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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

unter Zuziehung anderweiter Lehrkraft unterrichtet und im Winter 1831 ein besonderes Local für fünfzehn Schüler gemiethet, im nächsten Winter aber bereits Abtheilung der Schüler in Classen nothwendig wurde. Die braunschweigische Regierung gewährte der jungen Anstalt Schutz, Aufmunterung und einige Unterstützung, und „so“ – schreibt der verstorbene braunschweigische Oberbaurath Liebau – „entstand, durch offenkundiges Bedürfniß hervorgerufen und darum auf der festesten Grundlage beruhend, die Baugewerkschule zu Holzminden.“

Die Anstalt blühte rasch empor. Im Jahre 1840 zählte sie bereits 151, 1850 224, 1855 393, 1857, bei ihrem fünfundzwanzigjährigen Jubiläum, 480, 1860 531 Schüler. Die Lehrkräfte stiegen von 5 auf 33 Personen. Bei der angegebenen Schülerzahl darf nicht unerwähnt bleiben, daß besondern in den letzten Jahren wegen mangelnder Localitäten Hunderte von Angemeldeten abgewiesen werden mußten.

Die Baugewerkschule zu Holzminden.

Die Anstalt zerfällt in drei Classen, denen seit einigen Jahren eine sogenannte Meister- (Repetenten-)Classe und eine Parallelabtheilung für Maschinen- und Mühlenbauer beigeordnet ist. Die Classen selbst sind bei der bedeutenden Schülerzahl ebenfalls in parallele Abtheilungen gesondert. Eine Prüfung in Betreff der Aufnahme findet nicht statt, und es läßt sich bei der sehr verschiedenen Kenntnißstufe der Eintretenden ein fruchtbarer Unterricht in vielen Zweigen nur dadurch erreichen, daß weniger durch allgemeine Vorträge, als auf jedes Individuum einzeln gewirkt wird. Dieses Princip ist bisher, freilich nur mit einer verhältnißmäßig großen Lehrerzahl, im Allgemeinen von erfreulichen Erfolgen begleitet gewesen.

Gelehrt werden neben den gewöhnlichen Elementarkenntnissen und Fertigkeiten niedere Mathematik, die Grundsätze der Mechanik und Physik, darstellende Geometrie, Bauconstructionen, Entwerfen und Veranschlagen von Gebäuden, freies Handzeichnen (dieses sehr und, wie wir glauben, mit Recht betont), die gewöhnlichen ästhetischen Formen der Baukunst, Modelliren von Constructionen in Holz und Gyps, sowie Bossiren von Ornamenten in Thon. Die Schule gewährt – und das ist das Eigenthümliche an ihr, was alle Beachtung des Pädagogen und Volkswirths gerade in Bezug auf derartige Hochschulen verdienen möchte – außer dem eigentlichen Unterrichte freie Wohnung, Heizung und Licht, Mittag- und Abendtisch, Wäsche, Schreib- und Zeichenmaterialien, ärztliche Pflege etc. Der Preis dafür belauft sich derzeit auf 60 Thaler für die fünf Wintermonate.

Im Sommer ist die Schule geschlossen. Mit den im Frühjahre aus Süden kommenden Zugvögeln wandert der Schüler in die Fremde, um bei lustigen Hammer- und Axtschlägen wieder zu erholen von dem langen angestrengten Sitzen, zugleich aber auch um den Seckel wieder zu füllen, der den Winter über trotz aller Sparsamkeit ziemlich leer geworden. Hierbei giebt es noch der Anklänge viele an die so vielfach und mit ebensoviel Unrecht als Recht verschrieenen Handwerks-Brüderschaften, die bei allem leeren Formenkrame und vielfachen Mißbräuchen immer noch den erwärmenden Geist erkennen lasten, der viele Jahrhunderte früher die Genossen der freien königlichen Kunst vereinte.

Der Gründer der Anstalt, Friedrich Ludwig Haarmann, steht derselben noch jetzt mit regem Eifer und in unermüdlicher Thätigkeit vor. Er wird sich diesem Berufe, nachdem er den Mittheilungen des letzten braunschweigischen Landtags zufolge ausschließlich mit der Direction der Anstalt betraut werden wird, ungetheilt hingeben können.

Dem erfreulichen Stande der Schule sieht man es nicht an, daß auch sie ihre Kämpfe nicht blos hatte, sondern noch hat, und daß es der Sorgfalt eines Vaters bedurfte, der das Leben seiner Kinder hütet, um die Stürme abzulenken, welche die Anstalt in ihrer Entwickelung bedrohten. Wir glauben hierbei beispielsweise erwähnen zu müssen, daß der Vorsteher die Ausgaben für eine so unbedingt nöthige Gasanstalt, die er nach wiederholt abgeschlagenen Bitten aus eigenen Mitteln bestritt, erst nach Jahren von der Regierung zurückerstattet bekam; ferner daß zu Anfang der vierziger Jahre die von Freunden der Anstalt beim Landtage gestellten Bitten um reichlichere Unterstützung aus Staatsmitteln, die durch das Blühen der Anstalt und durch die bedeutenden Unterstützungen andrer Schulen hinlänglich motivirt waren, an dem vorgeschützten Umstände scheiterten, daß weder der Director Theolog sei, noch die Anstalt unter Aufsicht des Consistoriums stehe.

Und doch ließe sich mit einigen Tausenden von Thalern zum noch größern Aufschwung der Anstalt unendlich viel thun. Wird aber die braunschweigische Regierung, bei einem Besuche der Schule von nur 30 Landeskindern, diese Summe auf dem Altare des größeren Vaterlandes niederlegen? Oder ist zu erwarten, daß die Staaten, denen nachweislich das größere

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_716.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)