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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Und doch hinkt dieser Vergleich wie jeder. War es auch keine Kleinigkeit, sich achtzehn Jahre lang vor dem Einfrieren zu schützen mit sehr geringer Einnahme, die immer gleich blieb, während der in Kindern ausgedrückte Segen Gottes sich stetig vermehrte, so trugen wir doch in uns, was wärmer hält, als der dichteste Flausrock – wir hatten uns aus Liebe geheirathet und das Sprüchwort vollkommen wahr gefunden: Jung gefreit hat keinen gereut.

Vielleicht – vielleicht auch nicht, erzähle ich ein anderes Mal von den ersten Anfängen meiner Jugend, die wahrlich nicht auf Rosen gebettet war. Das Mittelste von fünfzehn Kindern, zählte ich achtzehn Sommer, als ich Wien verließ, um als wirklicher Actuar auf einer herrschaftlichen Besitzung des grünen Innviertels einzutreten. Erlaßt mir’s, die Freuden eines solchen Actuariats zu schildern. Sie sind heute noch nicht die schönsten, aber damals wäre es fast nicht zum Aushalten gewesen, wenn nicht ein Engel, in Gestalt eines schönen Mädchens, meiner Katharina, die als Kammerjungfer auf dem Schlosse der Gräfin diente, mir trotz aller Qual einen Himmel auf Erden geschaffen. Wie auch der alte Drache, die Baronin, aufpaßte, wie sie mich auch mehrere Male anredete: „Er scheint mir auch ein echtes Wiener Frücht’l zu sein, laß’ Er mir die Mädels im Schlosse ungeschoren, wenn wir gute Freunde bleiben sollen – vor allen meine Katharina hier“ – wir wußten uns doch zu finden, von Blicken kam es zu Händedrücken, dann zu Erklärungen, und bald wechselten wir den Schwur ewiger Liebe. –

Theure Katharina, treue, liebevolle Gefährtin meines Lebens, meine Hand zittert, da ich dieses in der Einsamkeit niederschreibe, in der Du mich zurückließest! Ich feiere sie in diesem Augenblicke wieder, die Weihestunde unseres Glücks; wir sind wie Tamino und Pamina durch Wasser und Feuer gewandelt – aber wir haben unseren Schwur gehalten wie sie!

Leider ließ der Argwohn nicht nach, uns zu beobachten und zu verfolgen, wenn man uns auch nichts Bestimmtes nachzusagen vermochte. Ich erkannte es daraus, als mir eines Tags die Baronin zufällig im Schlosse begegnete und mich von oben bis unten musternd vor mir stehen blieb. „Er Windbeutel,“ sagte sie dann, „hört nicht auf, meiner Katharina dummes Zeug in den Kopf zu setzen. Ich sag’ es Ihm jetzt zum letzten Male – und wenn ich Ihn erwische, daß Er mir das Mädel nicht in Ruhe läßt, so jag’ ich Ihm eine Kugel durch den Kopf.“

Damit ging sie; ich aber blieb in der größten Entrüstung zurück. Das war zu viel, das war ein Eingriff in meine Menschenrechte, der mich aller Bedenklichkeiten überhob, und ich beschloß, der Sache rasch ein Ende zu machen. Ich hatte Aussicht, in Wien eine kleine Stelle zu erhalten; ich sprach mit Katharina, die mit Allem einverstanden war, und wenige Wochen darnach kam meine Bestallung mit einem so großen Siegel, als ob ich Minister geworden wäre. Die Frau Baronin wüthete zwar und drohte wieder mit dem Erschießen, als ich und Katharina mit mir den Abschied nahm, aber nun kehrte ich mich nicht mehr daran, nahm meine Braut unter’m Arm und kutschirte nach der Trauung mit ihr überselig nach Wien. Zu einer solchen Reise von mehreren Tagen gehörte damals eine Art von Heldenmuth, und es war die volle Begeisterung einer beiderseitigen ersten und glücklichen Liebe, erforderlich, um sich auf dieselbe sogar zu freuen, wie wir es thaten. Man fuhr damals in sogenannten Zeiselwagen, einer Art Fuhrwerk, wie man sie vor den Linien von Wien immer noch antrifft. Nur waren damals in diesen Fuhrwerken noch keine Bänke angebracht. Ueber einen gewöhnlichen Bauernwagen wurden Reife gespannt und über diese eine große Plache gezogen, ähnlich wie es heutzutage bei Frachtwagen geschieht. In der dadurch gebildeten Röhre war dichtes Stroh aufgehäuft, darüber Decken gebreitet, und darauf saß oder lag oder kauerte die ganze zusammengewürfelte und durcheinander gerüttelte Gesellschaft. So war das Fuhrwerk beschaffen, auf dem wir die Hochzeitsreise antraten, und doch hätte uns die Neuheit des ungestörten Beisammenseins für Alles entschädigt, wäre es mir nur möglich gewesen, in der Maschine auszuhalten. Ich war kaum hineingekrochen und einige Zeit gefahren, als sich mir eine sehr lebhafte Vorstellung von jenem Zustande aufdrängte, den die Schiffer Seekrankheit nennen, und wohl oder übel – ich mußte heraus und zu Fuße nebenher wandern. So oft ich auch den Versuch wiederholte, es ging nicht; es kam mir vor, als steckte ich in einer Ofenröhre, um bei gelindem Feuer geschmort zu werden, und trotz des Regens, der am zweiten und dritten Tage nicht fiel, sondern goß, schritt ich neben dem Wagen her, der glücklicher Weise nicht die Gewohnheit hatte, sich zu übereilen. Ich kam mir vor wie Nährvater Joseph auf den Bildern, welche die Flucht nach Aegypten darstellen und auf welchen ich denselben auch nie reitend oder fahrend gesehen habe, sondern immer nebenher wandelnd und den Esel am Zügel führend. Mein einziger Trost war, wenn meine Katharina hie und da durch eine Spalte des Bratrohrs ihr liebes Gesichtchen zeigte oder mir die Hand herausbot, um sich zu überzeugen, daß ich weder vom Regen verschwemmt, noch im Kothe versunken sei.

Endlich war Wien erreicht und die Trübsal war aus – wie ja seitdem auch meine Freude „aus“ geworden ist. Aber nun begann eine selige Zeit, eine Zeit der Arbeit und der Sorge, denn es galt, zu erwerben und dem so rasch gebauten Hause einen dauernden Grund zu untermauern – eine Zeit des vollsten Glücks, denn die Monate und Jahre bewiesen, daß wir Beide in der raschen Wahl nicht fehlgegriffen hatten. Anfangs ging es freilich schwer und langsam, aber es ging doch – und es war nicht recht, daß ich oben diese Zeit mit einer kalten, nächtlichen Winterwanderung verglichen habe. Es war Frühling, doppelter, dreifacher Frühling … der Natur, des Lebens und der Liebe; aber jetzt, da ich dies schreibe, ist es Winter um mich, dreifacher Winter, in dem Du mich nicht hättest so allein lassen sollen, liebe Katharina; ach, gerade zu dieser letzten Winterwanderung hätte ich Deine weiche, liebende, sorgende Hand am meisten bedurft!

… Wir hatten uns allgemach aus der Entbehrung zu dem Zustande emporgearbeitet, daß wir hatten, was wir brauchten; heimsten und trugen wir doch Beide einmüthig ein wie die Bienen. Zumal seit wir in Schärding waren, gelangten wir schon zu jenem Grade von Wohlhabenheit, die für die Zukunft zurückzulegen vermag. Ich war mit Frau und sechs Kindern wohlgekleidet; die Miethwohnung, die wir inne hatten, war reichlich und anständig eingerichtet. Stattliche, „feternde Betten“ standen herum, in den Schränken hatte sich manches Stück Leinwand angesammelt, der Keller und die Vorratskammer war gefüllt, und was die Hauptsache war, in meinem Arbeitszimmer im Landgerichtsgebäude lag wohlversperrt in meinem Pulte ein kleines Etui von rothem Maroquin, und in diesem ein nicht unbeträchtliches Sümmchen, das wir erübrigt hatten, und das alle Anlagen zu gutem Wachsthum verriet.

Wir waren darum freudig im Gemüth, und als der Katharinentag des Jahres 1808 herankam, war ich, wie jedes Jahr, darauf bedacht, diesen Tag als einen Ehrentag meines guten trefflichen Weibes durch ein Fest zu begehen. Diesmal hatte ich mir etwas ganz Besonderes ausgesucht. Unsere älteste Tochter Constanze war ein Mädchen von sechzehn Jahren, gut, sanft, liebenswürdig, zu Allem geschickt und von so hoher Schönheit, daß ich es wohl sagen darf, wenn ich auch ihr Vater bin … oder vielmehr war, denn sie hat ja auch schon lange vor uns fortgemußt in der schönsten Pracht ihrer Jahre! Sie war das leibhafte Abbild ihrer Mutter, aber doch geistig wie körperlich noch veredelt und verklärt, und von einer Anmuth umgeben, die ihr alle Herzen gewann. Sie war darum auch der Augapfel des ganzen Hauses, und wenn sich in demselben, wie das ja überall vorkommt, ein Wölkchen zusammenziehen wollte, so durfte sie sich nur an’s Clavier setzen und ein Lied zu singen anfangen, so war Alles ausgeglichen. Es war unmöglich, dem seelenvollen Ton ihrer schönen Stimme, der bewußtlosen Kunst ihres Gesanges zu widerstehen. – Darauf hatte ich meinen Plan gebaut. Die Honoratioren der Stadt hatten zur erlaubten Gemüthsergötzung in den langen Wintermonaten ein Liebhabertheater eingerichtet, bei dem auch ich mein komisches Talent geltend machte. Zwar geschah das unter stetem Widerspruche meiner Katharina, die dem Theater und Allem, was damit zusammenhing, nicht grün war, aber sie mußte das wienerische Blut in meinen Adern gewähren lassen. Ich hatte veranstaltet, daß man die Schweizerfamilie gab und Constanzen war die Rolle Emmelinens zugetheilt. Es war das erste Mal, daß sie die Bühne betreten sollte, und mit dieser Talentprobe ihrer Tochter sollte die Mutter überrascht werden.

Der Abend der Vorstellung war herangekommen, ohne daß Katharina, die sich um das Theaterwesen wenig kümmerte, gemerkt hätte, was vorging, denn Constanze hatte die Partie außer dem Hause bei dem alten Lehrer einstudirt, der zugleich das Orchester leitete. Der Zuschauerraum war überfüllt, und Katharina saß vorne in der ersten Reihe zwischen zwei vertrauten Nachbarinnen, die zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_722.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)