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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Name, nicht fingirter) war 23 bis 25 Jahre alt; als Landsmann hatten wir uns einander angeschlossen. Er hatte in den nächsten Tagen sein Officiers-Patent zu erwarten, war ein vielseitig gebildeter junger Mann, von einnehmendem Aeußern und hatte, wie ich gehört, Deutschland in Folge der politischen Ereignisse der Jahre 1848 und 49 verlassen. Eine zärtlich geliebte Braut war ihm daheim geblieben, mit der er eifrig correspondirte und der er, so viel mir bekannt, von Zeit zu Zeit einen Theil seiner Ersparnisse schickte. Sie sollte nach Afrika kommen, sobald er Officier sein würde, und sich dort mit ihm verheirathen. Müller war geschickter Planzeichner und seit Kurzem im Genie-Bureau beschäftigt, wo man mit ihm und seinen Arbeiten sehr zufrieden war. Seine Carrière war vorauszusehen: Officier, dann naturalisirt als französischer Unterthan, ausgeschieden aus der Fremdenlegion und übergetreten zu einem technischen oder wissenschaftlichen Corps, in der Folge eine lucrative Anstellung im Civildienst – das waren so ungefähr die nach menschlichen Begriffen gewissen Aussichten, welche Müller hatte. Allein das Wort ist sehr wahr: „der Mensch denkt – Gott lenkt!“ Es sollte sich ganz, ganz anders gestalten … Armer Freund!

Noch vor dem üblichen, für dieses Jahr letzten Kanonenschusse brachen wir auf, um uns nach dem etwa eine Viertelstunde entfernten Punkte zu begeben, wo das Feuerwerk, welches unsere Artillerie arrangirt hatte, abgebrannt werden sollte. Es war dies ein Platz vor dem sogenannten Dhar-Diaf, Name einer Art Karawanserai nebst Kaffeehaus, unfern des Forts, östlich Biskra und an dessen äußersten Häusern belegen. Der Platz wird von einer breiten Chaussee durchschnitten; auf der Stadtseite derselben befand sich das obenerwähnte arabische Kaffeehaus, an dessen einer äußern Mauer eine Menge langes Bauholz aufgeschichtet lag, welchen eine Art Tribüne amphitheatralischer Art bildete. Wir fanden auf den untersten Schichten des Bauholzes noch einige freie Plätze und nahmen davon Besitz. Auf der entgegengesetzten Seite der Chaussee, und etwa zehn Schritte vom Graben entfernt, befanden sich die Vorrichtungen zum Feuerwerk, bestehend in Stangen, Gerüsten etc.

Kurz vor 7 Uhr dröhnte der Schuß, dessen Echo der Palmenwald wiederholt zurückwarf, und den die versammelte Menge, zum größten Theil aus Eingeborenen bestehend, mit Jubel als das Ende der vierzigtägigen Fastenzeit begrüßte. Unmittelbar darauf nahm das pyrotechnische Schauspiel seinen Anfang. Dasselbe sollte durch drei Kanonenschläge eröffnet werden, welche an Pfählen befestigt waren. Zwei derselben hatten glücklich von den sie beengenden Banden sich befreit und unter lautem Krachen den Anfang des Feuerwerks verkündet. Der dritte jedoch, sei es durch eine fehlerhafte Placirung oder durch ein Versehen der functionirenden Artilleristen, explodirte nicht, wie die beiden ersten, nach oben hin, sondern flog mit der Schnelligkeit einer Kugel, welche aus einem wirklichen Geschütz geworfen wird, zur Seite und direct nach dem Punkte hin, auf dem wir uns befanden. Im Moment selbst der Explosion stieß der arme Müller einen Schmerzensschrei aus und war auch sogleich über und über mit Blut bedeckt. Die compacte Hülse des Kanonenschlags hatte ihm den rechten Schenkel über dem Knie zerschlagen.

Wir brachten den Unglücklichen sofort nach dem nicht fernen Militär-Hospital, wo die anwesenden beiden Aerzte sofort und einstimmig, nachdem sie die schwere Verletzung untersucht!, erklärten, daß nur die schnellste Amputation hier retten könnte. Zu dieser ward denn auch sofort geschritten. Inzwischen hatten sich bereits der General, der Oberst und die sämmtlichen schon im Officier-Casino eingetroffenen Officiere, denen die Kunde des traurigen Vorfalls gleich berichtet war, eingefunden. Alle bezeigten die aufrichtigste Theilnahme. Die Operation wurde von den beiden, sehr jungen Militär-Aerzten (der Oberarzt, ein tüchtiger, erfahrener Chirurg, war leider abwesend) vollzogen. Es hatte bei derselben ein grobes Versehen stattgefunden; sei es die Eile, sei es die Unerfahrenheit oder Ungewohntheit der beiden Operateure, – genug, nach einer für den Verwundeten schrecklichen Nacht, sah man sich am nächsten Morgen zu einer zweiten Amputation genöthigt. Dem furchtbaren Blutverlust, zu dem sich ein gefährliches Wundfieber gesellte, und endlich den doppelten, gewiß schrecklichen Schmerzen waren die physischen Kräfte des armen jungen Mannes nicht gewachsen. Vier Stunden nach der zweiten Amputation war er todt.

Es wurde ihm ein ehrenvolles, ja selbst prachtvolles Leichenbegängniß veranstaltet. Die Theilnahme war eine allgemeine, eine aufrichtige. Die jungen Märchen Biskra’s, die ihn wohl kaum dem Namen nach gekannt, schmückten sein Grab mit Blumen und Kränzen; ein langer Leichenzug und eine Ehrengarde folgten dem Sarge; man erwies ihm die militärischen Ehren, denn er hatte zu verschiedenen Malen im feindlichen Feuer gestanden, und – war als Officier gestorben. Sein Patent hatte der General mitgebracht und wollte es ihm am Tage nach der Fantasia auf der Parade feierlich überreichen. Ob er noch zu dem Bewußtsein gelangt ist als Officier gestorben zu sein, – ich weiß es nicht und bezweifle es selbst, denn seine Schmerzen waren fürchterlich, und ich gestehe es: ich wünschte seinen Tod, um den Unglücklichen erlöst zu sehen.

Dieser traurige Vorfall wirkte entschieden auf die Stimmung der im Casino versammelten Ballgesellschaft; die Fröhlichkeit, die sonst gewiß nicht gefehlt hätte, konnte nicht durchbrechen, Alles war gedrückt, schmerzlich berührt. Ich ging nach 10 Uhr Abends nach dem Casino, um eben da gewesen zu sein, und entfernte mich eine halbe Stunde später; es ließ mich nicht in dem Kreise der Tanzenden, ich mußte zurück an das Schmerzenslager meines armen Freundes. Auch der Ball, der unter andern Umständen jedenfalls bis zum Morgen gewährt haben würde, hatte bereits um 12 Uhr sein Ende erreicht.

Das war eine „Fantasia“, die einen Mord und ein so bedauernswerthes Ende eines jungen, lebensfrischen und mit den herrlichsten Aussichten in die Zukunft blickenden Mannes zur Folge hatte.

Theodor Küster.




Von einer alten Dame.

Eine Erinnerung vom Sängerfest in Nürnberg.

Die Sonne stand brennend am blauen, wolkenlosen Himmel, der auch keine einzige Wolke zur Trübung oder Dämpfung des allgemeinen Jubels an seiner Wölbung duldete. Die Hitze war manchmal drückend; der Staub, immer auf’s Neue aufgerührt von den tausend und tausend Füßen, die ihn auf dem Wege nach dem schattigen Festplatze treten mußten, überaus lästig und setzte sich wie dichter Puder auf die schwarzen Ueberwürfe der Damen, auf die koketten dunkeln Federhütchen derselben, die so viel Frische und Heiterkeit der jugendlichen Gesichter halb versteckten und halb sehen ließen. Die beiden Wege, die hinausführten, vom Lauferthor und vom Maxthor aus, wurden gewöhnlich halb seufzend unternommen, boten aber immer wieder so viel Ausbeute an Vergnügen, so viel Lust am Sehen und Gesehenwerden, daß Staub und Hitze vielleicht noch nie geduldigere Menschen getroffen haben.

Dann war aber vom Maxthor aus, vielleicht just in der Mitte des heißen Weges, in der Umgebung einiger schöner, alter Bäume ein neueres kleines Landhaus zu treffen, das für’s Auge einen erfrischenden Ruhepunkt bildete. Ich meine weniger das Häuschen selbst mit seinen schmalen Blumenrabatten vor der Hausthüre. Aber zur Seite stand wieder ein kleines Gewächshaus, das in der Zusammenstellung seiner blühenden Gewächse, in dem Reichthum, dem Farbenschmelz und auch der Seltenheit derselben aussah wie ein wunderschönes, noch vom Thau glänzendes Blumenbouquet. Alle ermüdeten Füße blieben wohl einige Momente dort stehen, und alle vom Staub nicht halb erblindete Augen verweilten mit Wohlgefallen auf dem lieblichen Anblick. Längs der Mauer, die das ganze Gehöfte umschloß, führte alsdann der Weg weiter dem rauschenden Festplatz zu.

Ich meinte gegen meinen Nürnberger Freund, der unser gewöhnlicher Begleiter zu den Festfreuden und Genüssen war, das sei ein angenehmer Ruhepunkt, und der Besitzer des Häuschens, ohne Zweifel ein großer Blumenfreund, verdiene sich den Dank aller Vorüberwandernden.

Mein Freund bejahte es etwas zerstreut, indem er eben zu den niedrigen Fenstern eines noch kleineren Häuschens hinauf grüßte, das mehr im Hintergrunde nur halb über der angedeuteten Mauer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_729.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)