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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Art: Dolche, Pistolen, Yatagans etc. Die Füße und Beine dieser verwegensten Reiter sind unbekleidet und ohne Sattel noch Bügel sitzen sie auf ihren kleinen Pferden, mit denen sie Eins zu sein scheinen.

Nachdem sämmtliche Contingente vor der Tribüne und um dieselbe herum defilirt hatten, theilte sich die Masse in drei Gruppen, deren eine bei der Tribüne blieb, während die beiden andern in entgegengesetzter Richtung sich von einander entfernten und ziemlich weit von dem Mittelpunkt des Schauplatzes Stellung nahmen. Der zurückgebliebene Trupp begann sich nun aufzulösen und seine wirklich im höchsten Grabe erstaunliche Gewandtheit in allen Reitkünsten zu zeigen. Bald jagten sie auf einander los, bis zu einer Nähe, daß man eine Collision für unvermeidlich hielt; doch fast Kopf an Kopf warfen die Reiter ihre Pferde zurück, jagten in rasender Carrière auseinander, um im nächsten Moment wieder in wilder Hast auf einander zuzustürzen. Dann feuerten sie die im schnellsten Jagen geladenen, sehr langen Flinten in den unglaublichsten Positionen ab, luden wieder, warfen sie hoch in die Luft, fingen sie mit erstaunlicher Gelenkigkeit, feuerten ab, im Augenblick, wo sie das Gewehr wieder berührten, ließen sich im vollsten Lauf des Pferdes von demselben hinabgleiten, voltigirten – Alles im Laufen – wieder hinauf auf den Rücken des Thieres, knieten, lagen, standen auf demselben, warfen das Gewehr weit von sich, legten sich zur Seite an das Pferd an, ergriffen im Fluge die fortgeschleuderte Waffe, luden sie, auf dem Pferde stehend, zielten, feuerten rück-, vor- und seitwärts … ein tolles, wirres Durcheinander, begleitet von dem wilden Schreien, mit welchem sie ihre Thiere anspornen; und bei alledem stets in den weiten, bis auf die Füße niederfallenden Burnus gehüllt. Man muß eine solche Hetzjagd mit angesehen haben, um sich einen Begriff machen zu können von der unglaublichen Geschwindigkeit und Gelenkigkeit, welche der Araber in Benützung seines Pferdes und seiner Waffe bekundet; die beste, wahrste Illustration würde nicht im Stande sein, einen vollen Begriff von dem zu geben, was man bei einer solchen Fantasia zu sehen Gelegenheit hat und was man, einmal gesehen, nie vergißt. Und diese mageren, vorher so schläfrigen und hinfällig aussehenden Pferde … wie werden sie munter, sobald sie den bekannten Reiter auf sich fühlen! Es ist. als ob ein ganz anderer Geist in das zuvor so ruhige, unbewegliche Thier gefahren, als ob es sich bewußt sei, daß von seiner Schnelligkeit, von seiner Sicherheit seine, seines Herrn, ja die Ehre des ganzen Stammes abhängt, zu welchem dieser gehört. Wie es plötzlich den Kopf hebt, die Nüstern sich erweitern, das Auge lebhaft und glänzend wird, und wie es dahin fliegt, ohne Ruhe, ohne Rast, ohne Futter, ohne Trank, wenn es nicht anders geht, auf den Ruf seines Herrn heranspringt wie ein Hund, die Datteln aus seiner Hand nimmt, auf sein Wort sich niederlegt oder ausrichtet, langsam geht oder dem Winde gleich fliegt … auch das muß man gesehen haben, um es zu verstehen. Doch expatriirt das Pferd dieser – ich möchte sagen zweiten – arabischen Race, und sein Werth ist dahin; dieses Pferd gedeiht und entfaltet sich nur in der Wüste: in Ausdauer, im Entbehren kommt ihm keines gleich, so schäbig, so verkommen es auch aussehen mag.

Der erste Act des Schauspiels war vorbei, der zweite begann. Sobald die Reiter, welche bereits ihre Künste producirt ballen, zur Seite geritten waren, begannen die beiden andern Trupps, welche eine Entfernung von mindestens 3000 Schritten zwischen sich hatten, sich erst langsam, dann schneller und immer schneller in Bewegung zu setzen. Die Aufgabe, welche sie zu lösen hatten, war das sogenannte Durchreiten, d. h. beide Trupps in gleicher Front und gleicher Stärke und jeder in Zwanzig hinter einander folgenden Gliedern oder Reihen, ritten im rasendsten Lauf der Pferde einander entgegen und ein Trupp durch den andern hindurch, ohne anzuhalten, ohne zu visiren, ohne daß zwischen den einzelnen Reitern mehr überflüssiger Raum vorhanden war, als um eben einen andern hindurch zu lassen, der in entgegengesetzter Richtung dahinjagte. Der Zusammenstoß, oder besser gesagt, die Vermischung mußte, der Berechnung nach, gerade vor dem Platze, welchen der General inne hatte, erfolgen, und so geschah es auch. In bewunderungswürdig gerichteten Reihen flogen die Wüstenkinder auf einander zu, und obgleich gewiß an tausend Pferde in jedem Trupp sich befanden, waren sie schneller durch einander und wieder getrennt, als der Leser Zeit gebraucht, um zehn von diesen Zeilen zu lesen. Und kein Unfall, kein Stürzen, kein Straucheln nur.

Und doch ist dies eines der gefährlichsten Manöver, welche selten ganz ohne Unfall verläuft; und Staub und in die Lüfte hinaus geschleuderter Sand hüllten die verwegenen Reiter ein, deren die Einen auf dem Rücken des Pferdes mit dem Gesicht nach vorn, Andere verkehrt saßen, wieder Andere standen, knie’ten, lagen, kauerten … Es war ein unbeschreibliches Durcheinander, ein fabelhafter Anblick, das Herz klopfte, der Athem stockte, als diese zwei mit Windeseile sich entgegen fliegenden, compacten Reitermassen dicht vor unsern Augen sich mischten und einen Moment, einen kurzen, darauf der Plan vor uns frei war und nach wenigen Schritten und in bester Ordnung beide Haufen Front machten und unbeweglich dastanden. Ein jubelnder Applaus erscholl von den Tausenden, welche dieses Schauspiel mit angesehen. Kaum war er verhallt, als der eigentlich militärische Theil, der dritte Act der Fantasia, begann.

Dieser bestand in einem Scheingefecht, welches ein treues Bild der eigenthümlichen Kampfesweise der Araber gab. Da jedoch ähnliche Scenen schon zur Genüge in deutschen Blättern geschildert sind, so begnüge ich mich hier nur die Folgen dieses sogenannten Scheingefechtes mitzutheilen. Es gab da Verwundete und Todte in Masse, fingirte und wirkliche. Der letzteren waren drei, zwei Verwundete, deren Einer auch nach acht Tagen starb, und ein Todter. Die beiden Ersteren hatten ihren Unfall sich selbst zuzuschreiben, dies war erwiesen und unbestritten; allein mit dem Todten hatte es eine ganz andere Bewandtniß. Die allgemeine Stimme seiner Freunde und Stammesgenossen bezeichnete sofort Denjenigen, welcher ihm den Garaus gemacht, und schrieb diesen Mord der Eifersucht – – – auf ein Pferd zu. Ben-Masa hieß der Getödtete, Abd-el-Cofra der Mörder. Beide waren Jünglinge, Beide gehörten reichen Familien an, Beide hatten im Handel um dasselbe Pferd gestanden; Ben-Marsa war es geglückt, die „Perle der Pferde“ zu erlangen. Abd-el-Cofra hatte ihn von diesem Augenblicke an der Rache geweiht. Die Fantasia bot ihm, wie er glaubte, hierzu eine günstige Gelegenheit; bei einem der Scheingefechte rannte er ihm, wie unversehens, den Yatagan in den Leib. Allein er beging die Thorheit (wenn man es so nennen darf), sofort sich flüchtig zu machen. Dieser Umstand, sowie der, daß man von dem zwischen den beiden Jünglingen stattgehabten, auf's Aeußerste geschraubten feindlichen Verhältniß unterrichtet gewesen, genügten auf ihn die Anklage des Mordes zu werfen. Noch im Laufe des nämlichen Tages ward er gefangen eingebracht und der richterlichen Behörde überliefert. Ich kann über sein Geschick ein Mehreres nicht sagen; durch Veränderung des Aufenthalts ist mir dasselbe aus dem Sinn gekommen, doch hat er jedenfalls unter dem Yatagan des mit den Executionen für Eingeborene betrauten Schahous (Gerichtsdieners) sein Leben verhaucht.

Gegen 11 Uhr Vormittags war die „Fantasia“ zu Ende, und so schnell als möglich suchten Alle die Kühle der Wohnungen, der Zelte oder des Palmenwaldes, der in unabsehbarer Weite die Südseite um Biskra bedeckt. Ich gehörte nebst mehreren Freunden zu Denen, welche diesen letztern Aufenhalt dem dumpfigen Zimmer vorzogen. Dort, unter dem Dache riesiger Palmenblätter und zur Seite einer lustig murmelnden Quelle der Oasis ließen wir uns das Mittagsmahl serviren und saßen dann bei Pfeife, Mokka und unterhaltendem Gespräch, bis es Zeit war zum Feuerwerk zu gehen, zu dessen Beginn der im Augenblick des Verschwindens der Sonne auf den Wällen des Forts abgefeuerte Kanonenschuß[1] das Zeichen geben sollte.

Wie so eigen doch das Leben der Menschen ist und wie wahr das Wort, daß man stets bereit sein müsse, vor den höchsten Richter zu treten, zeigte mir dieser Tag. Unter den in unserm gemüthlichen Kreise unter den Palmen lustig und guter Dinge Seienden befand sich auch ein liebenswürdiger, junger Mann; sein Name war Müller, er war gebürtig aus Bautzen oder aus Görlitz, nicht sicher bin ich aus welcher dieser beiden Städte, doch aus einer derselben bestimmt; er war Sergeant-Major (Feldwebel) einer Compagnie von Voltigeuren des zweiten Regiments der Fremdenlegion,

welche augenblicklich im Fort garnisonirte. Müller (authentischer

  1. Während der Dauer des vierzigtägigen Ramadhan verbietet das mohammedanische Gesetz jeden körperlichen Genuß, er habe Namen, wie er wolle, in der Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. In allen Garnisonsplätzen Algeriens läßt - um sich den Arabern gefällig zu erzeigen – die französische Regierung im Moment des Sonnenuntergangs einen Kanonenschuß lösen, welcher den Gläubigen das Signal zum Ende der Entbehrung und zum Beginn des Genusses ist.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_728.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)