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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und Geburt eingeräumt hatte, herbeigebracht war und in der Versammlung erschien. Er trat endlich zwischen den beiden Dienern ein, ein wenig bleich, ein wenig angegriffen und jedenfalls viel weniger übermüthig aussehend, als damals, wo er mit Aglaë unter den schattigen Wipfeln der Allee gelustwandelt war und sich dem Zauber hingegeben hatte, den die Nähe der schönen, jungen Comtesse auf ihn übte.

Verlegenen Blickes betrachtete er die Herrschaften und nahte dann mit etwas unsicheren Schritten, um dem Reichsgrafen und seiner Tochter eine tiefe Verbeugung zu machen Cosimus aber trat rasch auf ihn zu und fragte halblaut:

„Wo sind die Briefe Teresa Solari’s? Können Sie sie dem Prälaten von Triefalten vorzeigen?“

Albrecht zuckte die Achseln.

„Man hat sie mir abgenommen,“ sagte er, „man wird sie zu den Acten der Untersuchung gelegt haben – wie auch mein Empfehlungsschreiben …

„Nun, so werden wir sie schon herausbekommen, wenn wir die ganze Untersuchung glücklich zu Ende gebracht haben“ – und mit diesen Worten nahm er Albrecht’s Rechte, schritt mit ihm auf seine Tochter zu, die in großer Bewegung kein Auge vom Antlitz Albrecht’s verwandt hatte, aber zugleich, auf die Lehne ihres Stuhles gestützt, so regungslos dastand, als wage sie ohne eine solche Unterstützung keinen Schritt zu thun – und dann nahm Cosimus die Hand seiner Tochter und legte sie in die Hand des jungen Grafen. Schüchtern und mit einem unbeschreiblichen Ausdruck wie Verzeihung flehend sah Aglaë zu Albrecht auf und flüsterte:

„Es ist nur um Ihretwillen – ergeben Sie sich darein – ich will Ihre Freiheit nicht binden, Sie bleiben unumschränkter Herr Ihrer Hand …“

Während dessen gab der Reichsgraf dem Prälaten einen Wink, und dieser trat an das Paar heran, legte seine Rechte auf die verbundenen Hände der beiden jungen Leute und sprach:

„Sie, Graf Albrecht von Werdenfels, und Sie, Gräfin Aglaë von Glimmbach, haben sich die Hände gereicht, um sich zu verloben zu einem ehelichen ewigen Bunde?“

Graf Albrecht blickte zuerst den Prälaten, dann Aglaë, dann den Reichsgrafen so bestürzt und überwältigt an, daß die junge Gräfin statt seiner das Wort nehmen mußte und halblaut mit zitternder Lippe antwortete: „Wir haben es!“

„So spreche ich, kraft meiner priesterlichen Gewalt,“ fuhr der Prälat fort, „über diesen von nun an unzertrennlichen Bund den Segen der Kirche aus. Möge Gott Sie segnen und kräftigen durch seine Gnade für die Erfüllung der Pflichten, die Sie von diesem Augenblick an übernehmen!“ Dann machte er Beiden eine Verbeugung und mit den Worten: „Ich gratulire Ihnen. Sie sind kirchlich Verlobte“ – trat er zurück.

Mit strahlend triumphirendem Antlitz aber trat jetzt Cosimus vor. Er legte die Hand auf die Schulter Albrecht’s, und sich der staunend dreinschauenden Rathsversammlung zuwendend, sprach er:

„Meine wohlweisen Herren, ich stelle Ihnen hier meinen Schwiegersohn, den Grafen Albrecht von Werdenfels, vor. Sie werden sich nun ihres freien Geleitsbriefes erinnern, in welchem derselbe jetzt als zu meiner Familie gehörig mit eingeschlossen ist.

Wir haben Brief und Siegel darüber, und mit Ihrer gütigen Erlaubniß wird derselbe jetzt mich ungehindert nach Hohenklingen heimbegleiten. Ich ersuche nur noch die Herren um diejenigen Briefschaften, welche sie ihm abgenommen haben und die sie ihm als sein unzweifelhaftes Eigenthum zurückzuerstatten schuldig sind!“

Es ist schwer, die Ueberraschung zu beschreiben, welche sich während dieses Vorgangs auf den Gesichtern der würdigen Väter der Stadt malte. Der Amtsbürgermeister sah starr vor Verwunderung in das Antlitz seines Collegen Schaumlöffel, und College Schaumlöffel stumm in das Antlitz seines Vorgesetzten; die Andern aber blickten ebenso stumm auf die Mienen der beiden würdigen Männer, nach deren Ansichten sie die ihrigen einzurichten seit je bestens geschult waren.

„Das ist aber unverantwortlich,“ rief endlich der Bürgermeister aus – „das heißt den ganzen in pleno versammelten Magistrat überlisten und überrumpeln wollen … das dulden wir nicht …“

„Nein, das dulden wir nicht“ – riefen jetzt alle versammelten Väter, wie vom Gefühle einer urplötzlich gekommenen Energie erfaßt.

Aber Syndicus Schaumlöffel, der rechtskundige, erhob sich, und alsbald legte sich der Sturm.

„Meine Herren Collegen,“ sprach er, „weder die Reichs- noch statutarische Gesetze verbieten es einem in Untersuchungshaft befindlichen Gefangenen, sponsalitia de futuro einzugehen; weder die Reichs- noch die kanonischen Gesetze verbieten es einem Priester, solche Verlöbnisse kirchlich zu segnen und zu festigen. Wir können dawider rechtlich keinen Einspruch erheben. Und da nun der Graf Albrecht von Werdenfels allerdings gegenwärtig zu der Familie Seiner Erlaucht gehören dürfte, so sehe ich für unser Gemeinwesen große und unabsehliche Weiterungen voraus, wenn wir der Erfüllung des von uns ertheilten Geleitsbriefes uns entziehen und es auf ein beim höchsten Reichs- und kaiserlichen Kammergericht zu impetrirendes Mandat wollten ankommen lassen. Mein unvorgreifliches Votum geht dahin: halten wir uns an den Spruch unsrer Vorvordern: „Ein Wort ein Mann!““

Es entstand nun eine stumme Pause in der Versammlung, die Cosimus der Zwanzigste dadurch abkürzte, daß er ohne Weiteres rief: „Ich danke den Herren, daß Sie mir also erlauben, jetzt wieder in guter Nachbarschaft mit Ihnen zu leben. Ich hoffe, Sie erweisen mir die Ehre, morgen am Verlobungsfest auf Hohenklingen meine Gäste zu sein, wo wir den alten Hader und Span gemüthlich in gutem altem Rheinwein ersäufen wollen. Aber nun bitte ich auch um die Papiere – geben Sie mir die Papiere heraus!“

Diese Rede der Erlaucht hatte etwas, das auf die noch immer stürmisch bewegten Gemüther unendlich beschwichtigend wirkte.

Der Syndicus befahl die Untersuchungs-Acten zu bringen, und die beiden Rathsdiener schleppten den ungeheuren Stoß herbei und warfen ihn auf den ächzenden Magistratstisch. Während nun der Amtsbürgermeister die von dem Reichsgrafen reclamirten Schriftstücke suchte, und der Syndicus sich anschickte, über Alles ein ausführliches Protokoll aufzunehmen, waren Aglaë und Albrecht in die tiefste Fensternische am obern Ende des Saals getreten, wo Albrecht, Aglaë’s Hand haltend, mit flüsternder Stimme zu ihr sprach:

„Und Sie sagten, ich solle nicht gebunden sein, der unumschränkte Herr meiner Hand bleiben, Aglaë? Das war Ihr Ernst nicht – wenigstens bin ich meinerseits zu solcher Großmuth gegen Sie, das erkläre ich Ihnen, nicht fähig – ich halte jetzt diese Hand fest, fest auf ewig, als die Bürgschaft eines überwältigenden, unsagbaren Glückes!“

Sie sah schüchtern zu ihm auf und dann beschämt zu Boden.

„Sie halten sie freilich so fest, meine arme Hand,“ sagte sie lächelnd, „daß ich darauf verzichten muß, sie wieder frei zu machen. Ich muß mich also gefangen geben – aber hoffentlich werden Sie nicht vergessen, wie es Gefangenen zu Muthe ist!“

„Niemals wenigstens,“ fiel Albrecht eifrig ein, „wie es einem Gefangenen zu Muthe ist, der so aus den Tiefen der Verzweiflung auf die höchste Höhe des Glückes gehoben wird – diesen Augenblick werde ich nie vergessen, nie, wie viel ich Ihnen schuldig bin – ein Leben voll Dankbarkeit kann es nicht lohnen!“

Aglaë fühlte eine warme Thräne auf die Haut fallen, welche Albrecht in diesem Augenblicke erhob, um sie an seine Lippen zu führen.

Elias Erchenrodt hatte unterdeß glücklich die verlangten Briefschaften aus dem Actenstoß hervorgesucht und überreichte sie feierlich dem Reichsgrafen. Dieser zog jetzt den Prälaten in ein zweites Fenster und übergab ihm dort die Briefe Fano’s.

„Meine Handschrift ist Ihnen bekannt?“ sagte er.

„Es ist allerdings Eurer Erlaucht Handschrift,“ versetzte der Prälat, indem er ruhig und langsam den Inhalt der Briefe überblickte. „Und diese Briefe haben sich im Besitze des Italieners gefunden, er hat sie mit dem Nachlasse seiner Mutter erhalten?“

„Fragen Sie den Grafen Werdenfels!“ erwiderte flüsternd Cosimus.

„So muß ich,“ hub der Prälat nach einer Pause, während welcher er fortgefahren war, zu lesen, wieder an, „so muß ich diesen Beweisstücken gegenüber meine Zweifel fahren lassen. Ew. Erlaucht mögen beruhigt sein, der Italiener wird morgen zu dem Verlobungsfeste auf Hohenklingen als erster der Gäste eintreffen.“

Cosimus schüttelte warm dem Prälaten die Hand.

„Dank, herzlichen Dank, Ew. Hochwürden – und …“

Der Reichsgraf legte den Finger auf den Mund. Der Prälat antwortete mit einem lächelnden Kopfnicken.

„Also, bis morgen!“ sagte Cosimus.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_703.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)