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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

den Vorfall mit großer Lebhaftigkeit besprechen. Noch eifriger unterhielt man sich von einer Begebenheit, die sich an einem früheren Empfangtage zugetragen hat. Ein Lieutenant hat eine Dame von verdächtigem Aeußern eingeführt; da aber auch die Frauen und Töchter der Officiere in die „Messe“ kommen, so geht eine sehr strenge Bestimmung dahin, daß kein Officier das Recht habe, Frauen von unanständigem Lebenswandel mit in die „Messe“ zu bringen. Kaum war die Verdächtige in den Saal getreten, als unter den Frauen ein Geflüster entstand, das immer lebhafter wurde und sich immer weiter verbreitete, den männlichen Theil der Gesellschaft ergriff und endlich bis zum Obristlieutenant drang. So schonend als möglich für die Fremde schritt der Präsident der Tafel zur Untersuchung des Gegenstandes.

„Kennen Sie die Dame, welche Sie hier eingeführt haben, genau?“ frug er den Lieutenant, den er abseits führte.

„Gewiß! mein Obristlieutenant!“ erwiderte der Angeredete.

„Was ist und was treibt sie?“

„Sie steht an der Spitze einer Modehandlung der rue des martyrs!“

„Ihr Name?“

„Madame S.!“

„Ganz recht! Wir wollen sehen …“

Den andern Tag ließ der Obristlieutenaut die nöthigen Nachforschungen anstellen und erfuhr, daß Madame S. durchaus nicht das war, was man eine anständige Dame nennt. Der Lieutenant mußte aus dem Regimente und aus der Garde fort.

Mir machten all diese Leute, deren regste Theilnahme von diesen und andern ähnlichen Dingen in Anspruch genommen wurde, den Eindruck von Unbeschäftigten, die sich eben wegen ihrer Unthätigkeit und Zwecklosigkeit von dem Geringfügigsten, Unbedeutendsten einnehmen und anregen lassen. Und in der That – ist ein Soldat in Friedenszeiten nicht ein Mann ohne Beruf? Bleibt die Zeit, welche das Wachebeziehen, das Exerciren und Manövriren übrig läßt, nicht unausgefüllt? unausgefüllt von dem eigentlichen Berufe wenigstens? So erklärte ich mir diese kindische Ueberschätzung geringfügiger Gegenstände, diese ernste Behandlung von unwichtigen Dingen, dieses Hochanschlagen von Vorfällen und Aeußerungen, die so oft solcher Beachtung nicht werth sind.

Nicht ein Wort, das irgend auf Politik Bezug haben konnte, bekam ich während der Stunden, die ich in der „Messe“ zubrachte, zu hören; und wären mir einige der Anwesenden und ihre Ueberzeugungen nicht näher bekannt gewesen, ich hätte gedacht, was viele Andere denken und sagen, daß diese Menschen auf nichts weiter, als auf ihr Vorrücken, auf ihr Glückmachen und Wohlleben bedacht und bereit sind, wie die Landsknechte, wie die Condottieri, dem Meistbietenden zu dienen. Das verhält sich aber nicht so.

Die Ueberzeugung der Franzosen und folglich auch der französischen Officiere wird vermöge der äußeren Einwirkungen heftig und zahm, verwegen und zaghaft, und die heute schläft und todt scheint, kann morgen erwachen und gewaltig werden. Diese überraschenden Ab- und Zunahmen hat man bereits gesehen, und wer Frankreich beherrscht, muß sie in Rechnung bringen.

Sprach man nicht von Politik, so sprach man um so mehr von Krieg: Alle schienen an einen nahen Krieg zwischen Frankreich und irgend einer Macht fest zu glauben und zeigten sich mit naiver Offenheit über diese Aussicht auf bevorstehende Feldzüge hocherfreut.

„Krieg mit Deutschland oder Oesterreich, mit England oder Rußland, das gilt mir gleich, nur Krieg!“ sagte ein Hauptmann, der bei der Einnahme des Malakoff sich das Kreuz der Ehrenlegion gewonnen hatte.

„Natürlich!“ versetzte ein anderer Hauptmann, „uns gilt es gleich, ob wir über den Canal, über den Rhein oder den Mincio marschiren! den Kaiser lassen wir dafür sorgen, daß er den Krieg unter günstigen Umständen anfängt und fortsetzt!“

Von Persönlichkeiten waren nur zwei in der ganzen Gesellschaft, welche mir einiges Interesse einflößten. Den Einen sah ich an einem Ende der Tafel mit den Officierskindern, die er sorgsam und liebevoll überwachte, denen er ganz anzugehören schien, ohne sich um das, was außerhalb dieses kleinen Kreises vorging, weiter zu kümmern: es ist der Erzieher dieser Jungen, die, Dank den Lehren und Eindrücken, die sie empfangen, nichts verehren, nichts hochhalten, als das Militärwesen. Dem Meister, der solche Zöglinge bildet, beweist die ganze Gesellschaft ihre besondere Hochachtung.

Die andere Gestalt, die meine Aufmerksamkeit fesselte, wir ein Lieutenant, der in der Krim durch tiefen Schnee und feindliche Posten, ein Freiwilliger an der Spitze von Freiwilligen, eine halsbrecherische Recognoscirung vornahm, der allein mit erfrorenen Gliedern von dem Ausflug zurückgekehrt war und die verlangte Auskunft gebracht hatte. Nicht anders als mit Bewunderung sprechen sämmtliche Cameraden von ihm und seiner That. Er sieht blaß aus und ist schweigsam wie Cassius.

An die Empfangsäle stößt eine Bibliothek; ich sah mich in derselben um und konnte bemerken, daß der Büchersammlung von den Kriegsleuten wenig zugesetzt wird. – „Diese Herren lesen nur wenig!“ sagte mir ein junger Mann, der mit Ordnen der Schriften und Bücher in dem Saale beschäftigt war. Ich besah mir die Werke und fand neben Schriften, die auf das Kriegshandwerk Bezug haben, manches Buch, das anderwärts schwerlich von einer Regierung den Officieren zur Verfügung gestellt würde; ich fand Paul Louis Courrier, die Geschichte der Revolution von Thiers, die Girondisten von Lamartine, Worte eines Gläubigen von Lamennais, die Werke von Chateaubriand, Geschichte der 10 Jahre von Louis Blanc u. dergl. m. Diese Feuer zünden aber nicht, „denn diese Herren lesen nur wenig!“




Vom Hühnerhof.

Von Henriette v. Bissing.
Schluß

Was die Hennen unter dem Hühnervolke betrifft, so muß ich leider über sie das Urtheil fällen, daß sie nur als Mütter liebenswürdig, als unermüdliche und unerschöpfliche Eierlieferantinnen schätzbar sind. Als Gattinnen zeigen sie sich kaltherzig, launenhaft, anspruchsvoll und nicht selten kokett und leichtsinnig, im geselligen Verkehr mit ihren Gefährtinnen und allen Schwächeren neidisch, ruhmredig und zanksüchtig; und nur im vollkommen gesättigten Zustande setzen sie sich friedlich neben einander. Glücklicherweise sind indessen die Schwächen, die sie als Gattinnen entfalten, nicht unheilbar, wie ich dies später zeigen werde.

Im geselligen Verkehr beneiden sie sich unter einander um nicht weniger denn Alles: um das Futter, die Nester, den Platz auf der nächtlichen Hühnersteige, um den sie sich am Abend in der Regel so lange zanken und sich durch Beißen und Stoßen davon zu verdrängen suchen, bis die Müdigkeit oder der Drohlaut des Hahnes oder gar der Stock in einer drohenden Menschenhand sie bewältigt und zur Ruhe zwingt.

Nur als junge Backfische zeigen sie sich einigermaßen bescheiden und tragen ihre ersten Eier mit schweigender Aengstlichkeit zu Neste. Besäßen sie nun Verstand und Nachdenken, so würden sie dieses Verfahren für ihre ganze Lebenszeit fortsetzen und alsdann manche ruhige Stunde mehr genießen. Allein nur vom Instinct geleitet, fühlen sie sich kaum etwas kräftiger, so werden sie prahlerisch und verkünden nicht selten schon lange vorher dem ganzen Hofe, welch ein wichtiges Geschäft sie verrichten wollen. Mit halb klagend, halb ruhmredig klingendem Tone nähern sie sich auf Umwegen dem Neste und stellen sich, als wäre schon das Ersteigen desselben ein großes und schwieriges Unternehmen. Unterdessen ist sicher schon eine neidische Nebenbuhlerin mit mehr Eile und auf geradem Wege dort angelangt, denn jede Henne glaubt auf das Lieblingsnest ein ausschließliches Eigenthumsrecht zu besitzen. Nun entsteht alsbald ein lebhafter Zank und Streit, und diejenige, die das Nest zuerst occupirte, was in den meisten Fällen doch die ist, die augenblicklich von der Natur darauf hingewiesen, wird erst noch lange Zeit von der anderen durch lautes Gegacker gescholten und beunruhigt. Ihrerseits antwortet sie hierauf in derselben Weise, wenn aber jene ihr nachspringt und sie thätlich zu verdrängen sucht, bleibt ihr nichts Anderes übrig, als sich so tief als möglich

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