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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Unter Fremden.

Aus dem deutsch-amerikanischen Leben.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

„Von dieser Zeit an“, fuhr Wood fort, „war es fast, als walte ein stiller Genius um mich. Noch nie war besser für meine Bedürfnisse, meine kleinsten Bequemlichkeiten gesorgt worden, und ich durfte kaum nach etwas verlangen, ohne es auch schon bei der Hand zu finden. Meine Wäsche war die glänzendste, mein Zimmer jeden Tag mit frischen Blumen besetzt; nur dann und wann aber traf ich das Mädchen bei einer ihrer geräuschlosen Beschäftigungen, dann indessen hob sie die Augen mit einem solchen Ausdruck des Glücks nach mir, daß ich wohl schon damals an eine tiefere Empfindung ihrerseits hätte glauben können, wenn mich das eigenthümliche Verwandtschaftsverhältniß nur daran hätte denken lassen. Mary war für einzelne der jungen Pflanzer in der Nachbarschaft, schon seit sie erwachsen, ein wünschenswerther Gegenstand gewesen, und was bei meinem Vater nicht erreicht werden konnte, das versuchten sie bei mir. Hohe Summen wurden mir für ihre Ueberlassung geboten, die ich indessen um so leichter zurückwies, jemehr ich mich an die warme, wohlthuende Fürsorge des Mädchens und den Reiz, den ihre freundliche Erscheinung auf mich ausübte, gewohnte; in natürlicher Folge dessen aber verbreitete sich bald die Meinung, daß ich mit ihr in derselben Weise lebe, als mein Vater mit ihrer Mutter. Bei meinen nähern männlichen Bekannten, gegen welche ich kein Hehl aus dem Geschwister-Verhältnisse machte, fand ich wohl endlich meine Rechtfertigung – gnadenlos verurtheilt aber blieb ich bei den Frauen. Ich war ein junger selbstständiger Mann, der schon längst unter den zahlreichen heirathsfähigen Töchtern der umwohnenden Familien hätte wählen sollen, und noch hatte ich mich, meinen mannigfachen Geschäften hingegeben, kaum einmal mit einem Blicke um die sich mir bietende Herrlichkeit gekümmert. Die Erklärung dafür war jetzt gefunden; die Angabe meines wahren Verhältnisses zu Mary ward entweder mit einem ungläubigen Achselzucken hingenommen oder mir als doppelte Unmoralität zur Last gelegt, und doch hätte der unmoralische Mensch bei Müttern und Töchtern Gnade gefunden, wenn er nur das Mädchen zu Gunsten einer oder der andern Schönheit hätte opfern wollen. – Ich fühlte mich indessen so wohl in meiner geordneten Häuslichkeit, daß ich mich über den ganzen Unwillen der weiblichen Welt hinweg gesetzt hätte, wenn nicht das Drängen meiner Verwandten, dem Scandal ein Ende zu machen und eine wirkliche Herrin an die Spitze meines Hauswesens zu stellen, gewesen wäre. Die erste Bedingung dafür war natürlich Mary’s Entfernung, und erst als mir die vorzunehmende Aenderung zur halben Ehrensache für die Familie gemacht worden, ging ich daran – aber mit schwerem Herzen. Ich fühlte jetzt erst, wie sehr das Mädchen mit meinen ganzen Lebensgewohnheiten verwoben war. Ich legte ihr die Nothwendigkeit des Schrittes vor, aber je länger ich ihr in das zitternde Auge sah, je weniger wollte mir dieselbe selbst einleuchten; ich bot ihr die Freiheit an und ein kleines Capital, womit sie sich bei ihren mancherlei Fertigkeiten im Osten eine eigene Existenz gründen könne; da fiel sie vor mir auf die Kniee und rief: „Master, was habe ich denn verbrochen? Ich mag nicht frei sein und will nur hier bleiben dürfen; und duldet mich die neue Mistreß nicht im Hause, so will ich mit auf dem Felde arbeiten – aber nur nicht fortschicken, nicht fortschicken, Sir!“

Da las ich zum ersten Male in ihrem Blicke, daß es eine Liebe geben könne, die über jedem Interesse steht, wenn ich sie auch am wenigsten unter den Frauen meiner Kreise gefunden; aber ich war in dem Versprechen gegen meine Verwandten schon zu weit gegangen, als daß ich hätte ganz davon zurücktreten können. Eine Meile von hier liegt eine andere Farm-Abtheilung, dorthin, in die Negerküche, ward Mary versetzt, und als es sich erwies, daß ich zu keiner eingreifenderen Aenderung zu bewegen war, fand sich auch eine mitleidige Seele, die sich entschließen konnte, mein Haus und Vermögen mit mir zu theilen. Meine Verwandten hatten die Heirath geordnet, und ich ging sie ein, wie ein unvermeidliches Geschäft; ich sah Mary nicht wieder, wie ich es versprochen, und ertrug meine veränderte Lebensweise so gut es ging.

„Das währte über zwei Jahre“, fuhr der Redner mit einem tiefen Athemzuge fort, „bis Lotty geboren ward und eine starke Erkältung, die ich mir in der Regennacht beim Ritte nach dem Arzte geholt, mich krank niederwarf. Ich wußte bald von mir nichts mehr, und Flora holte in ihrer Bedrängniß auf eigene Gefahr ihre Tochter zur Aushülfe. Wie im Traume hörte ich diese endlich durch das Zimmer gleiten, ich kannte noch ihren Tritt und es war mir, als habe sie nie das Haus verlassen, hörte sie im Nebenzimmer den kleinen Richard beruhigen und meiner Frau antworten, die sich Beide niemals gesehen; als ich aber einen Morgens zum ersten Male wieder zu klarem Bewußtsein erwachte, sah ich sie vor meinem Bette auf den Knieen liegen, das Gesicht in die Kissen gedrückt, und als ich ihren Namen nannte, fuhr sie auf, küßte krampfhaft meine Hände und stürzte zum Zimmer hinaus. Erst Tags darauf erfuhr ich, daß meine Frau instinctmäßig ihre Persönlichkeit errathen, sie fortgesandt und ihr verboten hatte, jemals das Haus wieder zu betreten – und diese Frau verdankte nur der regen Sorge des Mädchens, das neun Nächte an ihrem Bette gesessen, das mit unermüdeter Wachsamkeit jede Störung und jeden Ton aus ihrer Nähe gehalten, das Leben. Mich aber überkam es, wenn ich an die abgemagerten, bleichen Züge und die entzündeten Augen der Ausgewiesenen dachte, wie eine bittere Selbstanklage – und doch hätte ich nicht ohne völligen Bruch mit Allem, was Familie und Convenienz heißt, ihr Schicksal ändern können.

Und wieder vergingen fast zwei Jahre, bis meine Frau bei Geburt der kleinen Maggy starb. Auf’s Neue war während der Zeit dem Mädchen die Freiheit angeboten worden, ohne daß sie darauf eingegangen wäre, und ich hatte es nicht über mich gewinnen können, sie völlig ohne den Trost einiger freundlicher Worte zu lassen; fast schien sie innerlich nur von diesen gelegentlichen Begegnungen zu zehren – jetzt aber sandte ich nach ihr zur Pflege der Kinder, und wie sie mit jedem Tage bei ihrem erneuten Walten in meiner Nähe sichtlich aufzublühen schien, so begann auch meine Häuslichkeit ihren frühern Reiz wieder für mich zu gewinnen. Ich lieh den neuen Vorstellungen meiner Verwandten taube Ohren, erklärte ihnen die Nutzlosigkeit jeder Bemühung für eine zweite Heirath, und die Lästerzungen wurden es endlich müde zu reden. Aber die Kinder wuchsen heran, ich durfte sie kaum mehr in der alleinigen Hand von Dienstleuten lassen und mußte an ihre Erziehung denken. Eine meiner Schwestern war kinderlose Wittwe und hätte am geeignetsten Mutterstelle vertreten, doch nur bei Mary’s Entfernung glaubte sie mit Ehren meinem Hause vorstehen zu können. Sie kam endlich selbst, kam während meiner Abwesenheit von der Farm, und als ich heimkehrte, trat sie mir mit der Nachricht entgegen, daß sie selbst dem Mädchen in’s Gewissen geredet und dieses bereit sei zu gehen. Was sie ihr gesagt, sollte sich nur darauf beschränkt haben, daß Mary meinem Glücke und der Zukunft der Kinder im Wege stehe, Flora aber berichtete mir mit verstörtem Gesichte, daß die Angekommene sich fast eine Stunde mit dem Mädchen eingeschlossen und die Mulattin beim Oeffnen der Thür ihre Tochter ohnmächtig gefunden habe.

Ich kämpfte einen harten Kampf mit mir; ich wußte, daß ich bei den ringsum bestehenden Vorurtheilen auf keine achtbare weibliche Unterstützung, wie ich sie bedurfte, zu rechnen hatte, und ich konnte die Wohlfahrt der Kinder nicht der Neigung einer Farbigen und meinen persönlichen Wünschen opfern; dennoch wollte mir ihre Entfernung wie ein schreiender Undank erscheinen, und ich klammerte mich endlich an den Gedanken, daß sie freiwillig gehe. Ich ließ sie kommen, und ein glanzloses Auge, eine geknickte Gestalt, die meine Frage fast in einem innern Weh ersticken ließen, trat vor mich. „Ich weiß, daß ich gehen muß, und ich gehe, Sir!“ sagte sie, fast ohne jeden Klang in ihrer Stimme, und als ich ihr zu sprach, daß sie mir sagen solle, wohin sie zu gehen gedenke, daß ich ihr die Freilassungspapiere sofort ausstellen und sie mit einer genügenden Summe versehen werde, schüttelte sie nur den Kopf und sagte: „Ich gehe, wohin ich geschickt werde, Sir, es ist mir Alles gleich!“

Ich entließ sie mit schwerem Herzen. Am andern Morgen aber saß sie noch in ihrer Kammer, wohin sie sich am Abend zuvor gesetzt haben mochte, blickte stier und theilnahmlos in’s Leere,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_735.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)