 11. hujus hier aus, zum Corps des Prinzen Heinrich. Mir ist, als wenn ich im Himmel wäre, und ich bin nun mit meinem Schicksale, das mich durch die Versetzung aus der Potsdamschen Garnison geführt hat, sehr zufrieden. Ich glaube zwar nicht, daß ich bleiben werde, indessen ist es doch möglich. In diesem Falle geben Sie doch die 200 Thaler, die über 1000 sind, an Herrn Ramler und Lessing, jedem die Hälfte. Oder vielmehr geben Sie sie ihnen gleich, sie sollen sie mir einmal, im Fall ich lebe, wiedergeben, wenn sie recht reich geworden sind. Ja, geben Sie sie ihnen jetzt gleich; ich habe genug, wenn ich tausend Thaler behalte. Die tausend Thaler schicken Sie, wofern ich sterben oder todtgeschossen werden sollte, an meine Schwester, verwittwete Kleist, geborne Kleist, zu Cunitz über Stargard und Neu-Stettin.“

Auf dem Marsche nach Hof dichtete Kleist seine berühmte „Hymne“, die er, wie er selbst sagte, seinen Soldaten zu verdanken hatte. Diese pflegten nämlich jeden Morgen, ehe sie ihre Lieder zum Lobe des großen Friedrich anstimmten, ein geistliches Lied zu singen. Kleist wurde von dem schlichten Gesange der dem Tode entgegenziehenden Krieger so tief ergriffen, daß ihm die Thränen in die Augen traten. Um sie nicht sehen zu lassen, eilte er voraus und dichtete, indem er der aufgehenden Sonne entgegenritt, das bekannte Lied:

Groß ist der Herr! die Himmel ohne Zahl
Sind Säle seiner Burg;
Sein Wagen Sturm und donnernde Gewölk’
Und Blitze sein Gespann.
Die Morgenröth’ ist nur der Wiederschein
Von seines Kleides Saum;
Und gegen seinen Glanz ist Dämmerung
Der Sonne flammend Licht.

Aus der kriegerischen Stimmung jener Tage ging auch das Gedicht „Cissides und Paches“ hervor, in welchem er den Muth und die Tapferkeit zweier edler Helden verherrlichte. Während er aber den Musen huldigte, wurde Friedrich der Große von den Oesterreichern unter Daun bei Hochkirch überfallen. Zu anschaulicher Weise schildert Kleist die Schreckensnacht, indem er seinen Bericht mit den Worten schließt: „Geduld, ihr stolzen Sieger! ihr sollt bezahlt werden; Alles ist bei uns bis zur Raserei aufgebracht.“ Er selbst theilte gewissermaßen das Schicksal seines angebeteten Königs; die Russen waren auf seinem Gute gewesen und hatten, nach ihrer gewohnten Weise, ihm Alles genommen. „Nun bin ich,“ schreibt er an Gleim, „mit meinen armen Bauern und Geschwistern ganz ruinirt. Ich habe immer gedacht, noch einmal zu Hause zu sterben, wenn ich’s im Krieg nicht würde, aber nun –“

Bald fand Kleist jedoch die Gelegenheit, sich an dem übermüthigen Feinde zu rächen und seine Tapferkeit zu beweisen. Mit seinem Bataillon zur Deckung des Dorfes Plauen gegen die vordrängenden Oesterreicher commandirt, fügte er den Gegnern sehr erhebliche Verluste zu und führte seinen Auftrag in einer Weise aus, die ihm die Anerkennung seiner Vorgesetzten und selbst die Friedrichs des Großen erwarb. Sein Haß gegen die Russen wurde noch durch die unmenschliche Behandlung gesteigert, die sein nächster Verwandter von ihnen erfuhr. „Die Russen,“ meldet er tief betrübt, „haben meiner alten Mutter Bruder, einen ehrwürdigen Greis, Namens Manteuffel, mit mehr als dreißig Wunden auf seinem Gute ermordet und sein Haus geplündert. Ein sehr trauriger Fall für mich. Er war Einer von Denen, die ich von meiner ganzen Familie am meisten verehrt habe; er war die Redlichkeit und der Verstand selber und die Zuflucht der Armen in der ganzen Gegend. Er hatte ein schneeweißes Haupt und ein so ehrwürdiges Ansehen, daß ein Wolf ihn respectirt hätte, nur kein Russe. Ich kann mich der Thränen nicht enthalten, wenn ich an ihn denke.“

Mit Freude begrüßte er daher den Tag der Schlacht, wo ihm die Gelegenheit geboten wurde, sich an dem grausamen Feinde zu rächen und unter den Augen seines angebeteten Monarchen auszuzeichnen. Kleist stürmte mit Todesverachtung gegen die Batterien der Russen bei Kunnersdorf; er achtete nicht die Wunde an seinem rechten Arm und focht mit der linken Hand. Ein Grenadierbataillon, das sich ihm entgegenstellte, wurde zu Boden geschlagen. Hoch zu Pferde führte er die tapfere Schaar gegen die vierte Batterie, nachdem er drei bereits erobert hatte. Er selbst nahm den Fahnenjunker beim Arme, der schon drei gewonnene Standarten trug, und drang gegen die Feuerschlünde vor, die Tod und Verderben ihm entgegenschleuderten. Eine Musketenkugel traf ihn, aber mit jeder Wunde verdoppelte sich sein Siegeseifer. Nur wenige Schritte von dem ersehnten Ziele entfernt, zerschmetterte ein Kartätschenschuß sein rechtes Bein, so daß er sogleich vom Pferde sank. Die Seinigen eilten ihm zu Hülfe, er aber wies sie mit dem Rufe zurück: „Kinder, verlaßt Euern König nicht!“

Zwei seiner Krieger trugen ihn endlich aus dem Schlachtgetümmel und übergaben ihn einem Wundarzt; eben beschäftigt, ihm das Bein zu verbinden, ward dieser selbst durch den Kopf geschossen und fiel todt neben dem verwundeten Kleist zu Boden. Ein Trupp plündernder Kosaken fand ihn in diesem elenden Zustande; beutegierig warfen sie sich über den Unglücklichen, dem sie alle seine Kleider, selbst das Hemde raubten. Sie hätten ihn getödtet, wenn sie ihn nicht für einen Polen gehalten hätten, da er sie in dieser Sprache, die er von Jugend auf kannte, anredete. So begnügten sie sich nur, den Ausgeplünderten in einen nahen Sumpf zu werfen, worin er einige Stunden ohne Bewußtsein lag. Vorüberziehende russische Husaren hatten Mitleid mit dem Ohnmächtigen, zogen ihn in’s Trockene, bereiteten ihm auf Stroh neben ihrem Wachtfeuer ein Lager und erquickten den Verschmachtenden mit Brod und Wasser. Als sie am nächsten Morgen ihn verlassen mußten, bedeckten sie ihn noch mit einem warmen Mantel und beschenkten ihn mit etwas Gelde. Aber ein zweiter Kosakenhaufe plünderte ihn von Neuem aus und ließ ihm nichts als das nackte Leben. –

Von Schmerzen gebeugt, ohne Schutz und Hülfe lag Kleist mehrere Stunden am Wege, bis er einen russischen Officier, von Stackelberg, erblickte und anrief, indem er diesem seinen Rang zu erkennen gab. Der edle Feind ließ ihn sogleich zu Wagen nach Frankfurt an der Oder bringen, wo er zum ersten Male ordentlich verbunden wurde. Auf die Bitte des dortigen Professors Nicolai wurde der Verwundete in dessen Haus gebracht, wo er zwar die sorgfältigste Pflege genoß, aber an Erschöpfung und Blutverlust in der Nacht vom 22. zum 23. August 1759 starb. – Seine Leiche wurde von den feindlichen Officieren und den Professoren der Universität zu Grabe begleitet. Als der Sarg aufgehoben wurde, fehlte der Degen, den Kleist so muthvoll getragen. Herr von Stackelberg bemerkte den Mangel und gab seinen eigenen Degen mit den Worten: „Nein, ein solcher Krieger darf nicht ohne dieses Ehrenzeichen beerdigt werden!“ – Ein Denkmal, das ihm die Freimaurer-Loge in Frankfurt a. d. O. setzte, bezeichnet die geweihte Stätte, wo der Dichter des Frühlings ruht. Den Schmerz über seinen Verlust drückt aber am besten der berühmte Lessing in einem Briefe an Gleim aus: „Ach, liebster Freund, es ist leider wahr. Er ist todt. Wir haben ihn gehabt. Er ist in dem Hause und in den Armen des Professors Nicolai gestorben. Er ist beständig, auch unter den größten Schmerzen, gelassen und heiter gewesen. Er hat sehr verlangt, seine Freunde noch zu sehen. Wäre es doch möglich gewesen! Meine Traurigkeit über diesen Fall ist eine sehr wilde Traurigkeit. Ich verlange zwar nicht, daß die Kugeln einen andern Weg nehmen sollen, weil ein ehrlicher Mann dasteht. Aber ich verlange, daß der ehrliche Mann – sehen Sie, manchmal verleitet mich der Schmerz, auf den Mann zu zürnen, den er angeht. Er hatte schon drei, vier Wunden; warum ging er nicht? Es haben sich Generale mit wenigern und kleinern Wunden unschimpflich bei Seite gemacht. Er hat sterben wollen. Vergeben Sie mir, wenn ich ihm zu viel thue. Er wäre auch an der letzten Wunde nicht gestorben, sagt man; aber er ist versäumt worden. Versäumt worden! Ich weiß nicht, gegen wen ich rasen soll. Die Elenden, die ihn versäumt haben!“

Max Ring.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 808. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_808.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)