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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

daß Sie kommen würden, und sie hat ein Gesicht dazu geschnitten, als stecke ihr ein Knochen im Halse. Sie commandirt im Hause, Mrs. Lowell thut nur, was sie will, und selbst der Major mag oft nicht zu ihr reden, wenn sie ihr grimmiges Gesicht vorgenommen hat – es sind da auch noch andere Sachen, über die ich aber nicht reden mag,“ setzte sie hinzu, während es in ihrem Gesichte zuckte, als unterdrücke sie eine aufsteigende schmerzliche Empfindung.

Lucy hatte aufgehorcht, setzte dann das Kind auf ihrem Arme in den Schaukelstuhl und blickte einige Secunden wie im scharfen Nachdenken durch das Fenster über die weite Landschaft. „Wir wollen auspacken,“ sagte sie endlich, sich, wie zu einem bestimmten Entschlusse gelangt, zurückwendend, „und ich hoffe, Flora, daß wenigstens Sie keine Partei gegen mich nehmen, wo ich kaum erst den Fuß in’s Haus gesetzt und sicher noch Niemand beleidigt haben kann!“ Sie hatte der Mulattin die Hand entgegengestreckt, welche diese fast mit einem Ausdruck von Inbrunst ergriff. „O Ma’am,“ rief die letztere mit halbunterdrückter Stimme, „ich habe Ihr Gesicht gesegnet, als ich es zum ersten Male sah, ich habe Ihren Fußtritt gesegnet, als er zuerst im Hause klang – Sie wissen noch nichts, aber Sie erfahren vielleicht mehr – Flora wird Ihnen treu sein, wie der Stengel der Blume, der noch lange trauert, wenn sie schon von ihm gegangen!“

Nur für einen Augenblick beschäftigte der eigenthümliche Ausbruch die Seele des Mädchen-, dann wandte sich ihre Aufmerksamkeit wieder der nächsten Gegenwart zu. Sie war entschlossen, den Verlauf der Dinge ruhig abzuwarten, sie konnte kaum anders nach den Zeilen des Hausherrn, wenn sich auch dessen Worte: „Es ist dafür gesorgt, daß Ihren Anordnungen nachgekommen wird,“ kaum zu bewähren schienen, und ein eigenthümliches Interesse wurde in ihr rege, wenn sie an den klaren, bestimmten Blick des Mannes dachte, zu sehen, ob er seinen Willen durchführen, oder diesen dem augenblicklichen häuslichen Frieden opfern werde. An sich selbst dachte sie in dem letzten Falle kaum; noch halte der Gedanke, hier eine Heimath zu finden, nicht einmal in ihr Wurzel geschlagen.

Wohl eine halbe Stunde mochte mit dem Einräumen der Kleider, Wäsche und der mannigfachen kleineren Toilettengegenstände in deren neue Behälter verstrichen sein, ohne daß dabei mehr als ein zeitweiliges bewunderndes Murmeln der alten Mulattin laut geworden wäre, als plötzlich eine bis dahin verschlossen gewesene Seitenthür des Zimmers mit einem Geräusch aufsprang, daß das Kind im Schaukelstuhle mit einem nervösen Schrei in die Höhe fuhr und selbst Lucy mit einem leichten Schrecken sich umblickte.

Herein kam die Wirthschafterin, von einem Schwarzen gefolgt, sah mit grimmigen Blicken im Zimmer umher, ohne scheinbar von dessen Bewohnerin Notiz zu nehmen, und begann dann die einzelnen Stücke des dastehenden Bettes auf den Boden zu werfen.

Ein einziger Blick in das geöffnete Nebenzimmer, in welchem sich die verschiedenen Theile mehrerer Bettstellen sowie ein Haufen von Matratzen und Decken befand, hatte Lucy belehrt, daß ihrem Wunsche auf irgend eine Weise Geltung verschafft worden war, und erklärte ihr zugleich das Wesen der Eingedrungenen; als diese aber einige in ihrem Wege stehende Sessel mit dem Fuße bei Seite stieß, richtete sich das Mädchen von ihrer Beschäftigung auf und sagte mit der vollen ernsten Haltung, welche ihr zu Gebote stand: „Ich muß Sie ein für allemal bitten, Ma’am, hier den nöthigen Anstand zu bewahren, Sie sind in dem Zimmer einer Lady, das Sie nicht einmal betreten sollten, ohne um Erlaubniß gebeten zu haben!“ aber nur ein kurzer höhnischer Laut, dem das neue Wegstoßen eines Möbels folgte, ward ihr als Antwort, und die ganze Erregung, welche sie bisher gewaltsam unterdrückt, brach sich in ihr Bahn. „Entweder, Ma’am, finde ich die Achtung, welche ich fordern kann,“ rief sie mit zitternder Stimme, „oder ich bitte noch in diesem Augenblick Major Wood um die Erlaubniß, sein Haus verlassen zu dürfen!“

Da wandte sich die Wirthschafterin nach ihr, und ein böser Zug glitt über ihr Gesicht: „Sie sollen die Achtung haben, welche Sie verdienen, Miß, verlassen Sie sich daraus,“ erwiderte sie, „und wenn ich das Haus eher verlasse, als Sie, so mögen Sie das auch zu derselben Achtung schreiben!“ Damit wandte sie sich an den Schwarzen, diesem einzelne Andeutungen für seine Arbeit gebend, und verließ dann mit hochaufgerichtetem Kopfe das Zimmer. Fast meinte Lucy einen versteckten Sinn in der Entgegnung der Frau suchen zu müssen; als aber Flora hinter ihr murmelte: „Das schmeckt ihr freilich nicht, und so hat’s ihr noch Keins gesagt!“ und der Schwarze mit einer Art bewundernden Grinsens das Gesicht nach ihr hob, glaubte sie die gehörten Worte nur dem Einflusse des Aergers zuschreiben zu müssen und bog sich wieder ruhig nach ihrer früheren Beschäftigung nieder. –

Am Abend desselben Tags war die Nebenstube von Lucy’s Zimmer zum Schlafzimmer für sie und die Kinder eingerichtet, und diese lagen, nachdem die Aufregung über die geschehene Umsiedelung durch eine lange Geschichte ihrer neuen Freundin beseitigt worden, bereits im tiefen Schlummer; das Mädchen aber saß im Dunkeln am offenen Fenster, in die sternenklare Nacht hinausblickend und überdachte ihre Lage. Sie hatte nach dem Auftritte mit der Wirthschafterin weder diese noch die „stellvertretende“ Dame des Hauses wieder zu sehen bekommen; sie war mit den Kindern, die nicht wieder von ihr gewichen, zu einem Mittagsmahle hinabgerufen worden, das für sie und ihre Pfleglinge allein im Speisezimmer servirt war, das aber kaum karger hätte ausfallen können, so daß die aufwartende Flora nur durch Lucy’s Ruhe von einer lauten Aeußerung ihrer Entrüstung abgehalten worden zu sein schien; am Nachmittage hatte ihr „der Major“ sagen lassen, daß er sie am nächsten Morgen zu sprechen wünsche, und so hatte sie auch ein Abendbrod, von dem ihr, nachdem sie die Kinder befriedigt, kaum etwas übrig geblieben war, ruhig hingenommen. Sie wußte, daß sie sich heute eine erbitterte Feindin gemacht, die jetzt begann, ihre Rachsucht an ihr zu üben, so wenig sich auch Lucy die ursprüngliche Ursache dieses sonderbaren Hasses zu erklären vermochte; sie wußte aber ebenso wohl, daß ein Verhältniß in dieser Weise nicht für die Zukunft bestehen könne, wenn sie sich auch umsonst fragte, wie dies ohne ein bestimmtes, scharfes Auftreten ihrerseits, ohne ein Hereinziehen der Autorität des Hausherrn geändert werden könne – und dieser, der stets sein Mahl für sich allein nahm, schien am wenigsten mit den kleinen materiellen Dingen des häuslichen Lebens behelligt werden zu dürfen.

Während des Gedankenganges des Mädchens hatte ihr Auge mechanisch, auf einem hellen Flecken gehaftet, der wohl zwanzig Schritte entfernt sich von dem dunkeln Boden vor ihrem Fenster abschied; es schien der Lichtschein zu sein, welcher aus dem Fenster eines seitwärts liegenden kleinen Hauses fiel; plötzlich aber tauchte dort aus der Dunkelheit eine Gestalt auf, die mit augenscheinlicher Vorsicht sich dem Häuschen näherte, und Lucy erkannte auf den ersten Blick das sich deutlich abzeichnende Profil des Hausherrn. Er schien irgend einen Vorgang innerhalb des Hauses erspähen zu wollen, und das Mädchen, welches seine Bewegungen mit einem Interesse beobachtete, über das sie sich kaum selbst Rechenschaft hätte geben können, wollte sich eben fragen, was einen solchen Mann bewegen könne, seine Schritte in Heimlichkeit zu hüllen, als von dorther der Aufschrei einer weiblichen Stimme herüber klang und der Major aus dem Lichtkreise verschwand. Ein Geräusch wie das hastige Schließen eines Fensters folgte jetzt, und Lucy’s feine Ohren vernahmen nach Kurzem ein verdecktes eigenthümliches Jammern und Klagen, das, zeitweise unterbrochen, bald zu erzählen, bald zu leidenschaftlichem Bitten sich zu steigern schien, und oft lag ein solches Weh in den entfernten Tönen, daß das aufhorchende Mädchen ihr eigenes Herz darunter zittern zu fühlen meinte. Erst nach mehreren Minuten nahmen die Laute einen ruhigeren Charakter an und verschwanden endlich ganz; trotzdem aber meinte Lucy noch immer diese Klage, die wie aus dem Innern eines zertretenen Herzens gekommen zu sein schien, in ihren Ohren zu hören und seltsam gespannt sah sie dem Wiedererscheinen des Majors entgegen. Er kam nach einer langen Weile; er bog sofort aus dem Lichtscheine in’s Dunkele, aber eine starke Macht schien ihn noch einmal nach dem Fenster zurückzuziehen, er legte den Arm gegen die Wand des Häuschens und lehnte den Kopf daran – es mußte dicht am Fenster sein, denn Lucy sah sein Profil so hell erleuchtet, daß sie meinte, selbst in ihrer Entfernung jede Aenderung in seinen Zügen wahrnehmen zu können – seine Augenbrauen waren finster zusammengezogen, und um den Mund schien es wie ein tiefer, gewaltsam unterdrückter Schmerz zu lagern; so blieb er stehen, mehrere Minuten lang, den Blick in das Innere des erleuchteten Raums gerichtet; dann trat er weg, ließ den Kopf auf die Brust sinken und schritt langsam in die Dunkelheit hinein; Lucy aber behielt ihren Platz am Fenster, den Blick auf den hellen Flecken vor ihren Augen gerichtet, bis dieser erlosch; es war ihr, als habe sich soeben die einzelne Scene eines düsteren Dramas vor ihr abgespielt, dessen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_691.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)