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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


ist sein freier Blick über die speciellen Interessen Ungarns hinaus. Von allgemeiner gediegener Bildung, hat er bereits bei seinem ersten Auftreten gegenüber den aristokratischen und particularistischen Bestrebungen der damaligen Parteien für Aufhebung der Steuerfreiheit des Adels, für die Befreiung der Bauern von den drückenden Frohnen, für Gleichstellung aller Bürger vor dem Gesetze gesprochen; seit 1847 fanden seine unausgesetzten Bemühungen allgemeinen Erfolg und praktischen Ausdruck in dem von ihm entworfenen, aus sieben Punkten bestehenden Programm der liberalen Partei, in dem sich unter andern auch vollständige Preßfreiheit und Förderung der Volkserziehung finden. In der letzteren namentlich und in der Culturentwickelung überhaupt erkennt er das Fundament von Ungarns Zukunft, und erst in den jüngsten Tagen, unter dem schweren Druck der gegenwärtigen Verhältnisse, hat er eine ernste Aufforderung an seine Landsleute gerichtet, in der er ihnen, und vor Allen auch den Frauen, den Werth der Wissenschaft und tüchtiger Bildung, der in vielen, selbst höheren Kreisen leider noch nicht genügend erkannt werde, eindringlich an’s Herz legt, wahrlich ein schönes Document für den Werth des Mannes selbst.

Im Uebrigen kann Déak kaum eine besonders glänzende Begabung zugesprochen werden, und seine Landsleute überschätzen ihn ohne Zweifel (wie so Vieles, was Ungarn gehört). Klarer, ruhiger Blick, scharfe Beobachtungsgabe, logische, wenn auch etwas zu breit ausgeführte Deduktion, Schlagfertigkeit, vor Allem aber eiserne Consequenz und unerschütterliche Treue des Charakters zeichnen ihn als Parteiführer und als Redner aus; dagegen mangelt ihm Fülle der Anschauungen, Schwung der Phantasie und jene Formvollendung, welche neben dem „pectus“, allerdings dem ersten Erforderniß des Redners, erst den Koryphäen der Tribüne bildet. Wo es sich um Abwägung des Für und Wider, des Gesetzlichen und Ungesetzlichen, des Zweckmäßigen und erreichbar Möglichen handelt, da ist er an seinem Platze, und sein berühmter Adreßentwurf und die denselben begründenden Reden können als Meisterstücke bezeichnet und den classischen Reden eines Brougham und Peel auf diesem Gebiete an die Seite gestellt werden. Déak gehört zu jener Classe von Rednern, die leichter zu überzeugen, als zu überreden im Stande sind; hinreißen oder gar rühren wird er wohl nie; er bildet auch in dieser Beziehung den schärfsten Gegensatz zu Kossuth. Seine Ausdrucksweise ist weniger gewählt als treffend, seine Gesticulationen sind mehr energisch als anmuthig, wie im Allgemeinen die ungarischen Redner, die im gewöhnlichen Tagesanzuge, Ueberzieher und Hut neben sich, vom Platze aus sprechen; nicht den gewinnenden Eindruck machen, den wir von unseren deutschen Rednern verlangen; selbst der sonst formvollendete Präsident Ghyzy ist weit entfernt von dem Aplomb eines Gagern oder der Eleganz eines Simson. Déak selbst könnte von deutschen Notabilitäten noch am ehesten mit Bincke verglichen werden, mit dem er auch das fast eigensinnige Beharren am „Rechtsboden“ theilt, und dem er auch an Schlagfertigkeit gleichkommt; dagegen erreicht er ihn allerdings nicht in Bezug auf die bereits erwähnte Fülle der Anschauungen, die den deutschen Nestor auf allen Gebieten zu Hause und in allen Sätteln gerecht zu sein befähigt; eben so fehlt ihm (und zwar zu seinem Vortheile) jener Uebermuth und die entsetzliche Nonchalance und Effecthascherei, die den edlen Freiherrn selbst die Rolle des Clown nicht verschmähen läßt, um nur Erfolg zu erzielen. Déak ist auch als Redner, wie in seinem ganzen Privatleben, von außerordentlicher Anspruchslosigkeit und Einfachheit, genießt aber eben deshalb eine unbegrenzte Popularität, die sich oft in rührenden Zügen kund giebt. Sein Aeußeres würde eher auf einen behäbigen Gutsbesitzer, mit einem Anflug an den „jovialen Lebemann“, als auf einen scharfsinnigen Advocaten und gewiegten Staatsmann schließen lassen; die meisten bisher von ihm vorhandenen Portraits sind nicht getroffen, wir glauben deshalb mit unserer sehr ähnlichen Abbildung den Lesern der Gartenlaube einen Dienst zu erweisen.

Ob Déak noch eine große Rolle in dem bevorstehenden Drama der Begebenheiten zugedacht ist, möchte ich bezweifeln; er hat weder das Zeug zu einem Minister, noch zu einem „berühmten Manne“. Wenn er seinen Zweck, Ungarns Rechte zu erkämpfen, erreichen sollte, so würde er vermuthlich in die Stille des Privatlebens zurücktreten, aber ihn freilich dann auch der schönste Lohn begleiten, der ewige Dank und die Anerkennung seiner Nation.




Der Dichter des Frühlings.

Auf seinem Krankenlager in Potsdam lag ein preußischer Officier, Namens Ewald von Kleist. Vor einigen Tagen hatte er aus einer an sich geringfügigen Ursache einen Zweikampf mit einem seiner Cameraden bestanden und dabei eine schwere Wunde am Arme erhalten, die sich unter der Behandlung eines rohen Feldscheers noch verschlimmerte. Gepeinigt von seinen Schmerzen, mißmuthig über die auszustehende Langeweile, da ihm jede anstrengende Beschäftigung untersagt war, ruhte er entkräftet auf dem Bette, den ihm eigenthümlichen hypochondrischen Gedanken nachhängend. Da klopfte es zuerst leise, dann lauter an der Thür; auf das schwache „Herein!“ des Kranken erschien ein junger Mann mir freundlichem Gesicht, sanften, theilnehmenden Mienen und herzgewinnendem Gruß. Der Fremde trug einen braunen Rock mit einfacher Stickerei, seidene Beinkleider und dergleichen schwarze Strümpfe. Das sorgfältig gepuderte Haar bildete zu beiden Seiten zwei zierliche Locken und endete in einen Haarbeutel. Haltung und Kleidung verrieth den angehenden Geistlichen oder jungen Gelehrten, obgleich der frische Glanz der munteren Augen und ein schalkhafter Zug um die rothen Lippen nichts weniger als einen Pedanten bekundeten, sondern weit eher einen heiteren Geist und einen fröhlichen Gesellschafter erkennen ließen.

Der junge Mann stellte sich selbst dem Officier als Candidat Gleim und Erzieher im Hause des Obristen von Schulze vor; sein Kommen entschuldigte er mit der Theilnahme, welche die Familie des Obersten und besonders die Damen an dem Schicksale des Verwundeten nahmen. Er selbst verschwieg nicht das Interesse, welches ihm ein Lieutenant einflößen mußte, der nach Allem, was er über ihn gehört, eine Ausnahme unter seinen damaligen Standesgenossen bildete, indem Kleist eine wirklich gelehrte Bildung genossen, mehrere Jahre die Universität in Königsberg besucht, sich ungewöhnlicke Kenntnisse im Lateinischen und Griechischen erworben und auch für die damals erst aufblühende deutsche Poesie eine große Vorliebe gezeigt hatte, letzterer Umstand trug am meisten dazu bei, den Candidaten Gleim für den verwundeten Officier einzunehmen, da er selbst in seinen Mußestunden den Musen huldigte und allerliebste, scherzhafte Liedchen sang, die ihm die Anerkennung seiner Freunde erwarben. Außerdem war Gleim ein echter Patriot und ein begeisterter Verehrer des großen Friedrich, der damals in Preußen regierte und die Welt mit Bewunderung erfüllte.

Kein Wunder, daß die beiden jungen Männer trotz der Verschiedenheit ihrer Stellung schnell mit einander bekannt und befreundet wurden. Der Kranke beklagte sich besonders darüber, daß er nicht lesen dürfe, und nahm daher hocherfreut das Anerbieten des Cantidaten an, ihm vorzulesen.

„Soll ich,“ fragte Gleim, „Ihnen aus dem Cäsar vorlesen, den ich hier auf dem Tische aufgeschlagen finde?“

„Lassen wir den Cäsar,“ entgegnete der Verwundete. „Sie würden mich verbinden, wenn Sie mir ein Liedchen vorlesen wollten, das Sie selbst gedichtet. Ich habe so viel Gutes von Ihrem Talent gehört, daß ich begierig bin, eine Probe zu hören. – Sie müßten,“ setzte Kleist scherzhaft hinzu, „kein echter Dichter sein, wenn Sie nicht ein kleines Manuscript in der Tasche trügen, oder Ihre Gedichte auswendig wüßten.“

„Wo denken Sie hin!“ rief der muntere Gleim. „Ich werde mich hüten, Ihre Leiden durch meine schlechten Verse noch zu vermehren.“

„Im Gegentheil. Apollo ist nicht nur der Gott der Lieder, sondern auch der Vater Aesculap’s, der alle Schmerzen heilt. Vielleicht gelingt es Ihnen besser, als meinem Arzt, unter dessen Behandlung mein Zustand sich eher verschlimmert, als verbessert hat.“

„Wenn dies mir glücken sollte, so wäre ich hinlänglich belohnt. Man heilt das Fieber mit Spinnweben und Sägespänen; vielleicht wohnt meinen Versen eine ähnliche medicinische Kraft bei. Darum will ich es auf einen Versuch ankommen lassen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_806.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)