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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Gebirgswelt auch natürlich. In den phantastisch geformten Felszacken, Höhlen und Schluchten weckt der durchströmende Wind oft die seltsamsten Laute, wimmernden Menschenstimmen nicht unähnlich, und bei der Leichtigkeit, mit der, wie bereits erwähnt, die Luft den vom Echo verzehnfachten Schall auf große Weiten hinträgt, ist es um so leichter begreiflich, daß der einsam träumende Sohn des Gebirgs da der Töne gar manche vernimmt, deren Ursprung selbst seinem Scharfsinn verborgen bleiben muß. Was Wunder also, daß er sein ödes Reich in guter Treu und Glauben mit all den phantastischen Gestalten bevölkert, von denen er während des Winters in den abendlichen Zusammenkünften der Dorfbewohner so viel hat erzählen hören.

Ist der Geißbube einmal groß geworden, dann muß er zu einem andern Gewerbe greifen. Ade, du süßes, träumendes Bubenglück! Die Alp bleibt aber dafür doch meist seine eigentliche Heimath. Aus dem verwegenen Kletterer wird nun ein ebenso verwegener Wildheuer oder Gemsjäger, oft Beides zugleich, und eines schönen Morgens steigt er wohl, die weittragende Büchse über die Schulter gehängt, unter schmetterndem Jauchzen die alten wohlbekannten Pässe hinan, die er als fröhlicher Junge mit seinen gehörnten Unterthanen befahren. Abends wartet sein Liebchen oder seine junge Frau vergebens auf seine Rückkehr – der Berggeist, den er so herausgefordert, hat ihn zurückbehalten, die gähnende Schlucht, an deren schwindelndem Rande er als Bube mit lachendem Muthwillen gespielt, ist sein schweigendes Grab geworden, und die Lawine, deren donnernden Grüßen er so oft gelauscht, hat ihm, vielleicht durch seinen Fußtritt geweckt, die letzten krachenden Ehrensalven nachgesendet.

A. Bitter.




Schlaf und Traum.

Diätetik des Gehirns.

Alles Arbeiten und Thätigsein der Organe unseres Körpers geht mit Verlust von Stoff und Kraft des arbeitenden Organs einher, und dieser Verlust muß, wenn das durch Abnutzung erschöpfte Organ seine gehörige Thatkraft wieder erhalten soll, durch richtige Ernährung desselben baldigst ersetzt werden. Dies geschieht aber während des Ausruhens des Organs von seiner Arbeit und mit Hülfe des durch das Organ hindurchströmenden Blutes, wobei aus diesem neues Baumaterial in Gestalt von Ernährungsflüssigkeit in das Gewebe des Organs abgesetzt und von diesem zum Neubau verwendet wird.

Auf dem richtigen Verhältniß zwischen Arbeiten und Ruhen beruht nun das Gesundbleiben und Kräftigwerden aller unserer Organe und zwar mit Hülfe der dabei regsamer vor sich gehenden Ernährung (des energischen Stoffwechsels) innerhalb der diese Organe bildenden Materien. Natürlich kann diese Ernährung nur dann zu Stande kommen, wenn ein gutes (nahrhaftes) Blut in richtiger Weise durch das Organ hindurchströmt.

Wollte man ein Organ, auf dessen Thätigkeit wir willkürlich einwirken können, ununterbrochen thätig sein lassen, so kommt endlich ein Moment, wo die Erschöpfung desselben so arg wird, daß auch beim kräftigsten Willen keine Thätigkeit in demselben mehr hervorgerufen werden kann. Diese Kraftlosigkeit ist dann die Folge der Abnutzung des Organs, d. h. des beim Arbeiten verloren gegangenen Organstoffes. War die Anstrengung nun eine sehr bedeutende, dann bedarf das erschöpfte und theilweise abgenutzte Organ auch eine längere Ruhezeit zu seiner Restauration. Bei Ueberanstrengungen (widernatürlich anstrengender Arbeit) geht aber die Erschöpfung bisweilen auch in eine dauernde, durch die Ernährung im Ruhezustände nicht wieder zu hebende Lähmung über. Wie nun Ueberanstrengung die Thatkraft eines Organs theilweise oder vollständig ruiniren kann, ebenso erzeugt aber auch längere Zeit ausdauernde Ruhe eines Organs allmählich Kraftlosigkeit und endlich bleibende Lähmung und zwar in Folge der geschwächten und falschen Ernährung.

Innerhalb unseres Körpers gehen die den Stoffwechsel (s. Gartenlaube Jahrg. 1860, Nr. 51) oder das Leben unterhaltenden sogen. vegetativen Processe, wie es scheint, zwar ununterbrochen vor sich, allein dies ist doch nur scheinbar, denn bei allen diesen Thätigkeiten (wie beim Blutkreisläufe, Athmen und Verdauen etc.) finden doch auch Ruhezeiten, freilich von nur sehr kurzer Dauer statt, innerhalb welcher der durch die vorhergegangene auch nur kurze Arbeit erzeugte geringe Substanzverlust in den betreffenden Organen sofort wieder ausgeglichen wird.

Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem Organe, welches die sogen. geistigen Thätigkeiten (das Denken, Fühlen und Wollen) vermittelt, und das ist das Gehirn. Dieses wird durch seine Zubringer geistiger Nahrungsstoffe, nämlich durch die Sinnesorgane, zumal durch die höheren Sinne, also durch Auge und Ohr, fortwährend von der Außenwelt her in Thätigkeit erhalten (s. Gartenlaube Jahrg. 1860, Nr. 51), und deshalb tritt endlich ein Moment ein, wo seine Thätigkeit immer matter und matter wird und endlich erlischt. Dieser Zustand der erschöpften Energie des Gehirns nun, der also durch die materielle Abnutzung der Hirnsubstanz in Folge des fortwährenden Thätigseins des Gehirns während des Wachens veranlaßt wird, ist der Schlaf, und während desselben geht mit Hülfe der Ernährung (des durch das Gehirn rinnenden Blutes) der Ersatz der abgenutzten Hirnmasse vor sich. Je ruhiger der Schlaf und je kräftiger der Ernährungsproceß innerhalb des Gehirns, desto vollständiger muß natürlich auch die Restauration der Hirnsubstanz und der Energie des Gehirns geschehen.

Also: nur Geschöpfe, die ein Gehirn haben, schlafen. Demnach kommt der Schlaf nicht etwa blos dem Menschen, sondern auch den meisten Thieren zu, wenn auch deren Gehirn weit kleiner und unvollkommner als das des Menschen ist (s. Gartenl. Jahrg. 1860, Nr. 10). Fische kann man, wenn sie schlafen, mit den Händen fangen, und daß Eidechsen und Krokodile in der Sonne schlafen, ist bekannt. – Also ferner: der Schlaf ist für das Zustandekommen der geistigen Thätigkeit (der Hirnarbeit) ganz unentbehrlich, denn ohne Schlaf würde die Abnutzung der Hirnmasse durch ihr fortwährendes Arbeitenmüssen bald einen solchen Grad erreichen, daß sie in ihrem Baue ganz unfähig zum fernern Arbeiten würde. Je mehr nun diese Hirnthätigkeit hinsichtlich ihrer Dauer oder Stärke angestrengt wird, desto bedürftiger muß natürlich das Gehirn der Ruhe, des Schlafes sein. – Also: wenn irgend ein Organ zur Erhaltung und Kräftigung feiner Kraft des gehörigen Wechsels von Ruhe und Arbeit neben richtiger Ernährung durch das Blut bedarf, so ist es vorzugsweise das Gehirn, welches ja dem geistigen Thätigsein vorsteht und wegen seines vollkommneren Baues beim Menschen (s. Gartenl. Jahrg. 1860, Nr. 10) diesen weit über das Thier erhebt. Eine große Menge jüngerer und älterer Menschen sind nur deshalb in ihrem geistigen Thätigsein schwach oder gestört und werden von Leiden des Gehirns (Kopfschmerz, Schwindel, Nervosität, Gemüthsstörungen etc.) heimgesucht, weil sie dieses Organ falsch behandeln, demselben entweder zu viel oder zu wenig Arbeit und Ruhe zumuthen und auf dasselbe theils mit geistigen und gemüthlichen, theils mit sinnlichen Ueberreizen einstürmen, kurz dasselbe entweder übermäßig oder unzweckmäßig arbeiten lasten. Bevor nicht den Erziehern die Einsicht kommt, daß das Gehirn den Menschen zum Menschen macht und daß von der Behandlung dieses Organs Gutes und Schlimmes in psychischer und physischer Beziehung abhängig ist, so lange wird aus dem Menschengeschlechte auch nicht das werden, was aus ihm werden könnte und sollte.

Es kommt in der jetzigen Arbeits- und Genußzeit recht oft vor, daß die dem Gehirn theils in zu frühem Lebensalter, theils zu oft und lange zugemutheten Anstrengungen die Substanz desselben in seiner Ernährung und Thätigkeit, trotz scheinbaren Wohlbefindens des übrigen Körpers und ohne organisches Hirnleiden, auf die Dauer so stören, daß das Gehirn bei großer Schwäche doch äußerst erregbar und dann von den gewöhnlichsten Eindrücken in einem Grade afficirt werden kann, daß dadurch die Thätigkeit desselben nach und nach immer mehr herabgesetzt und endlich gelähmt wird. Dieser Zustand, die sogenannte reizbare Schwäche des Gehirns, ist sehr oft die Ursache von Kopfschmerz und Schlaflosigkeit, von Launenhaftigkeit und Leidenschaftlichkeit, von Hypochondrie und Hysterie, und artet gar nicht selten in Geisteskrankheit aus. Alle diese Leiden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_744.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2022)