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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

diejenige, welche ihrer Mannigfaltigkeit wegen an, meisten Geschicklichkeit und Berechnung nöthig macht, ist die, nach welcher die Kugel auf einer langen horizontalen Bahn direct in die Kegel geschoben wird.

Die Kegel, deren Zahl seit undenklichen Zeilen 9 ist, müssen in einem länglichen Viereck weit genug von einander aufgestellt sein, damit die Kugel dazwischen durchlaufen kann, ohne einen davon treffen und umwerfen zu müssen. Es muß möglich sein, wie es in der Kunstsprache heißt, eine „Ratte“, ein „Loch“ sowohl, als eine „Methode“ zu schieben. Die Wissenschaft des Kegelschiebens ist zweierlei Art, einmal gründen sich alle dabei vorkommenden Erscheinungen auf die physikalischen Gesetze der Elasticität und des Parallelogramms der Kräfte, das andere Mal aber kommt eine noch geheimnisvolle Beziehung zwischen dem Spieler und der rollenden Kugel in Betracht.

Wer ein einziges Mal auf einem Kegelschube gewesen ist und beobachtet hat, welche Vorbereitung der „Schieber“ trifft, ehe er in der richtigen Stellung sich befindet, wie er die Kugel vorher untersucht und ihr in der Hand die angenehmste Lage zu verschaffen bestrebt ist (natürlich hat jeder Einzelne seine Lieblingskugel, mit der er allein etwas trifft); wie er sie behutsam mit dem zweiten und dritten Finger der linken Hand auf den Scheitel tupft, da, wo er weiß, daß ihr Gehirn liegt: der muß unbedenklich von einem geheimen Einverständniß zwischen beiden überzeugt sein. Der Laie freilich hält eine Kugel für ein rundes Stück Holz, das aus der Hand geworfen sich, den Geier um alle Menschen scheert. Aber der Kegelschieber weiß sehr gut, daß er, selbst wenn die Kugel schon in vollem Laufe sich befindet, ihr noch zureden und sie bestimmen kann, rechts oder links zu laufen. Sie hat hinten Augen und beobachtet das Telegraphiren ihres Herrn und Meisters, wie er die Arme krampfhaft nach einer Seite reckt, oder den Fuß einkneipt. Wenn er den ganzen Oberkörper mit einer Viertelwendung auf die gefährlichste Weise rechts biegt, als wäre er auf der Heuernte, so weiß sie, daß sie zu weit links läuft; das Unterstemmen der Arme, das Einknicken der Kniee, das Heraufziehen des Fußes bis an’s Gesäß, Alles hat seine besondere Bedeutung. Aber wie es nimmermehr gelingen wird, eine Grammatik der Augensprache zwischen Liebenden zu schreiben, so wird es auch nie möglich werden, den Schlüssel zu dieser Geheimsprache zu finden. Nur so viel ist sicher, daß ein wirbelartiges Herumrühren des Oberkörpers in der Luft, als ob er über die Zweckmäßigkeit eines Aufschwungs in höhere Regionen ganz anderer Meinung wäre als Beine und Bauch und sich deswegen nothwendig von diesen abdrehen müßte, allemal die directe Aufforderung an die Kugel ist, „alle Neune“ umzuwerfen. Was der Uneingeweihte für Grimassen und für Verrenkungen halt, worüber er sich todt lachen möchte, das muß der Tieferblickende für einen magnetischen Rapport, für eine spiritualistische Beziehung zwischen der Seele des Schiebers und der Seele des Holzes erklären.

Darüber ist nun nicht mehr zu lachen.

Die zweite Hälfte der Wissenschaft im Kegeln ist aber nicht so kurzweg mit einem einzigen Schlagwort abgemacht. Wir müssen dabei auf physikalische Grundsätze zurückgehen. Als erste Bedingung nehmen wir an, daß die Bahn eine gute, d. h. vor allen Dingen eine völlig horizontale sei. Läßt man auf einer solchen Bahn eine Kugel hinrollen, so daß sie sich immer von oben nach unten um eine horizontale Achse dreht (Fig. 1.) und genau so viel Weg zurücklegt, als sich von ihrem Umfange auf der Unterlage abwickelt, so wird die Richtung ihrer Bewegung eine vollständig gerade Linie sein; und es scheint nur geringer Uebung zu bedürfen, um auf eine so einfache Weise jeden einzelnen Kegel zu treffen oder zu „stechen“, wie sich das Kegler-Rothwälsch ausdrückt.

Allein die Sache hat doch ihren Haken. Es bekommt nämlich die Kugel durch den Wurf aus der Hand außer der Kraft, die sie fortschleudert und die in Folge der Reibung auf der Unterlage die Ursache der nach vorn rollenden Drehung um die horizontale Achse ist, noch einen andern Impuls dadurch, daß man gewöhnlich beim Loslassen die Kugel nicht ruhig auf der schiefen Ebene der Hand herabgleiten läßt, sondern ihr unwillkürlich mit dem kleinen Finger und dem vierten oder mit dem Zeigefinger und dem drillen einen seitlichen Druck giebt. In Folge dessen dreht sich die Kugel schon in der Luft, entweder von links nach rechts (Fig. 2.) oder umgekehrt (Fig. 3.), und sie möchte, auf dem Boden angelangt, in der entsprechenden Richtung, also nach rechts laufen, wenn der Druck vom kleinen Finger ausgeübt wurde, dagegen nach links, wenn der Zeigefinger die Kugel von rechts nach links drehte.

Da aber die vorwärts drängende Kraft des Armes viel stärker ist, als die seitlich wirkende der Finger, so wird der Einfluß, der durch diese Drehung ausgeübt wird, sich auch nur verhältnißmäßig wenig bemerkbar machen. Zumal im Anfange des Laufes scheint die Kugel, selbst wenn sie mit Absicht gedreht wurde, oft eine ganz gerade Linie zu verfolgen, und erst wenn die Bewegungskraft nach vorn durch die Reibung mehr und mehr aufgezehrt wird, kann die seitliche Drehung Veranlassung zu einer Abweichung von der geraden Linie werden. Die Kugel biegt allmählich von der ursprünglichen Bahn ab und beschreibt einen Bogen, der je nach der Stärke der Drehung, die von den Fingern ausging, mehr oder weniger gekrümmt ist. Das ist das ganze Geheimniß der sogenannten Bogenkugeln, welche immer als der Beweis einer großen Geschicklichkeit angesehen werden.

Ganz ähnlich wie der Druck der Finger wirkt das sogenannte „Kantiren“. Dasselbe besteht bekanntlich darin, daß die Kugel nicht auf der Mitte des den Anfang der Bahn bezeichnenden Bretes aufgelegt wird, sondern daß sie auf der Kante desselben hinaus läuft. Dadurch aber schon, daß der Schieber, um dies zu erreichen, nicht gerade ausschiebt, sondern dem Arme eine Wendung geben muß, erhält die Kugel einen seitlichen Druck, der auf einen Bogen lauf hinwirkt und der noch durch die rinnenförmige Beschaffenen des Bretes in seiner Wirkung verstärkt wird.

Selbst auf dem besten Kegelschube nämlich wird das Brel in der Mitte durch das Auswerfen der Kugel in kurzer Zeit eine Vertiefung erleiden. Dadurch legen sich die Kanten höher, und die Kugel hat, wenn sie nicht in der Mitte des Bretes läuft, immer das Bestreben nach der Mitte herabzufallen. Diese Neigung macht sich auch geltend, indem die Kugel im ferneren Laufe nicht in der Richtung der Kante fort rollt, sondern immer nach der Richtung zu laufen sucht, nach welcher von der Kante aus die Mitte lag.

Beim Auslegen auf die linke Kante bekommt also die Kugel eine Tendenz nach rechts zu laufen, – umgekehrt, wenn sie rechts aufgelegt wird – und sie wird, da die ihr durch die Hand mitgetheilte Drehung immer in demselben Sinne einwirkt, wie das Kantiren, in einem ganz entschiedenen Bogen ihren Weg nehmen.

Geübte Kegelschieber wenden das Kantiren oder das Schieben im Bogen an, um die Kugel mehr von der Seite in die Kegel zu bringen, von wo aus die fallenden Kegel dann der Aufstellungsrichtung eher folgen und andere mit umwerfen. Einen ähnlichen Effect erreichen Mindergeübte oft ohne Absicht durch das „Anecken“, bei welchem die Kugel noch vor den Kegeln an die Seitenbande anschlägt, von dieser aber in Folge der Elasticität wieder zurückgeworfen wird. Allein dieses ist schimpflich.

Regelrechtes Anecken ist nicht so leicht, als es nach dem hier geltenden Grundgesetz scheinen sollte, daß eine elastische Kugel von einer ebenen Fläche, wie ein Lichtstrahl von einem Spiegel, unter demselben Winkel wieder zurückgeworfen wird, unter welchem sie anprallte, denn es kommen hier auch die mannigfachsten Drehungen der Kugel, welche Veranlassung zu Richtungsänderungen werten, in Betracht.

Nehmen wir das einfachste Beispiel, daß der König, von allen neun Kegeln allein noch übrig, genau von der Mitte aus durch Anecken getroffen werden sollte. Jeder wird glauben, daß der Punkt, an welchem die Kugel die Bande berühren muß, um den richtigen Abschlag zu bekommen, genau in der Mitte zwischen dem Anfangspunkte des Laufes und dem Könige, in U (Fig. 4) liegen müsse, und sich sehr wundern, wenn, obgleich er die Kugel BA genau in der Richtung nach U geworfen hat, er damit doch den König nicht trifft, sondern vorbeischiebt und das ganz regelrecht. „Wo muß ich aber nun anecken, um den König zu treffen?“ – „etwas

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_684.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2022)