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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

des kalten Wassers (in Gestalt von Sitzbädern, Uebergießungen, Abreibungen etc.), sowie der Genuß spirituöser und nervenerregender Getränke (starken Kaffees und Thees). Sodann ist die Kräftigung des Nervensystems durch richtige Ernährung seiner Masse mit Hülfe von passender reizloser, kräftiger Nahrung (ganz besonders durch fette Milch), reiner Luft und Wärme (warmer Bäder) zu erstreben. Was die Körperbewegung betrifft, so kann eine angestrengtere recht leicht schaden, wenn Patient schwach von Musculatur und arm an Blute ist; ebenso verlangt auch die geistige Arbeit eine zweckmäßige Regulirung, und diese versteht nur der Arzt nach dem betreffenden Krankheitszustande einzurichten. Vor allen Dingen suche sich Patient aber aus seinem Trübsinn zu reißen und eine heitere Gemüthsstimmung zu gewinnen.

Den zu häufigen nächtlichen Störungen läßt sich dadurch begegnen, daß man nicht spät Abends, sondern bei Zeiten ißt und trinkt, nur gehörig müde und schläfrig, aber wo möglich zeitig in’s Bette geht, auf hartem, kühlem Lager (mit fester Matratze oder Strohsack und leichter Decke) und nicht auf dem Rücken schläft, das Schlafzimmer den Tag über ordentlich lüftet, zeitig und gleich nach dem Erwachen aufsteht oder sich gewöhnt (durch Gewecktwerden), in der Nacht zu bestimmter Zeit aufzuwachen, um zu uriniren. Der Verdauungsproceß muß stets in Ordnung erhalten werden.

Und nun noch die Bitte: man lasse mich doch endlich einmal mit Anfragen nach dem Laurentius’schen Heilverfahren und mit dem Verlangen nach ärztlichem Rathe auf bloße briefliche Mittheilungen hin in Ruhe.

Bock.




Pariser Bilder und Geschichten.

Von Sigmund Kolisch.
La Messe.

Vielleicht würde Europa gerettet, aus der lähmenden Bedrängniß durch gewaltsam erzeugte Verhältnisse gerissen, zum freien Gebrauch seiner niedergehaltenen höheren Kräfte gebracht, wenn es ihm gelänge, den fürchterlichen Druck der stehenden Heere von seinem Herzen und seinem Gehirn zu schütteln und der absoluten Herrschaft der Disciplin über nahe an drei Millionen kräftiger bewaffneter Menschen ein Ende zu machen. Wer das soldatische Fühlen und Denken unseres Welttheils aufheben würde, wäre vielleicht dessen Erlöser. Das Christenthum, das die Welt erobert hat, weit entfernt, dieses große Ziel, welches ihm offenbar vorschwebte, zu erreichen, wurde von dem soldatischen Geist, so zu sagen, überwältigt und gezwungen, mit sich selber zu brechen, das Schwert, das Werkzeug des Hasses, den es verwirft, heilig zu sprechen und selbst das Bajonnet zu weihen.

Beneidenswerth, tausendfach beneidenswerth die Völker, die durch glückliche Verhältnisse und ihren eigenen Werth in den Stand gesetzt wurden, sich der stehenden Heere zu entledigen, die selbst für eine erwünschte Ruhe und Ordnung zu sorgen wissen, statt eine Leibwache zu bezahlen, die sie noch mehr unterdrückt, als beschützt, die weit mehr kostet, als sie einbringt, und die gefährlicher ist als das Uebel, welches sie abhalten soll. Tausendfach beneidenswerth das Land, wo kein unheimliches Degengeklirr das ergiebige Treiben und Walten der Künste und Gewerbe stört, wo das Gesetz Gewalt besitzt, statt daß die Gewalt Gesetze giebt, und wo nicht ewig und immer, wie von jenem Barbaren zu Rom, statt aller Beweise Eisen in die Wagschale der Entscheidung mit dem Rufe geschleudert wird: Lex nihi Mars – das Schwert ist mein Gesetz!

Meinen Widerwillen gegen das Soldatenthum auf die Soldaten übertragend, habe ich von jeher in Hader mit dem Militär gelebt, namentlich mit Officieren, welche ich als die wesentlichen Bestandtheile der gefährlichen Institution, der sie angehören, abstract aufzufassen das Unrecht hatte, das große Unrecht. Ich vergaß, daß ein menschliches Herz unter der Uniform ein menschliches Herz bleibt, und daß ein Soldat „blutet, wenn man ihn sticht, und lacht, wenn man ihn kitzelt,“ wie Shylock von sich selber sagt. Schwer habe ich meine Abirrung gebüßt. Im Jahre 1848, wenige Tage nach einem Processe, der gegen mich wegen Beleidigung des Militärs eingeleitet worden war, rettete ein österreichischer Officier mir das Leben und häufte glühende Kohlen auf mein Haupt.

Es sei mir gestattet, den Hergang der Sache hier zu erzählen, ob es mich gleich von dem eigentlichen Gegenstand der Behandlung ablenkt – zum Ruhme des Mannes, dessen Namen zu nennen beklagenswerthe Verhältnisse noch immer verbieten. Und möge der Edle, wenn ihm diese Zeilen zu Gesichte kommen, aus denselben die ganze Tiefe ungeschwächter Dankbarkeit und den heißen Wunsch meiner Seele herauslesen, daß mich eine glückliche Fügung in die Lage brächte, ihm wenigstens einen Theil der großen Schuld abtragen zu können.

Am 30. October des Jahres 1848 rückten die Truppen, welche die Stadt mit eisernen Armen immer fester und enger umschlungen hatten, in Wien ein. Unter ihren Fußtritten wand sich sterbend die Revolution. Wer von den Männern der Bewegung die Dinge nicht, wie Jellinek, unrichtig beurtheilte, war der Ueberzeugung, daß es in der Hauptstadt Oesterreichs zu einem blutigen Verfahren kommen würde, und war ganz natürlich bedacht, der Gefahr, so gut es ging, sich zu entziehen. Viele suchten Schlupfwinkel und Verstecke aller Art, ich zog es vor, mich bei meinem Freunde X., der in einer der vornehmsten Straßen der Stadt wohnte, unterzubringen, in der Voraussetzung, daß nach diesem Punkte die Polizei und die Militärbehörde ihre geringste Aufmerksamkeit richten würden. Meine Berechnung war richtig: das Haus blieb von Durchsuchungen verschont, während anderwärts die polizeilich-militärischen Ueberfälle zur allgemeinen Bestürzung fortdauerten. Zum Ueberfluß war es meinem Freunde gelungen, einen Spion von der Polizei selbst in Sold zu bekommen, so daß wir davon vorher unterrichtet worden wären, wenn uns ein Besuch der Häscher gedroht hätte. An ein Entkommen war vorläufig nicht zu denken; denn die Thore der inneren Stadt wurden gesperrt, die sogenannten „Linien“, welche ganz Wien einschließen, streng bewacht, und nur mit einem Erlaubnißschein oder einem Paß, von dem Kriegsrathe ausgestellt, konnte man in’s Weite gelangen. Es hieß also, trotz dem drohenden Schwerte über dem Haupte, Geduld haben und – warten. Offen gestehe ich, daß mich jetzt die Erinnerung an jene Gefahr tiefer ergreift, als mich damals, in dem Augenblick allgemeiner und eigener Aufregung, die vorhandene Gefahr zu beunruhigen vermocht hat. Ich wartete daher, mit Geduld und Fassung.

Zwei Tage nach dem Einrücken der Truppen hörte ich klingeln; ich trat aus einer am Ende der Wohnung befindlichen Stube, welche mir zugewiesen worden war, in die Küche, von wo aus ich nach der äußeren Thüre sehen konnte, ohne von dem Eintretenden gesehen zu werden. Wie erschrak ich, als ich eine Militäruniform gewahrte! Doch beruhigte ich mich bald, denn ich sah, daß die Uniform einem im Range etwas höheren Officiere gehörte, der ohne alles Gefolge kam und in einer Weise nach meinem Freunde frug, die gar nichts Schlimmes ankündigte. Der Diener, welcher geöffnet hatte, führte den Officier in eines der Gemächer, und ich, ohne weiter auf den Besuch zu achten, zog mich, der augenblicklichen Sorge entschlagen, in meine Stube wieder zurück. Nach ungefähr einer Stunde trat Freund X. mit unwöhnlich ernster Miene bei mir ein und zeigte mir an, daß soeben ein Officier, zu dem er seit langer Zeit in freundlicher Beziehung stehe, bei ihm zu Besuche war und sich für den Abend zu einem Essen und zu einem Spiel angesagt habe. „Welcher Art ist denn dieser Herr, den Du soeben empfangen hast?“ fragte ich. „Ich habe ihn nie anders, als höchst angemessen, achtungswerth und als einen Mann gefunden, mit dem sich’s recht angenehm verkehren läßt; doch gehört er mit Leib und Seele seinem Stande an, und er faßt die politischen Ereignisse nicht um ein Haar anders auf, als seine Cameraden, und als sie von der Armee im Ganzen aufgefaßt werden. Er zeigte sich in unserer Unterhaltung äußerst erbittert gegen die Partei, welche er die Partei des Umsturzes nennt.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_792.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)