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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Das Bier.

Fränkische und baierische Lagerbiere.
Von Dr. Franz Döbereiner.

Bei der gesteigerten Consumtion der Lagerbiere und der hieraus hervorgehenden volkswirthschaftlichen Bedeutung derselben, ferner bei dem Einfluß, welchen der verbreitete Genuß dieser Getränke auf die Sitten, Lebensweise und Thätigkeit ganzer Nationen ausüben muß, ist es jetzt an der Zeit, das Wesen der Bereitung der Lagerbiere in allgemeineren Kreisen bekannt zu machen, und dieses erscheint um so nöthiger, als nicht selten unter diesem Namen Flüssigkeiten producirt und verabreicht werden, deren Genuß unbedingt als der Gesundheit nachtheilig, dieselbe untergrabend, den Geist erschlaffend zu erklären ist.

Die Materialien für die Bereitung der Lagerbiere sind Wasser, Gerste und Hopfen, ersteres als Verflüssigungsmittel, die Gerste als stoffgebender Körper und der Hopfen theils als Würze, theils als Bedingniß für eine gewisse Dauerhaftigkeit der Biere.

Das Wasser, welches zum Brauen verwendet wird, darf nur geringe Spuren von salzigen und erdigen Körpern enthalten, damit durch diese die lösende Kraft auf die Gersten- oder vielmehr Malzbestandtheile möglichst wenig beeinträchtigt wird.

Die Gerste – wie überhaupt jede Getreideart – besteht der Hauptsache nach aus Stärkemehl und Kleber neben der Hülsensubstanz und gewissen mineralischen Körpern. Kleber und Stärkemehl zeigen bei dem Zustand, wie sie in der Gerste enthalten sind, keine Wirkung auf einander. Tritt jedoch Feuchtigkeit hinzu, wie z. B. beim Einbringen der Gerste in die Ackerkrume, so wird der Keim belebt und der an der Basis desselben befindliche Kleber chemisch verändert. Unter anderen durch das beginnende Leben des Keimes aus dem Kleber erzeugten Producten ist eins befindlich, das in Wasser löslich ist und die merkwürdige Eigenschaft besitzt, das in Wasser unlösliche Stärkemehl je nach den Umständen in Traubenzucker oder in Gummi, die beide in Wasser löslich sind, zu verwandeln.

Dieses besondere Product aus dem Kleber wird bei Vorhandensein von Feuchtigkeit in allen Getreidearten gebildet und Diastas genannt. Es ist von der größten Wichtigkeit für alle diejenigen Operationen, in Folge deren aus mit Wasser vermischtem Stärkemehl oder irgend einem stärkemehlhaltigen Pflanzenkörper zuckerhaltige und für die weinige Gährung fähige Flüssigkeiten erzeugt werden. Das Diastas nämlich, in solche bis auf 60 bis 70 Grad C. erhitzte Gemische gebracht, ändert das Stärkemehl fast vollständig in Traubenzucker, bei einer niederen oder höheren Temperatur aber in Gummi um, wobei jenes nur in seinen Elementen umgesetzt, also keine Gewichtsveränderung veranlaßt wird, während bei der Zuckerbildung aus dem Stärkemehl zu den Elementen desselben noch Wasserelemente zu einem Ganzen zusammentreten. Die Bildung des Diastas aus dem Kleber der keimenden Getreidearten und sein Verhalten gegen Stärkemehl ist vor etwa dreißig Jahren ermittelt und alsbald technisch benutzt worden, um aus Stärkemehl eine concentrirte Traubenzuckerlösung darzustellen. Aber auch in der Brauerei haben die wissenschaftlichen Forschungen über Diastas einen großen Umschwung hervorgebracht, auf den wir später zurückkommen und hier nur bemerken wollen, daß dieser Umschwung nicht zum Besten der Bierconsumenten ausgefallen ist.

Bei der der eigentlichen Bierbereitung vorangehenden Umänderung der Gerste in Malz ist eben die Bildung von Diastas das Hauptmoment. Das Einweichen der Gerste in Wasser und das Uebereinanderlagern derselben in Haufen, wobei sich Wärme entwickelt, soll den Keim beleben und die rasche Bildung von Diastas veranlassen. Der Ueberhitzung der Gerste, wodurch das Diastas zerstört und sämmtliches Stärkemehl in Gummi verwandelt werden würde, beugt man durch Umschaufeln und größere Verbreitung, also Erniedrigung der Haufen vor. Erfahrungsmäßig ist bei einem gehörig geleiteten Malzen die größte Menge Diastas gebildet, wenn die Wurzelfäserchen die Länge des Gerstenkorns bis ein Drittel darüber haben. Die weitere Entwicklung derselben und des Blatttriebes wird nun durch schnelles Trocknen an der Luft (Luftmalz) ober auf der erhitzten Darre (Darrmalz) unterbrochen.

Während des Keimens der Gerste bereits wirkt das sich bildende Diastas auf einen Theil des Stärkemehls verändernd; es entsteht neben etwas Gummi viel Traubenzucker, weshalb ein gut bereitetes Malz einen auffallend süßen Geschmack besitzt. Die durchgreifende Umsetzung des Stärkemehls findet aber beim Einmaischen des Malzes statt. Diese erste Operation der eigentlichen Bierbereitung besteht darin, daß das gereinigte und geschrotene Malz fürerst mit lauwarmem Wasser angeteigt und dann der Teig mit Wasser von etwa 92 bis 94 Grad C. Temperatur vermischt wird. Die dickliche Maische zeigt nun 60 bis 66 Grad C. Wärme und wird hierbei unter Umrühren und Nachgießen heißen Wassers so lange erhalten, bis die zwischen den Hülsen befindliche Flüssigkeit hell und rein süß schmeckend geworden und das Stärkemehl verschwunden ist.

Von den beiden Umänderungsproducten des Stärkemehls durch Diastas ist nur der Traubenzucker der weinigen Gäbrung, d. h. bei einer geeigneten Temperatur und unter Gegenwart von Wasser und Hefen des Zerfallens in Weingeist und Kohlensäure fähig, während das Gummi, wenn nur eben die Bedingungen der Weingährung vorhanden sind, keine Veränderung erleidet. Ist in einer gegebenen Quantität Malzes durch sorgfältig geleitetes Einmaischen das vorhandene Stärkemehl möglichst nur in Traubenzucker verwandelt worden, so muß bei gehöriger Ausgährung ein weingeistreicheres und deshalb mehr berauschend wirkendes Bier resultiren, als wenn unter gleichen Gewichtsverhältnissen von Malz und Wasser bei der Einmaischung zugleich ein wesentlicher Theil des Stärkemehls in Gummi verwandelt worden ist. Wir wissen, daß das Gummi ein erwärmender, d. h. für die Respirationsthätigkeit wirkender Nahrungsstoff ist. Dasselbe wird nun nach Liebig’s Vorgang auch von dem Weingeist behauptet, und es würde dann, wenn die Behauptung wahr ist, diejenige Menge des Weingeistes, welche im Proceß der Gährung erzeugt wird, denselben Nahrungswerth haben, wie die zu ihrer Bildung erforderliche Zuckerquantität, oder wie diejenige Menge Gummi, welche statt des Zuckers bei der Einmaischung des Malzes gebildet worden ist. Gegen die Nahrungsfähigkeit des Weingeistes im Bier spricht aber die allgemeine Erfahrung, daß man sich nach dem Genuß eines körperreichen, d. h. eines stark gummihaltigen Bieres weit gesättigter fühlt, als nach dem von weingeistreichem Bier mit geringem Gummigehalt. Bier der letzteren Art wirkt zwar berauschender, verursacht aber bei einem nicht ganz mäßigen Genuß Schwächung der Verdauungsorgane, Eingenommenheit des Kopfes und die daraus entstehenden Uebel, bei fortgesetztem stärkerem Genuß aber noch weit gefährlichere Krankheitszufälle, wodurch der Körperzustand und die Geistesthätigkeit gänzlich untergraben wird. Ein nicht unbedeutender Gehalt von Gummi scheint zur normalen Beschaffenheit eines guten Bieres zu gehören, denn er tritt den abspannenden Wirkungen des Weingeistes entgegen, beschäftigt die Verdauungsorgane und wirkt dadurch erwärmend.

Diese letzteren Eigenschaften sind es gerade, welche die fränkischen und baierischen Biere so zuträglich machten und ihnen eine so bedeutende Verbreitung gaben. Diese Biere waren und sind zum Theil noch durch Erfahrung gefundene und als zweckmäßig sich zeigende Gemische von Weingeist und Gummi mit gewissen Malzbestandtheilen (unter denen die Erdsalze eine für die allgemeinere Nahrungsfähigkeit des Bieres nicht unwichtige Rolle spielen) und den aus dem Hopfen gezogenen Stoffen in Wasser gelöst. Da selbst bei der vorsichtigsten Leitung des Einmaischens die Bildung von Gummi unvermeidlich, aber ein gleichmäßiges Verhältniß zwischen diesem und dem gleichzeitig erzeugten Traubenzucker bei wiederholten Einmaischungsarbeiten nicht zu erzielen ist, so suchten die fränkischen und baierischen Brauer ein annähernd gleichmäßiges Verhältniß zwischen Gummi und Zucker dadurch zu erzielen, daß sie in einem Theil, gewöhnlich einem Drittel des Maischgutes, d. h. des mit lauwarmem Wasser angerührten und nachher mit heißem Wasser vermischten Malzschrotes, durch sofortiges Erhitzen bis zum Sieden die Bildung des Gummi’s vorwalten ließen, dagegen die übrigen zwei Drittel des Maischgutes so behandelten, daß aus dem Stärkemehl fast nur Zucker gebildet wurde, worauf beide Theile wieder vereinigt und weiter bearbeitet wurden. Sind beide Theile des Maischgutes zweckmäßig behandelt worden, so kann man darauf rechnen, daß die Umänderungsproducte des Stärkemehls in der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_697.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)