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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

verhindern hatten, daß die Ueberraschung nicht in die Brüche gehe. Constanze selbst mußte ein kleines Unwohlsein vorschützen, um daheim bleiben zu können, bis die Mutter sich entfernt hatte. Jetzt stand sie in der Schweizertracht, ein wahrer unschuldsvoller Engel, im Garderobezimmer vor mir da und rückte sich vor dem Spiegel vollends zurecht, während draußen die Ouverture begann. Ich selber prangte im Costume des Peter, denn um die Vorstellung möglich zu machen, hatte ich, unbeschadet meiner Controllorschaft, mich herbeilassen müssen, die Tölpelpartie zu singen. Da sah ich mit Verwunderung, wie die Thüre aufging und durch die Spalte das langweilige Gesicht des Amtsdieners halb verlegen und halb ängstlich hereinsah. „Ach, Ihr Gnaden, Herr Controllor,“ rief er, als er mich erblickte, „kommen Sie doch in Eile herüber aufs Amt. Ein französischer Courier ist angekommen. Der Herr Landrichter ist verreist, wie Sie wissen. Der Courier will Pferde und seinen Paß visirt haben. Er muß in einer halben Stunde wieder fort.“

„Er ist ein Esel, Kratzdorn,“ entgegnete ich ihm mit aller Ruhe, deren ich in dem kritischen Augenblick fähig war. „Die Pferde habe ich nicht im Sacke bei mir, für die soll der Posthalter sorgen, und daß ich hier nicht weg kann, wird er begreifen. Die Ouverture ist aus, der Vorhang geht im Augenblick auf, ich habe die erste Scene und muß hinaus. Und wenn das nicht wäre, soll ich vielleicht hinaus und das löbliche Amt in dem Hanswurstenanzug prostituiren, den ich anhabe? Der Courier soll seine Papiere schicken …“

„Aber das will er nicht,“ jammerte der Diener. „Er giebt sie nicht aus der Hand … er macht ein fürchterliches Gesicht, und wenn Sie nicht bald kommen, giebt’s sicher ein Unglück!“

In dem Augenblick klingelte es draußen, und der Vorhang stieg empor. „Der Franzos soll sich menagiren; er ist auf kaiserlich österreichischem Boden und nicht etwa in Feindesland … Ich muß hinaus …“

Ich rannte auf die Bühne, spielte und sang mein Duett, so gut ich es in der Verwirrung vermochte, und eilte wieder ab, höchst begierig, welche Antwort der leidige Kratzdorn mir inzwischen zurückgebracht haben werde, aber zu meinem Staunen kam er nicht mehr. Inzwischen war es draußen fortgegangen, und Emmeline war aufgetreten. Sie sang so schön, daß ich bald an nichts andres mehr dachte und an den Courier erst wieder erinnert wurde, als am Schlusse des ersten Actes der Kratzdorn wieder kam, diesmal aber mit vergnügt lächelndem Gesichte. „Es ist gut gegangen,“ sagte er. „Der Franzose mußte erfahren haben, wo Sie sind, und war mir nachgekommen in aller Rage. Die Komödie aber hat ihn besänftigt, wahrscheinlich hat er so etwas noch nie zu sehen bekommen. Er sitzt nun draußen und läßt Ihnen sagen, er habe zuerst vorgehabt, in Bayerbach Rast zu machen; nun wolle er es hier thun und sich die Oper mit ansehen. Wenn’s aus ist, will er wegen seiner Papiere mit Ihnen reden.“

Nun ging es ohne Störung zu Ende, unter ungeheurem Beifall, und der Beifall war nicht mehr als natürlich, denn eine solche Emmeline ist wohl auf keiner Bühne gesehen und gehört worden. Was sind all’ die künstlichen Schöpfungen, die man in den Treibhäusern zieht – das war eine freie Waldblume, wie die einfache Natur sie giebt: das war keine Künstlerin, welche sich zur Emmeline macht, das war Emmeline selbst. Auch meine Katharin war davon ergrisfen. „Mädchen,“ sagte sie, indem sie sie auf die schöne Stirne küßte, „wie kommst Du mir dazu? Du trägst einen edlen Genius in Dir; er kann das Glück Deines Lebens sein, wenn Du ihn nicht verscheuchst … Aber Eins bitt’ ich Dich, von den Bretern bleibe mir weg und laß den heutigen Beweis Deines Talents genug sein. Die Breter verführen und ziehen ab, bewahre Du Deinen ganzen Reichthum für Dich und schmücke damit, wie jetzt das Haus Deiner Eltern, so dasjenige, das Dich einst als Frau empfangen wird.“

Gerührt umarmte sie die Tochter und gelobte, was die Mutter verlangte. Bald war der Theaterputz abgelegt, und wie es Brauch war, versammelte sich Alles, was mitgewirkt hatte, und auch ein Theil der Zuschauer in einem Saale des Hauses. Dieses Nachkosten des Genossenen bei einem Glase wärmenden Bischof bildete den nothwendigen und angenehmen Schluß jedes Theaterabends.

Erst wie man da in langer bunter Reihe lachend und plaudernd beisammensaß, wurde ich wieder an den französischen Courier erinnert und zwar durch ihn selbst. Er trat ein, von dem fatalen Kratzdorn geleitet, und brachte nicht geringe Bewegung in die Gesellschaft. Er war ein Mann von ungewöhnlicher Schönheit, den die Obersten-Uniform der Chasseurs unvergleichlich kleidete. Ich wußte natürlich, warum er kam, und eilte ihm pflichtschuldigst entgegen, um die so lange verschobene Paßvisa nachzuholen und mich wegen der Zögerung gebührend zu entschuldigen. Aber ich hatte mich getäuscht, denn der Oberst fragte nicht nach mir, sondern nach – Emmeline. Ehe es mir möglich gewesen war, mir für meine Explicationen Gehör zu verschaffen, hatte er die Gesuchte bereits gefunden. Er stellte sich ihr und der neben ihr sitzenden Mutter mit dem leichten soldatischen Anstande vor, den der Krieg lehrt; im nächsten Augenblicke saß er schon neben Constanzen und war mit ihr, die genügend französisch sprach, in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Ich postirte mich natürlich in die Nähe, aber ich stand geraume Zeit unbeachtet nebenan, wie ein verirrtes Fragezeichen. Erst als Kratzdorn hinzutrat, den der Oberst schon als ein Anhängsel der Ortsobrigkeit kannte, und als er durch Gebehrden und Fingerzeige mich ihm vorgestellt hatte, wendete sich derselbe nach mir um. Ich hatte schon die Miene in die gehörigen Autoritätsfalten gelegt, als er mich fester in’s Auge faßte und mich offenbar von der Bühne her erkannte. „Ah,“ rief er lachend, „das ist Monsieur Pierre, nicht wahr? Ich danken Ihnen tausendmal. Sie haben mich sehr ergötzt, Sie waren sehr drollig!“ Dazu lachte er von Herzen und versicherte mich einmals über’s andere, wie sehr ich „drôle“ gewesen sei. Ich fing schon an, darüber empfindlich zu werden, als er wie einlenkend sein Portefeuille hervorzog und mir hinreichte. Es war Alles in Ordnung; Alphons de Faure, Oberst im Gardes-Chasseur-Regiment, Adjutant Sr. Majestät des Kaisers Napoleon, reiste in geheimen Aufträgen nach Wien. Ohne mir einen Blick zuzuwenden, nahm er das Papier wieder in Empfang, sah flüchtig hinein und fuhr dann angelegentlich in seiner Unterhaltung mit Constanze fort. Es hatte den Anschein, als sei Niemand außer ihr im Zimmer; und es war doch eine beträchtliche Anzahl von Respects-Personen des Ortes zugegen, welche auch Töchter besaßen und mitgebracht hatten, die in ihren Augen einer so besondern Aufmerksamkeit mindestens ebenso würdig gewesen wären. Ich fand es begreiflich, daß sie die Köpfe zusammen steckten und zischelten, denn abgesehn von meiner Tochter fing meine eigene Stellung an, mich jeden Augenblick mehr zu wurmen. Ich stand hinter dem Stuhle des Obersten wie ein angemalter Türke an einem Kaufladen, und begann dem noch immer in Amtsstellung hinter mir verharrenden Kratzdorn in deutscher Sprache ganz laut einige Ausrufungen zuzuschleudern, bei deren Gebrauch ich auf den festen Glauben sündigte, daß der Oberst nur französisch verstehen werde. Das Blut stieg mir in’s Gesicht und ich weiß nicht, was ich vielleicht gethan hatte, wären nicht die Klänge des Posthorns hörbar geworden, mit denen der Postillon von der Straße herauf bemerklich machte, daß ihm das Warten in der Novemberkälte nicht sehr angenehm war. Es war die Melodie des bekannten Volksliedes:

„’s Warten thuet weh, döß weiß’ ich scho,
Mach’ mer nur auf, sonst g’frier’ i o!“

Das half. Obwohl der Oberst aller Wahrscheinlichkeit nach den Text nicht kannte, erhob er sich rasch, wie Jemand, der sich plöttzlich an etwas Vergessenes erinnert, ergriff meinen Arm und führte mich bei Seite. „Ich habe mit Ihnen zu sprechen,“ sagte er im reinsten und geläufigsten Deutsch, das mir ein sehr empfindliches Frösteln verursachte, denn ich dachte nicht anders, als er werde sich über meine ausgekramte Blumenlese von Kraftausdrücken einen Commentar erbitten. „Rufen Sie gefälligst auch Ihre Frau Gemahlin und Ihre Tochter,“ sagte der Oberst, als wir in einer Fensterbrüstung angekommen waren. „Meine Zeit ist bis auf wenige Augenblicke um, und diese will ich benützen, um eine wichtige Angelegenheit in Ordnung zu bringen.“ – „Also eine förmliche Verhandlung mit Zeugen,“ dachte ich, indem ich den beiden Verlangten zuwinkte, die auch nicht säumten, mit nicht geringerer Neugierde hinzuzutreten. – „Sie werden über das, was ich Ihnen zu sagen habe,“ begann der Oberst, „minder erstaunt sein, wenn Sie bedenken, daß es den Soldaten in den immerwährenden Kriegen zur Gewohnheit wird, Alles rasch und, so zu sagen, im Fluge abzuthun. Ich bin Oberst, wie Sie sehen, und werde, wenn mich nicht früher eine Kugel trifft, in ein paar Jahren General sein; ich besitze ein anständiges Vermögen und bin aus einer guten elsässischen Familie – ich hoffe daher, daß Sie gegen meine Verheirathung nichts werden einzuwenden haben.“ – Ich sah den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_723.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)