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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Wo sind sie denn – die Kolisch, die Becher, die Gritzner, die Maler und die Helden alle? warum zeigen sie sich denn jetzt nicht?“ hat er ausgerufen, als er auf den Kampf zu sprechen kam, den das Heer gegen Wien zu bestellen hatte. Du siehst, daß er Deinen Namen an der Spitze der Verhaßten genannt hat, wahrscheinlich weil Du es so ausnehmend gut verstanden hast, das Militär gegen Dich aufzubringen, weil Du die Armee am tiefsten beleidigt hast; ich vermag es nicht zu sagen, in welcher Weise er gegebenen Falls die Pflichten des Officiers mit denen des Mannes von Welt und des Freundes auszugleichen suchen möchte, und es bleibt daher auch zu bedenken, ob und wie Du Dich ihm darstellen sollst, oder ob es nicht räthlicher für Dich wäre, in Deiner Stube zurückgezogen unsichtbar zu bleiben.“

„An und für sich,“ entgegnete ich, „widerstrebt es meinem Wesen, vermauert zu bleiben; außerdem halte ich nichts für gefährlicher, als eine strenge Verborgenheit, in der das geringste Geräusch, jede Bewegung, das Zipfelchen eines Gewandes zum Verräther werden und den Verborgenen an’s Messer liefern kann. Meine Ansicht geht also dahin, daß ich, wie die anderen Hausgenossen, aber unter einem fremden Namen, vor Deinem militärischen Gaste erscheine.“

X., die Richtigkeit meiner Bemerkungen anerkennend, trat entschieden meiner Ansicht bei; es wurde eine Versammlung von all den jungen Leuten gehalten, die da aus- und eingingen und auf deren Gegenwart für den Abend zu rechnen war; es wurde ihnen der gefaßte Beschluß kundgethan und ihnen auf’s Nachdrücklichste eingeschärft, daß sie mich in Gesellschaft des Officiers um keine Welt anders als Dr. Bayer zu nennen hätten. So waren wir denn vollkommen vorbereitet, den Officier zu empfangen. Er kam gegen acht Uhr Abends und fand einen so munteren Kreis, als es der Druck der politischen Atmosphäre nur zuließ. Aus verschiedenen Gründen nenne ich von den anwesenden Gästen nur Moritz Hartmann, der während der ersten Octobertage mein unzertrennlicher Genosse geblieben und von mir in dem Hause meines Freundes eingeführt worden war. Zunächst ist er gegen jeden Schaden und sogar jede Unannehmlichkeit in Folge der Nennung seines Namens sicher gestellt, und dann spielt er eine hervorragende Rolle in der Scene, die vorzuführen ich im Begriffe stehe. Kurz nach der Ankunft des Officiers, kaum daß die herkömmlichen Vorstellungen stattgefunden hatten, wurden lange Wiener Pfeifen angebrannt. Das Spiel, für welches er sich aussprach, und das wir annahmen, war „halb Zwölf“. Obgleich mit den Karten eifrig beschäftigt, unterließen wir nicht, dem Tabak häufig zuzusprechen, von dem ein Berg auf einem Tische seitwärts aufgethürmt war.

Als meine Pfeife zu Ende geraucht war, ging ich an den Tabakvorrath heran, um auf’s Neue zu stopfen. Indeß war die Reihe an mich gekommen, dem „Bankier“ Rede zu stehen; da ich aber fehlte, rief Hartmann, in das Spiel verlieft und die erhaltene Weisung vergessend: „Kolisch, soll ich Ihre Karten aufnehmen?“ Wie von einem Pfeile getroffen fuhr ich zusammen, und den Blick abwechselnd auf den Officier und auf den Degen heftend, den er beim Eintritt in einen Winkel der Stube gestellt hatte, blieb ich sprachlos; Hartmann, noch immer nicht erkennend, welchen Irrthum er begangen, und in der Meinung, daß ich nicht hörte, wiederholte lauter und nachdrücklicher die Frage: „Kolisch! soll ich Ihre Karte aufnehmen?“ Ich beharrte in meinem Schweigen, unausgesetzt den Officier und den Degen im Auge, entschlossen, wenn es nöthig würde, zum Aeußersten zu schreiten, um mein Leben zu vertheidigen.

Nun wurde Hartmann, durch die Fußbewegung eines der Nebensitzenden erinnert, sich plötzlich seiner Unbedachtsamkeit bewußt. Entsetzen und Verzweiflung, so ergreifend, wie sie mir noch nie entgegengetreten, malten sich auf seinem todtenblassen Angesicht. Der Officier jedoch, welcher weder zu sehen noch zu hören schien, was um ihn her sich zutrug, blieb auf seinem Platze und beschäftigte sich sehr eifrig mit der „Bank“, die er übernommen hatte, und ich kehrte, nachdem ich meine Pfeife angebrannt hatte, ruhig auf meinen Platz zurück und fuhr fort, an dem Spiele Theil zu nehmen. Erst nach einer halben Stunde, während welcher ich über meine Lage reiflich nachzudenken mir angelegen sein ließ, schützte ich einen Grund vor und entfernte mich. Mir leuchtete die Nothwendigkeit ein, mich nach einem andern Aufenthalte umzusehen, um nicht einer offenbaren Todesgefahr ausgesetzt zu bleiben. Ich ging.

Es war eine fürchterliche Nacht; die Finsterniß klammerte sich an dem Himmel fest und erdrückte das Licht der Sterne; zitternd, als fürchtete er sich, schlüpfte der matte Schimmer der Laterne durch das Dunkel; der Regen goß in Strömen hernieder, von einem Winde gepeitscht, der mit eisigen Schauern daherbrauste; die Straßen waren menschenleer, nur hie und da kam ich auf meiner Wanderung nach einem Unterkommen an einem Bivouak böhmischer und kroatischer Soldaten vorüber, die ich an den Lauten erkannte, in welchen sie das Unwetter verwünschten, und die sich vergebens anstrengten, die Feuer zu unterhalten, an denen sie die erstarrten und durchnäßten Glieder wärmen könnten. Eines Wagens mich zu bedienen, war nicht möglich; denn ich mußte Vorsicht gebrauchen und eine scharfe Beobachtung anstellen, bevor ich in irgend eine Wohnung trat, um nicht den Sbirren in den Wurf zu kommen und selbst mich dem Verderben Preis zu geben. Ein Fiaker, den ich in der Ferne hätte müssen stehen lassen, konnte mich verrathen. So lief ich denn dahin durch die wilde, unheimliche Nacht, die ich mein lebelang sicher nicht vergessen werde, von Bekannten zu Bekannten, von Freunden zu Freunden, um ein Plätzchen zu finden, wo ich in Sicherheit bleiben könnte; aber umsonst –: überall drohten die Durchsuchuugen, man wußte es und man wies mich meines eigenen Heiles wegen mit Zittern zurück; mit überströmender Angst, hie und da mit Weinen drängte man mich zu rascher Entfernung; es blieb mir nichts Anderes übrig, als mich der Gefahr zu überlassen, der ich zu entrinnen suchte; mit der Resignation der Verzweiflung rief ich mir selber zu: nun komme, was da wolle! und so kehrte ich, von dem Laufe ermüdet, von dem Regen bis auf die Haut durchnäßt, ein Selbstaufgegebener, in die Wohnung meines Freundes X. zurück.

Ich fand die Gesellschaft, welche ich verlassen hatte, noch beisammen und guter Dinge beim Abendessen. Ein freudloser Gast nahm ich an dem Tische Platz, und in die Gespräche mich mischend, verbarg ich, so gut ich konnte, die innere Bewegung. Nach beendetem Abendbrod empfahl sich der Officier und versprach, den nächsten Tag wiederzukommen. Er reichte mir die Hand, als er ging. Er kam den nächsten Tag und auch die folgenden Tage und reichte mir die Hand, so oft er kam, so oft er ging. Niemals sprach er meinen Namen aus, eben so wenig den echten, als den falschen. Vier Tage nach seinem ersten Besuche erbot er sich, einem aus unserm Kreise, dessen Aeußeres sich dem meinigen am meisten näherte, eine Geleitkarte vom Kriegsrath zu verschaffen, welche es demselben möglich machen würde, eine Geschäftsreise an die preußisch-schlesische Grenze vorzunehmen. Es versteht sich von selbst, daß unser Hausgenosse das Anerbieten annahm. Mit den Worten: „Gebt wohl Acht, daß keine Ungeschicklickkeit vorfällt,“ händigte der Officier meinem Freunde X. den Geleitbrief ein, dem ich es danke, daß ich aus der Stadt und dann über die Grenzen Oesterreichs glücklich entkam.

Der zarte Retter meines Lebens hatte mich, wenn auch nicht seinem Stande, so doch seinen Standesgenossen näher gebracht, und es erklärt sich wohl leicht, daß ich seit dieser Begebenheit meine schroffe Antipathie gegen die Uniform aufgab und Verbindungen mit Kriegsleuten anknüpfte, denen ich früher, da mir die Uniform den Mann bedeutete, aus dem Wege gegangen wäre.

Einer meiner militärischen Freunde zu Paris führte mich in eine „Messe“. „La messe“ nennt man das Speisehaus, wo sich die Officiere der kaiserlichen Garde zu gemeinsamem Genusse des Morgen- und Mittagbrodes versammeln. Die kaiserliche Garde hat diese Einrichtung, wie so manche Vortheile, vor den andern Truppen voraus. Jedes Regiment hat seine besondere „Messe“. Die Einrichtung ist in sofern demokratisch, als sich alle militärischen Abstufungen vom Unterlieutenant bis hinauf zum Obristlieutenant, der an der langen, langen Tafel den Vorsitz führt, zusammen finden und einige Stunden auf gleichem Fuße mit einander leben und essen. Ich würde nicht zu unterscheiden gewußt haben, wer von den anwesenden Officieren höher oder niedriger steht, wenn es die äußeren Abzeichen nicht verrathen hätten, so ungezwungen und frei von jeder Pedanterie ist ihr Verkehr unter einander, so glatt und leicht ihr Benehmen. Man erwarte nicht, daß ich viel Rühmens von den französischen Soldaten mache, obgleich ihre Milde und Menschlichkeit sogar in feindlichen Ländern gepriesen wird; denn ich habe sie am 2., 3. und 4. December des Jahres 1851 gesehen, wie sie auf Befehl Ludwig Napoleon’s in den Straßen von Paris auf Wehrlose und Unbewaffnete schossen und hieben, um die Gesellschaft, die Familie und die Religion zu retten; aber einen Unterschied zwischen dem französischen Soldaten

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