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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


Vom verlassenen Bruderstamme.

2. Ein deutscher Märtyrer in Schleswig.

In der Stadt Sonderburg starb an einem warmen und sonnigen Frühlingstage dieses Jahres in tiefer Armuth ein wahnsinniger und schwer kranker Mann. Nur im ganz hellen Sonnenlicht und gestützt auf zwei Stöcke war der Unglückliche im Stande, einige Schritte zu gehen. Das Licht seiner Augen reichte in den Momenten, wo nicht die finstere Nacht des Irrsinns seine Seele umdunkelte, nur bis zu dem Stück Boden, auf dem seine schwankenden Füße standen; wenn aber der Wahnsinn mit seinen schwarzen Fittichen heranzog, dann träumte er, er sei ein steinreicher und glücklicher Mann, besitze viele Millionen in Gold, Perlen und Diamanten und wohne in einem glänzenden, mit orientalischem Luxus ausgestatteten Schlosse, bis die Gestalten dänischer Gensd’armen und Soldaten ihn aus seinen Prunkgemächern jagten und in die elende Wirklichkeit voll Armuth, Blindheit und Elend zurückstießen.

Der Unglückliche hat mehrere schreckliche Jahre in diesem Zustande verlebt, bis der Todesengel, mitleidiger als der Wahnsinn und die Dänen, ihn endlich, als der Frühling wieder mit frischem Grün, mit schimmernder Blumenpracht und mit süßem Blüthenduft von Neuem über die schönen Küsten von Alsen wehte, aus seinen Qualen erlöste.

Der Unglückliche war nicht immer so arm und elend gewesen. Einst war er ein reicher, glücklicher Mann, weithin angesehen und geachtet in Schleswig, Holstein und Jütland, ein Mann von Energie, Intelligenz und reichem geistigen Wissen, in den letzten zehn Jahren ein tapferer Kämpfer unter den Deutschen in Schleswig. Es war der Apotheker Karberg aus Apenrade. Jedermann in Schleswig kennt seinen Namen und nennt ihn mit Hochachtung und einem Gefühle innigen Mitleids. Wenige aber kennen die Qualen und Martern, denen sein energischer Geist endlich unterlag. Er war ein Opfer von Gewaltthaten, welche sich die österreichische Regierung in Venetien und in der Lombardei niemals erlaubt hat; sein zerstörtes Leben ist unter die Acte dänischer Gerechtigkeit zu zählen, welche in Schleswig während der letzten zehn Jahre vielfach an Deutschen Angesichts Deutschlands verübt worden.

Der Apotheker Karberg kam im Jahre 1848 in das Land. Er hatte die Apothekerkunst in Lübeck erlernt, studirte Pharmacie in Kiel und Berlin, erhielt in dem Staatsexamen, welches er im Jahre 1831 vor dem Sanitätscollegium in Kiel ablegte, die erste Nummer und kehrte im Besitz eines Vermögens, welches er theils erheirathet, theils als Apotheker in Wiltingen in Hannover erworben hatte, in die Heimath zurück, um die Apotheke in Apenrade für eine Summe von 48,000 Thaler anzukaufen. Die Apotheke war immer eine der besten und einträglichsten im Lande. Und doch starb der Wahnsinnige in Sonderburg als ein armer Mann, dessen elendes Leben nur durch die Wohlthaten seines Bruders und Schwagers erhalten wurde. – Und wer waren diejenigen, welche ihn, den einst reichen, glücklichen und angesehenen Mann in diese Armuth und in diese Nacht von Irrsinn und körperlichen Schmerzen gestoßen hatten? Es waren die dänischen Beamten in Schleswig. Ich werde sie im Laufe meiner kurzen und traurigen Erzählung mit Namen nennen. Sie thaten das, was sie thaten, mit Bewußtsein, mit Absicht, ohne Erbarmen, ohne Mitleid! – Ein Mann, dessen Name in dem schleswig-holsteinischen Lande als Arzt, als wissenschaftlicher Schriftsteller, als Mensch und als Streiter für das Recht und die Freiheit seines heimathlichen Bodens hochgeehrt ist, übergab mir auf meiner Reise durch die Herzogthümer ein Manuscript, welches eine actenmäßige Darstellung der an dem Apotheker Karberg verübten Vergewaltigung enthielt.

Vor des Unglücklichen Tode hatte er nicht gewagt, es zu veröffentlichen. Er fürchtete, daß man aus Rache über die Veröffentlichung neue Gewaltthaten an dem Unglücklichen verüben könne. Als das Opfer dänischer Gerechtigkeit in Schleswig ausgelitten hatte, da versuchte er das Manuskript drucken zu lassen. Aber kein Buchhändler und kein Buchdrucker wagte, das Manuscript zu drucken. Er übergab es mir sodann mit der Bitte, in Deutschland diesen Fall dänischer Gerechtigkeit zu veröffentlichen, und ich erfülle nun seinen Wunsch durch Freund Keil in der gelesensten Zeitschrift in Deutschland, vor einem imposanten Publicum von mehr als Hunderttausend, damit man in Deutschland wissen möge, in welcher Art und Weise in Schleswig von den dänischen Beamten und Polizisten mit Deutschen umgegangen wird. Ich füge hinzu, daß meine Darstellung in den Thatsachen sich dem mir vorliegenden Manuscript genau anschließt, daß sie also ebenfalls actenmäßig ist, daß ich aber absichtlich meine Erzählung jedes rhetorischen Schmuckes entkleide. Man erstaune aber nicht; man wundere sich nicht über eine Reihe von Ungerechtigkeiten und administrativen Gewaltthaten.

Die Karberg’sche Vergewaltigung steht leider in der Leidensgeschichte des unglücklichen Schleswig nicht vereinzelt da. Mir sind viele ähnliche Dinge bekannt geworden. Von den vielen nenne ich hier nur zwei, die Vergewaltigungen, welche dem Apotheker Paulsen in Husum und dem Apotheker Funke in Quere widerfahren sind. Der Verlauf derselben war ein ganz ähnlicher; nur endete das Drama nicht so schrecklich. In der Schlußscene des letzten Actes trat dort nur die Armuth auf, nicht der Irrsinn und die Verzweiflung. Alle diese einzelnen Beispiele sind nur Fälle der konsequenten Verfolgung eines Princips. Das Princip ist die Danisirung eines deutschen Landes, und in diesem Princip liegt es, die Deutschen in Schleswig jeder Stellung als Aerzte, als Beamte, als Lehrer, als Geistliche zu berauben, sie zum Auswandern zu zwingen.

Apenrade ist eine sehr gewerbthätige und wohlhabende Stadt im nördlichen Schleswig. Neunzig Segelschiffe liegen in ihrem Hafen; ein einziger Rheder besitzt allein zwanzig Schiffe. In Apenrade war immer viel Intelligenz; aber in Apenrade wurden auch von jeher die deutschen Interessen mit großer Consequenz und Selbständigkeit vertreten. Das Apenrader Wochenblatt nahm immer in der die deutschen Interessen vertretenden Journalistik einen sehr ehrenvollen Platz ein. Deshalb hatten die Dänen auch einen bittern Groll auf die Stadt, und als die Schlacht bei Idstedt ihnen die Macht in die Hände gab, da fielen sie mit einer wahren Erbitterung über die deutsche Bevölkerung her. Sechsunddreißig Preßprocesse und über hundert Confiscationen tödteten das Leben des Apenrader Wochenblattes. Der Apotheker Karberg wurde aber besonders von ihnen gehaßt, weil er deutsche Sitte und Intelligenz mit Energie und mit dem Besitz eines bedeutenden Vermögens verband. In den Jahren 1848 bis 1850 war er Commandeur der Bürgerwehr gewesen, und hatte sich als solcher durch mehrere energische Handlungen, welche ihm die Dänen nicht vergessen konnten, ausgezeichnet. Seine Betheiligung an der politischen Bewegung in den Herzogthümern war indeß niemals von Bedeutung gewesen, weil schon damals die ersten Spuren eines Rückenmarkleidens bei ihm auftraten. Nach dem Erlaß des Amnestiepatents vom 8. Juli 1851 kehrte Karberg nach Apenrade zurück.

Er war kaum angekommen, da begannen schon die kleinlichen Plackereien, denen alle Amnestirte ausgesetzt waren. Die Maßregeln, welche die österreichische und päpstliche Polizei in Italien gegen politisch Compromittirte anwendet, und welche man unter dem Namen des Precetto zusammenfaßt,[1] wurden auch in Apenrade in Scene gesetzt. Sie wurden in der Stadt confinirt und es wurde ihnen bei schwerer Geld- und Gefängnißstrafe verboten, ihre Gärten vor der Stadt zu besuchen. Abends nach acht Uhr durften sie ihre Häuser nicht mehr verlassen; Nachts war es ihnen nicht gestattet, außer dem Hause zu schlafen. Alle drei Tage wurden sie vor den Polizeimeister zu einer bestimmten Stunde vorgeladen, um ihre Anwesenheit in der Stadt zu constatiren. Wehe ihnen, wenn sie nicht auf die Minute erschienen! Drei Thaler, acht und mehr Thaler Strafgelder waren die Folge jeder Versäumniß, und der Executor erschien am andern Morgen, um das Geld abzuholen. Waren sie aber zur vorschriftsmäßigen Zeit erschienen, dann ließ man sie stundenlang warten. Der Apotheker stand unter denen, welche in dieser Weise gemaßregelt wurden, obenan; ja, man dehnte das Precetto bei ihm noch in einer unerhörten Weise aus. Täglich mußte er der Polizei ein Verzeichniß sämmtlicher an ihn ankommenden Briefe einreichen, und in diesen, Verzeichnis; auf das Genaueste Ort und Namen des Absenders angeben. Da alle Briefe auf der Post erbrochen wurden, so wurde die Controlle seiner Angabe sehr leicht. Schwere polizeiliche Strafen trafen ihn, sobald er eine unrichtige oder falsche Angabe gemacht

  1. Ueber das Precetto s. „Frei bis zur Adria“. Leidensgeschichte Italiens etc. von Gustav Rasch. Capitel: Venetien, Modena, Rom.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_712.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2022)