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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Und es war meine Unterschrift?“

„Unverkennbar.“

Der Director nahm seinen Hut und entfernte sich schnell. Er ging zur Post, denn er mußte sich selbst überzeugen, ob er über den Empfang der vermißten hundert Thaler quittirt habe. Wer ihn sah, erschrak vor ihm. Er sah nicht bestürzt aus, wie vorhin der Rendant; sein Gesicht war kreideweiß, in allen seinen Zügen entstellt. Die Beamten des Gerichts sahen ihm mit stummem Schreck nach. Nur die beiden Rendanten wußten, um was es sich handelte. Sie hatten geschwiegen und schwiegen ferner.

Der Director kehrte von der Post zurück. Sein Gesicht war noch leichenblaß, wie vorher; aber es war nicht mehr entstellt, es hatte seine natürlichen, festen Züge wieder gewonnen. Der Director hatte sich gefaßt; er wußte, oder er ahnte wenigstens, woran er war.

„Ich habe die Quittung unterschrieben,“ sagte er zu dem Depositalrendanten. „Es ist meine gewöhnliche, sichere, klare Handschrift.“

„Aber ich schwöre dem Herrn Director,“ versicherte der ehrliche und ängstliche alte Beamte, „daß das Geld nicht an mich abgeliefert ist.“

„Bedarf es eines Schwures von Ihnen?“ gab ihm der Director die Hand. Die Hand war eiskalt.

„Wer hat,“ fragte er dann, „am zwölften des vorigen Monats die Briefe von der Post geholt?“

Der Rendant ging, nachzusehen. „Der Gerichtsdiener Schneider,“ kehrte er zurück.

„Schicken Sie Schneider zu mir.“ Es war derselbe alte, treue Diener, der täglich die Gerichtsbriefe von der Post abholte, der auch am heutigen Morgen sowohl dem Director, als der armen Emilie die verhängnißvollen Briefe übergeben hatte.

„Erinnern Sie sich, daß Sie am zwölften des vorigen Monats die Postsachen abgeholt haben?“ fragte ihn der Director.

„Gewiß, Herr Director. Ich besorge sie ja täglich, wenn ich nicht krank oder sonst verhindert bin, und seit einem halben Jahre habe ich keinen Tag gefehlt.“

Der Director wußte es ebenfalls.

„Erinnern Sie sich gerade des Tages?“ fragte er weiter.

„Wäre damals etwas Besonderes vorgefallen, Herr Director?“

„Erinnern Sie sich, daß Sie mir einen Geldbrief mit hundert Thalern in Cassenanweisungen gebracht haben?“

„Einen solchen Brief habe ich vor mehreren Wochen gebracht.“

„An welchem Tage?“

„Mein Postbuch muß es nachweisen. Vollkommen. Der Herr Director waren gerade an jenem Tage nicht wohl. Ich trug daher sämmtliche Postsachen in Ihre Wohnung und legte sie dort in Ihr Arbeitszimmer.“

Der Director fragte nicht mehr. Er wußte genug. „Gut. Sie können gehen,“ sagte er.

Der Gerichtsdiener ging. Der Director stand vernichtet.

„Mathilde!“

Es war das einzige Wort, das er hervorbringen konnte. Er ließ den Rendanten der Salariencasse wieder zu sich kommen.

„Morgen wird mein Gehalt fällig. Zahlen Sie daraus sofort die Summe von hundert Thalern zu der Moser’schen Depositalmasse ein.“

In dem Augenblicke nachher wurde ihm der Präsident des Obergerichts gemeldet.

„Schon?“ rief er.

Aber er konnte sich fassen. Er mußte es, mußte es doppelt. Er sollte seinem Vorgesetzten, der noch sein Vorgesetzter und jetzt zugleich sein Inquirent war, gegenüberstehen, und er hatte noch keinen Plan gefaßt. Zweifel über das, was geschehen war, hatte er nicht mehr. Aber was sollte weiter werden? Was sollte er thun? Sollte er sagen, was geschehen war? Sollte er sich entschuldigen und die eigene Gattin anklagen?

Er empfing mit dem blassen Gesichte ruhig den Vorgesetzten.

Ein vornehmer, stolzer Mann war zu ihm eingetreten, ein steifer aristokratischer Bureaukrat, der noch immer der Vorgesetzte des künftigen Collegen war. Konnte bei ihm überhaupt noch von einer künftigen Gleichstellung die Rede sein?

„Herr Director,“ hob der Präsident, Freiherr von Senkendorf, in amtlicher Förmlichkeit an; „ich bedaure die unangenehme Veranlassung, die mich hierher führt, um so mehr, als ich noch dieser Tage mich zu einer Erklärung gezwungen sah, die leider nur verletzend auf Sie und Ihre Familie hat einwirken können. Aber eben darum –“

Der Director mußte ihn doch unterbrechen.

„Die Veranlassung Ihrer heutigen Anwesenheit hier glaube ich zu kennen, Herr Präsident. Für Ihre übrigen Worte fehlt mir aber jedes Verständniß.“

Der Präsident mußte seinerseits verwundert den Director ansehen.

„Sie hätten nichts von einem Verhältnisse zwischen meinem Sohne und Ihrer Fräulein Tochter gewußt?“

„Mein Kind!“ rief ahnend der Director, und sein Gesicht wurde blutleerer.

„Ach,“ sagte der Präsident, „Sie sind, wie ich sehe, in der That nicht unterrichtet. Ich bedaure, Sie auch noch mit der unangenehmen Angelegenheit bekannt machen zu müssen. Mein Sohn – Sie hatten die Güte gehabt, ihn in Ihrem Hause aufzunehmen – liebte Ihre Fräulein Tochter. Er bat mich vor einigen Tagen um meine Einwilligung zu einer Verbindung mit ihr. Ich mußte sie ihm verweigern. Eine Familienverbindung mit Ihnen würde mir ehrenvoll sein, wenn Sie - lassen Sie es mich offen heraussagen – wenn Sie von Adel wären. Nennen Sie es ein Vorurtheil, wählen Sie einen noch schärfern Ausdruck, aber ich bin nun einmal ein Aristokrat, der auf seinen Adel hält. Zudem glaubte ich zu bemerken, daß die Liebe meines Sohnes bereits erkaltet war – er ist leichtsinnig – so war es mir auch in dieser Beziehung eine Gewissenssache, einer unglücklichen Verbindung vorzubeugen. Indem ich so handeln mußte, war es mir aber auch Bedürfniß und Pflicht, für das amtliche Geschäft, das mich hierher führt, Ihnen von vornherein zu erklären, daß jene andere Angelegenheit darauf nicht den geringsten Einfluß ausüben wird. Sie werden mich vielleicht nur wohlwollender für Sie finden, als ich unter anderen Umständen gewesen wäre, und gerade weil ich in meiner Stellung dies mehr sein kann, als ein Rath des Obergerichts, den ich nur mit einem strengen Commissorium hätte hierher senden können, habe ich mich bewogen gefunden, selbst das unangenehme amtliche Geschäft mir Ihnen abzumachen.“

Es lag jedenfalls eine Ehrenhaftigkeit in dem vornehmen, steifen Manne. Als ehrenhafter Charakter war er auch bekannt. Aber mit welcher neuen Angst und Sorge hatte er das Herz des Directors erfüllt!

„Mein Kind! Auch sie!“ rief es laut und schmerzlich in dem unglücklichen Manne. Aber er durfte seine Fassung nicht verlieren.

„Gehen wir zu unserem Geschäft,“ sagte der Präsitent. „Der Amtmann Moser hat sich über das hiesige Gericht beschwert.“

„Ich weiß es, Herr Präsident, und ich habe die Sache bereits untersucht.“

„Und welche Bewandtniß hat es mit ihr?“

„Das Geld fehlt, mit dem Schreiben, mit dem es eingegangen war.“

„Es waren gerade hundert Thaler?“

„Nach der Quittung, die die Post in Händen hat, ja.“

„Wer hat die Quittung ausgestellt?“

„Ich.“

„Sie hatten also auch das Geld in Händen?“

„Es muß wohl so gewesen sein.“

„Und wem haben Sie es übergeben?“

„Ich weiß es nicht. Ich entsinne mich der ganzen Sache nicht mehr. Ich, war damals unwohl. Ich habe erst heute die Quittung gesehen und meine Handschrift erkannt.“

„Sie waren unwohl, also zu Hause?“

„Und haben auch dort die Quittung geschrieben?“

„Ich kann sie nur dort geschrieben haben.“

„Das Geld mit dem Briefe war Ihnen also auch in das Haus gebracht worden?“

„Es muß auch das so gewesen sein. Aber ich kann mich, wie gesagt, auf nichts besinnen.“

„Sie haben auch keine Ahnung, wo Brief und Geld sein mögen?“

Der Director hatte keine Antwort auf die Frage. Er ging mit großen Schritten im Zimmer umher. Der Angstschweiß rann ihm von der Stirn.

Auch der Präsident durchmaß schweigend das Zimmer. Auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_787.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2019)