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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Charlotte Birch-Pfeiffer.

Es war im Jahre 1812, als eines Nachmittags ein älterer Mann in der Uniform eines höheren Beamten des baierischen Kriegsministeriums in Begleitung eines zwölfjährigen Mädchens durch die Corridors der königlichen Residenz in München den Gemächern zuschritt, welche König Max Joseph I. bewohnte. Der Mann war der königlich baierische Oberkriegscommissar Pfeiffer, das Mädchen seine Tochter. König Max hatte den wackeren Beamten, den er von Stuttgart berufen hatte, zu einer Audienz beschieden; das Mädchen war auf diesem Wege die Begleiterin, die Führerin ihres Vaters, denn der Vater war erblindet.

Es war ein Verwaltungsgegenstand, über welchen der König von seinem Beamten Bericht haben wollte. Obgleich des edelsten Sinnes beraubt, führte der Oberkriegscommissar dennoch seine Geschäfte fort und war um keinen Preis zu bewegen, seine Pension zu nehmen. Als der fragliche Gegenstand erörtert war, richtete der König seine Aufmerksamkeit auf das Mädchen, welches bisher im Hintergrunde des Audienzzimmers stehen geblieben war, wenn etwa der Vater irgend ihrer Hülfe bedürfte.

„Pfeiffer, ist das Deine Tochter?“

König Max pflegte nämlich diejenigen seiner Diener, welche ihm persönlich bekannt und werth waren, mit „Du“ anzureden.

„Majestät, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen meine Lieblingstochter vorstelle. Sie ist die Gefährtin meiner Einsamkeit, ich kann mit ihr von Allem reden und fühle mich in Allem von ihr verstanden.“

„Das ist schön, das ist brav von Dir, mein Kind,“ versetzte der König, das junge Mädchen in die vollen blühenden Wangen kneifend. „Wie alt bist Du denn?“

„Zwölf Jahre, Majestät.“

„Was, Mädchen? Hätt’ darauf geschworen. Du wärest in dem Alter der Auguste.“ Damit meinte der König seine Tochter, die jetzige Kaiserin-Mutter von Oesterreich, die um einige Jahre älter war. „Na, wie heißt Du denn?“

„Charlotte, Majestät, aber nur im Taufschein, für das gewöhnliche Leben heiß’ ich nur „Die Lottl“.“

„Blitz, da fällt mir etwas bei. Du bist wohl diejenige –? Die Königin hat mir’s erzählt, und der hat es der Schmidt, der Confirmandenlehrer, mit großer Heiterkeit mitgetheilt. Bist Du schon confirmirt?“

„Ich besuche eben den Unterricht.“

„Denn ist’s auch richtig.“

Der Vater sah bald den König, bald die immer verlegener werdende Tochter an. Der Oberhofprediger der Königin Caroline, Dr. Schmidt, ein vortrefflicher Mann, der, beiläufig erwähnt, zu der Zeit, als er nach München kam, im Jahre 1800, als Ketzer in ganz München keine Wohnung bekommen konnte, sodaß König Max sich genöthigt sah, ihn in die Residenz aufzunehmen, dieser Mann war der einzige Geistliche der damals noch kleinen protestantischen Gemeinde Münchens und leitete den Confirmandenunterricht. Er sprach eben mit seiner großen Begeisterungsfähigkeit von dem Leben nach dieser Erde und von den Freuden, die uns in der himmlischen Seligkeit erwarten, als plötzlich „die Lottl“ aufstand und an den von Eifer erglühenden Lehrer die schüchterne Frage richtete:

„Sie – Herr Oberhofprediger, woher wissen’s denn das so genau?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_693.jpg&oldid=- (Version vom 3.11.2022)